Musik an sich


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30 Jahre im Zeichen des Tridents; Mein persönliches Jubiläum mit der wohl fleißigsten und interessantesten Band der Welt - The Legendary Pink Dots Teil 1 Stone Circles





Es war in einer dunklen, regnerischen Zeit 1987. Die frühen Wintermonate. 20 Jahre jung und gerade aus der Ausbildung, ging es mir mental nicht gut. Ich hatte schlicht Liebeskummer. Einerseits lag meine letzte Liaison schon ein paar Monate zurück, andererseits hatte ich von der aktuellen Dame meines Herzens eine böse Abfuhr bekommen. Also saß ich mit meiner eher düsteren Stimmung und zu diesem Zeitpunkt musikalisch sehr auf Dark Wave von Bands wie The Cure oder melancholischen Indierock wie von The Chameleons fixiert wie fast jeden Donnerstagabend am Radio und lauschte Winfried Trenklers Sendung Schwingungen.

Und dann drangen die verhängnisvollen Worte und Klänge aus dem Radio:
„You offered me a cigarette, I pirouette... with silhouettes of statuettes.
We're ice behind a window. Would you be my widow? Would you even be my wife?
Life's not long enough for questions of sessions over cakes and coffees.
Therapy, I've had enough of - I want to change things overnight,
because I've been alone too long.. too long.. too long...“


Dazu drangen dunkle, dramatische Keyboardklänge mit pumpendem Synthiebass sowie schneidenden Gitarrenklängen aus dem Kopfhörer. Die Stimme klang verzweifelt und das Ganze passte natürlich wie die Faust in meine bedröppelte Magengrube. Dass dieser Moment ein für mein Leben tatsächlich entscheidender Moment gewesen war, konnte ich damals natürlich nicht ahnen.


Heute schreiben wir 2016. Als ich mir vor ein paar Tagen mal wieder den alten Sampler Stone Circles, welcher Anlass für die Ausstrahlung im Radio war, heraus kramte, fiel mir dann auf, dass es tatsächlich bald 30 Jahre her ist, dass ich das erste Mal Kontakt zu der englischen Band, die einen Großteil ihres Bestehens in den Niederlanden gelebt hat, bekommen habe. Dies möchte ich nun zum Anlass nehmen, diese zu Unrecht leider kaum beachtete Band zu würdigen.

Eine komplette Geschichte der Band zu schreiben, in der alle beteiligten Personen, Alben und Konzerte etc. gelistet und niedergeschrieben werden, scheint schier unmöglich. Schließlich waren ca. 35 verschiedene Mitglieder in all den Jahren in der Band. Die Zahl der Bandstudioalben dürfte sich nebst der Kassettenveröffentlichungen und Specials (Weihnachtsspecials, Helloween-Specials etc.) inzwischen in der Größenordnung +/-100 bewegen. Hinzu kommen noch weitere Alben der Nebenprojekte The Tear Garden und Mimir, etliche Soloalben, vor allem der beiden Masterminds Edward Ka-Spel und Phill „The Silverman“ Knight und Kollabrationen mit anderen Bands wie Attrittion, Current 93, Der Blutharsch, Artwork und vielen anderen. Da die Legendary Pink Dots zusätzlich noch quasi ständig auf Tour sind, fällt auch eine solche Chronolgie in den Bereich des fast Unmöglichen. Wer Interesse an der Geschichte der Band hat sei auf das Internet unter www.legendarypinkdots.org oder www.brainwashed.com/lpd, oder für die Zeit von 1983 - 2003 auf einen Bericht des Magazins UMO verwiesen. (Leider jedoch auch schwer erhältlich).

Um der Band nun meine Ehre zu erweisen, habe ich mich dazu entschieden, damit zu beginnen, ihren Backkatalog zu besprechen. Bei dem eher schnellen Arbeitstempo der Band und meinem mitunter eher langsamen Schreibtempo wird mein Ziel, mal eine komplette Diskographie erstellt und besprochen zu haben, wohl nie erreicht. Aber es ist einen Versuch wert. Die Besprechungen werde ich absolut subjektiv und durch meine Fanbrille präsentieren. Auch werde ich versuchen, die Besprechungen mit zugehörigen Bandgeschichten, aber auch privaten Erlebnissen, die ich mit der jeweiligen Scheibe verbinde, zu würzen. Also: ich mache das für die Legendary Pink Dots, aber auch für mich. Nennt es einen EGOTRIP.


