Schlee, Th. D. (Schlee)
„Ich, Hiob“ op.68
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Info |
Musikrichtung:
Neue Musik Oper
VÖ: 19.05.2010
(Paladino / Klassik Center 2 CD / DDD / 2009 / Best. Nr. pmr 0002)
Gesamtspielzeit: 80:00
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ZEITLOS
„Wie kann Gott das zulassen?“ Über lange Zeit verharrt die nackte menschliche Stimme über einem einzigen Ton. Hiob, dem in einer blitzartigen Folge von Katastrophen Besitz, Kinder und Gesundheit genommen wurden, leidet, klagt an, zweifelt, begehrt auf, zürnt, verstummt, wütet. Er arbeitet sich ab an seinem Gott, und der schweigt (oder lacht?) angesichts dieser Herausforderung.
Thomas Daniel Schlee (Jg. 1957) lässt den Sänger in seiner szenischen Kammeroper „Ich, Hiob“ zunächst litaneiartig auf dem Ton as beginnen. Erst nach und nach wird der Tonraum erweitert: In dem Maße, in dem der ungeheure Abstand zwischen Gott und Mensch bewusst gemacht wird. Das farbige, tonlose Rauschen eines Flötenquartetts symbolisiert den beseelenden Lebensatem, darüber hinaus spenden in diesem ersten Teil nur ein Cello und eine Trompete ein sparsames, aber differenziertes Kolorit zwischen dunkel-insitierenden Erd- und vitaleren Metallklängen. Die Musik bewegt sich oft am Rande des Verstummens, kommt manchmal auch kaum über fragmentierte Gesten hinaus – aber sie gibt gleichsam nicht auf, sie ringt mit Gott, lässt sich von seinem Schweigen ebenso wie Hiob nicht abwürgen.
Angesichts des totalen Unglücks, in das Hiob gestürzt wurde, gelingt dem Komponisten, dem frei ausgesponnen biblischen Text eine unmittelbar sprechende, angemessene musikalische Gestalt zu verleihen, deren unangestrengte (Post)Modernität zeitlos wirkt. Der intensiv durchfühlte Vortrag von Kurt Azesberger, der ohne jedes künstliche Pathos oder Sentiment dem Hiob seine klare Stimme leiht, trägt diesen rund vierzigminütigen Teil fast alleine. Erst mit dem Auftritt des Engels, der für Gott spricht, kann im 2. Teil die Spannung sich musikalische offener und freier in Dialog und Widerstreit entfalten. Jetzt hat Hiob ein Gegenüber. Freilich findet seine Klage findet eine herausfordernde Entgegnung. Die radikale theologisch Lösung der Frage nach dem (unverdienten) Leiden beantwortet das biblische Hiob-Buch mit der Herrlichkeit Gottes und der Kleinheit des aus Ackerboden geformten Menschen. Es gibt nichts wirklich etwas, das neu wäre an dieser Antwort – aber Gott gibt immerhin eine. Gott ist Gott, der Mensch ist der Mensch, sein Geschöpf. Der Ferne im Leiden entspricht eine intime Nähe, wenn der Schöpfer sich im Leiden und Zürnen mit seinen Geschöpfen vereint. Gott lernt durch das Leiden und den Widerstand des Hiob, was der Mensch ist, den er geschaffen hat: ein freies Subjekt. Und Hiob lernt in der Akzeptanz des Leidens, was es heißt, ein freier Mensch zu sein, der vor Gott steht.
„Gepriesen sei der Name des Herrn.“ Die Versöhnung ereignet sich in der emphatischen Anerkennung der Größe Gottes durch Hiob. Die Worte werden von Schlee in eine Flötenaureole gehüllt, die von Olivier Messiaen stammen könnte (der auch sonst in manchen der folgenden Harmonisierungen gegenwärtig scheint). In einer polyphonen Sinfonia, die in den wortlosen Jubel von Hiob und Engel mündet, vollzieht sich die Versöhung. Hiob findet zu seinem Gott, er macht Frieden mit sich und seinem Schicksal. Findet er nicht nur Kraft im Leiden, sondern gewinnt er sie vielleicht sogar aus dem Leiden? Die Oper endet mit „Das Licht“, in der der Engel verkündet, dass Gott sein Auge wieder schließe und dass die Nacht vorbei sei (in der biblischen Geschichte werden seine Gesundheit und Besitz Hiobs herrlicher als zuvor wieder hergestellt – freilich: seine toten Kinder bleiben tot).
Eine Vertiefung der in der Oper komponierten Hiob-Perspektiven bietet der Essay von Christian Martin Fuchs im Beieheft.
Das klare, leuchtende Klangbild dieser gelungenen Studioproduktion in angenehm räumlich.
Georg Henkel
Besetzung |
Kurt Azesberger: Hiob
Ursula Langmayr: Engel
Martin Rummel: Solocello
Dávid Ottmár: Trompete
Veronika Schulz: Violine
Matthias Schulz, Wolgang Zuser, Matthias Eckart, Anneliese Fuchluger: Flöten
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