Musik an sich


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Diverse Komponisten 21. Jh. (Buchholz – Kavina)

touch! don’t touch. music for theremin


Info
Musikrichtung: Neue Musik Theremin

VÖ: 21.08.2006

Wergo / Note 1
CD (AD DDD 2004) / Best. Nr. 66792


Gesamtspielzeit: 59:40



KLANGCOLLAGEN AUS DEM ÄTHER ...

Das von dem Russen Léon Theremin 1921 entwickelte Ätherophon dürfte das einzige Instrument sein, das berührungslos mit den Händen gespielt wird: Die Finger des Spielers „greifen“ nämlich in das unsichtbare elektrische Feld, das von zwei Hochfrequenzgeneratoren um die beiden Spielantennen des kastenförmigen Gerätes herum erzeugt wird, und beeinflussen dadurch die Differenzfrequenz und Lautstärke. Gefiltert und verstärkt kommt der äußerst modulationsfähige Ton aus den Lautsprecherboxen. Je nach „Handhabung“ klingt das Instrument mal wie eine Flöte, dann wieder wie eine Violine, eine Trompete, eine Orgel, ja ein Klavier! Nach einer kurzen Karriere blieb es ein Spezialisten- und Liebhaberinstrument, das vor allem in der Filmmusik zum Einsatz kam. Kaum ein Science-Fiction- oder Horror-Film der 1930er-40er Jahre, der ohne die seltsam unirdischen Heultöne des später schlicht Theremin genannten Instruments auskam! In der ernsten Kunstmusik ist es dagegen weit seltener zum Einsatz gekommen. Meist waren es Bearbeitungen bekannter Stücke, die freilich eher zum virtuos-exotischen Gimmick taugten.

Die vorliegende Wergo-Produktion knüpft an die abgerissene Karriere des Theremin an. Acht junge Komponist/innen haben neue Stücke für das seltsame Instrument mit wechselnder Besetzung geschrieben. Lydia Kavina, die Großenkelin von Léon Theremin, und ihre Schülerin Barbara Buchholz sind beide Experten auf dem Theremin. Sie werden verstärkt vom Kammerensemble Neue Musik Berlin.

Die eingespielten Werke hinterlassen einen gemischten Eindruck. Am überzeugendsten ist die Klangcollage von Moritz Eggert geraten, gerade weil sie mit den Klischees des Instruments spielt: Eggerts Komposition mit dem vielsagenden Titel The son of the daughter of Dracula versus the incredible Frankenstein monster (from outer space) wirkt wie eine auf knapp neun Minuten konzentrierte Hommage an die goldenen Jahre des amerikanischen Horrorkinos, dessen Soundtracks hier gleichsam in die Welt der Neuen Musik zurückprojiziert werden. Aus Wortfetzen, hysterischen Schreien, Monstergrunzen, Explosionsgeräuschen und den zeitgenössisch nachempfundenen Soundtrack-Gesten hat Eggert einen rasanten Kontrapunkt montiert, der beim Lauschen alle Stimmungen zwischen Nostalgie und popiger Ironie abruft. Eine schöne Liebeserklärung an den Theremin!
Bildhaft ist auch die poetische Klangwelt, die Iraida Yusopova in ihrer Komposition für Theremin und Tonband entwirft: eine Reminiszenz an die geheimen sowjetischen Satellitenstädte, die der Atomforschung dienten. Die Musik ist heimelig und unheimlich zugleich. Fast schon menschlich klingt hier der in das dichte Klanggewebe eingebettete elektronische Klagegesang des Theremin, sein melancholisches Heulen gerinnt am Ende zum schrillen Schrei. Die klanglichen Möglichkeiten des Instruments werden hier freilich kaum ausgeschöpft.
Wesentlich spröder und zurückhaltender, eher klangtechnisch orientiert geben sich die übrigen Werke. Collagen zwischen Klang und Geräusch sind sie alle, aber mit ihrer zum Teil hochdelikaten, stellenweise hypersensiblen Auslotung von Klangmöglichkeiten und Instrumentalkombinationen treten etwas zu sehr auf der Stelle. Man wird den Eindruck nicht los, dass die Demonstration der eindrucksvollen und lange unterschätzten Klangqualitäten des Theremins auf Kosten der musikalischen Substanz gegangen ist. Was hätte ein Messiaen aus diesem Material gemacht! Nur in einigen Episoden bricht die Musik gleichsam aus ihrem Korsett, z. B. im pulsierenden zweiten Teil von Olga Bochihina perkussiven canto ostinato. Da hätte ich mir doch weniger Befangenheit und – wie im Fall von Eggert - mehr „Mut zum Stück“ gewünscht …



Georg Henkel



Trackliste
1Olga Bochihina: Canto Ostinato für zwei Theremine, Klavier und Schlagzeug
2Caspar Johannes Walter: Vakuum-Halluzinationen für zwei Theremine, Violine und Violoncello
3Nicolaus Richter de Vroe: Thereminskie ostrova (Theremin-Inseln) für zwei Theremine, Klavier und Schlagzeug
4Michael Hirsch: Rezitativ und Arie für zwei Theremine, Violine, Violoncello, Klavier und Schlagzeug
5Juliane Klein: se vuoi für Theremin, Violine, Violoncello, Klavier und Schlagzeug
6Vladimir Nikolaev: Cherno-belaja muzyka (Schwarz-weiße Musik) für zwei Theremine, Violine, Violoncello, Klavier und Schlagzeug
7Moritz Eggert: The Son of the Daughter of Dracula versus the Incredible Frankenstein Monster (from Outer Space) für zwei Theremine, Violine, Violoncello, Klavier und Schlagzeug
8Iraida Yusupova: Kitezh-19 für Theremin und Tape
Besetzung

Lydia Kavina und Barbara Buchholz: Theremin
Kammerensemble Neue Musik Berlin


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