Trotzdem hoffe ich natürlich, Euch damit unterhalten zu können, vielleicht sogar mit dem Pink-Dots-Virus anstecken zu können oder Eure vielleicht in Vergessenheit geratene Leidenschaft für diese wirklich einzig wahre Indiependentband der Welt wieder wecken zu können. Beginnen werde ich mit der Scheibe, die mich zu den Dots geführt hat: Stone Circles, ein Sampler für den amerikanischen und kanadischen Markt. Anschließend werde ich jedoch chronologisch vorgehen, um die Übersicht zu behalten.

Also zurück zu jenem verhängnisvollen Abend. Ich war natürlich begeistert und überwältigt. Glücklicherweise hatte ich das Stück mitschneiden können und ich erfuhr auch noch Bandnamen und dass dieses Stück eben von der Compilation Stone Circles stammte. Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich direkt am folgenden Freitag in meinem Stammplattengeschäft (damals gab es diese herrliche Institution noch) gegangen bin. Ganz sicher weiß ich noch, dass ich beim Durchsehen des recht gefüllten Faches für die Band feststellte, dass ich die Scheiben schon öfters in Händen hielt, dann aber wieder weggestellt hatte. Die meisten Cover waren bzw. sind mit surrealen, zumeist in dunklem Violett-, Blau- und Rottönen gehalten Bildern versehen. Eine Mischung aus melancholischen Darkwave-Elementen aber durchaus auch psychedelischen Farbspielereien. Und glücklicherweise hatten sie auch Stone Circles da.


Stone Circles
A Legendary Pink Dots Anthology
Play it again Sam Records (PIAS)
1987

Eröffnet wird Stone Circles vom oben bereits erwähnten “Love Puppets“. Dieses Stück ist Dark Wave / Gothic pur, auch wenn die Band maximal mit dem Genre kokettiert hat. Das Hauptelement neben dem mit viel Hall versehenem, zunächst seltsam unberührt, am Ende flehendem Gesang ist eine einfache Keyboardmelodie. Doch diese fünf oder sechs Töne haben es in sich. Sie sind mächtig, dunkel und seltsam verführerisch. Unter diesen liegen psychedelische Gitarrenklänge und kalte Gitarrenriffs. Das Stück wogt dazu auf und ab, wie die Keyboardklänge mal nach oben, mal nach unten gleiten. So gleitet auch die Atmosphäre hin und her. Zum Ende hin bricht das Stück in sich zusammen, die Keyboardmelodie verändert sich und psychedelische Klänge erklingen, bevor das große Finale beginnt. Die wabernden Keyboards schwellen an, der Klang verändert sich von pumpenden Klängen zu flächigen Sounds, doch die Melodie bleibt. Der Gesang schwillt kurz an, dann zerfällt das Stück im Klang von Glocken.

“Love Puppets“ ist definitiv für mich eines der emotionalsten Stücke, welches jemals aufgenommen wurde. Darauf folgt mit “Curious Guy“ dann gleich mal eine Prog-Tanznummer. Pumpender Bass, rockige Gitarren und ein treibendes programmiertes Schlagzeug. Doch die eigentliche Sensation an diesem Stück ist Patrick Q Paganinis Violine. Diese gibt dem Stück einen zickigen Walzerflair und liefert sich prima Duelle mit der Gitarre. Ich denke, mit etwas mehr Promotion hätte dieses Biest 1985 absolut ein kleiner Hit werden können.


Darauf folgt der straighte Dark-Wave-Song “Black Zone“ vom Album The Tower. Ein pumpender Synthiebass treibt das dunkle Stück voran. Dazu gibt es ebenso dunkle, weitflächige Keyboardsounds und eine knackige, aber dem Genre verpflichtet eingebettete Gitarre. Der Gesang ist hier sehr aggressiv. Ein weiteres Stück, das eine etwas bessre Produktion verdient gehabt hätte und mit etwas mehr Werbung durchaus Hitpotential gehabt hätte.

Das die erste Seite abschließende “The Hanging Gardens“ stammt vom ersten Album der Dots von 1983. Auch diesem Stück hört man sein Low-Budget etwas an, da der Klang ein wenig dumpf ist. Das Stück an sich basiert auf einem walzerähnlichen Synthiebeat über dem sehr fröhlich-sakrale Keyboardsounds zu hören sind. Dazu gesellen sich psychedelische elektronische Klänge und eine recht einfache, fast folkige akustische Gitarre. Der Gesang erklingt verhallt und teilweise verzerrt seltsam fremdartig und passt sich in das irgendwie unwirkliche Klangbild ein. Vollendet wird dieses spezielle Psychstück mit einem Abschluss, der auf einer Rückwärtsschleife des Stücks beruht. Dieses Stück zeigt auch den häufig zitierten Einfluss eines Syd Barretts auf die Band.

Die zweite LP-Seite bietet dann das doomige und unglaublich starke “Golden Dawn vom 1985er Doppelalbum Asylum. Wieder eine einfache, aber beeindruckende sich wiederholende Keyboardsequenz, unterfüttert von vielen dunklen, weiten Keyboardteppichen. Dazu singt Edward Ka-spel mit sehr trauriger Stimme. Patrick Q Pagannini spielt dazu einige herzzereissende Violinenparts, Abgeschlossen wird das Stück von einem Gitarrensolo der Extraklasse. Kein besonders virituoses, nein die Saiten erklingen wie kaltes Stahl, zerfasern in unglaublicher Traurigkeit und im Duett mit der Violine das Gefühlsleben des Hörers bis die letzten Klänge im Nichts verhallen.

Auch das folgende “Fifteen Flies in the Marmelade“ stammt von Asylum. Das seltsame Walzerstückchen (ja, ein echter Walzer) mit schrägen Violinenklängen, pumpenden Keyboardspuren und dem seltsamen Text sagt viel über die Kreativität und Vielseitigkeit so wie ihrem Humor aus. Allerdings denke ich, dass es auf diesem Sampler besser hätte durch ein anderes Stück ersetzt werden sollen, denn es hätte noch genügend Knaller im Backkatalog gegeben. Das gilt zu Teilen auch für “Our Lady in Darkness“ von einem meiner Favoriten der Band, Island of Jewels. “Our Lady in Darkness“ ist ein teils zerfaserter, teils hochmelodisches, dunkles und verzweifeltes Stück das auf ein aggressiv gespielten Piano basiert. Darüber liegen dunkle Keyboardklänge. Im Mittelteil gibt es kurz Entspannung mit einem sehr schönen, verführerischen Bass-/Gitarren-Part bevor wieder Pianoklänge einsetzen, diesmal jedoch wesentlich melodischer und im furiosen Schluss aus Piano, Keyboard und Bass enden. Es ist ein wundervolles Stück das im Kontext des gesamten Albums Island of Jewels hervorragend funktioniert, doch mehr „Hitpotential“ hätte meines Erachtens nach “Shock of Contact“ von diesem Album gehabt.

Abgeschlossen wird mit einem quasi neuem Stück: “Gladiators Version Apocalypse“. Quasi neu, weil es eine Neuaufnahme des Stückes “Neon Gladiators“ vom Album Faces in the Fire ist. Und es ist eine wirkliche Verbesserung des Originals. Zum Einem war der Klang des Albums sehr dumpf, zum Anderen setzen die Dots hier nun echtes Schlagzeug ein und die Violine bekommt viel mehr Spielraum. Das Violinensolo ist einmalig, der pumpende Bass mit dem Schlagzeug einfach nur - sorry - geil. So entstand ein richtiges, rockiges Tanzstück, das viele Jahre zum Liverepertoire der Band gehörte und auch in späten Jahren immer mal gern wieder live gespielt wurde.

Für mich war Stone Circles 1987 einfach nur sensationell. Es spielt mit so vielen unterschiedlichen Stilen, zeigt keinerlei Ängste beim Spiel mit verschiedensten Stilen, arbeitet mit vielen unterschiedlichen Instrumentierungen und stellt doch ein organisches Bild der sich ständig wandelnden Band dar. Hinzu kam die in meinen Ohren unglaubliche Verbindung zwischen Musik und Texten, soll heißen, die Vertonung der Worte klang (und klingt) für mich perfekt. Auch wenn die Band sich inzwischen mehrfach gehäutet und gewandelt hat behaupte ich, dass Stone Circles auch heute noch in der Lage ist, die Band ein wenig zu beschreiben und vor Allem, Hörer zu Dotheads wie mich zu machen.


Seite 1
Love Puppets (original veröffentlicht auf Curse 1983
Curious Guy (original veröffentlicht auf Curoius Guy EP 1986)
Black Zone ( original veröffentlicht auf The Tower 1984 )
The Hanging Gardens ( original veröffentlicht auf Brighter Noew 1982)

Seite 2
Golden Dawn ( original veröffentlicht auf Asylum 1985)
Fifteen Flies in the Marmelade ( original veröffentlicht auf Asylum 1985)
Our Lady in Darkness ( original veröffentlicht auf Island of Jewels 1986)
Gladiators Version Apocalypse ( Original Version veröffentlicht auf Brighter Now, Neuaufnahme 1987)


Besetzung (1987 - nicht gültig für alle hier enthaltenen Stücke):
Bass: Jason Salmon
Gitarre: Stret Majest
Keyboards : Graham Whitehead, The Silverman)
Geige: Patrick Q. Paganini Wright
Gesang: Edward Ka-Spel


Wolfgang Kabsch



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