Musik an sich


Reviews
STARKE FRAUEN: KOMPONISTINNEN DER ROMANTIK
Emilie Mayer (1812-1883): Symphonie Nr. 5 f-moll
Fanny Hensel (1805-1847): Hero und Leander
Luise Adolpha Le Beau (1850-1927): Klavierkonzert d-moll op. 37
Dreyer/Gaido CD DDD (AD 2001, live) / Best. Nr. CD 21015
Romantik
Cover
Interpreten:
Maacha Deubner (Sopran)
Katia Tchemberdji (Klavier)
Kammersymphonie Berlin
Jürgen Bruns

Interpretation: ++++
Klang: +++
Edition: ++++

GIBT´S DENN SOWAS: KOMPONISTINNEN??

Marcel Reich-Ranicki hat sich einmal gegen den Vorwurf, er habe gesagt, Frauen könnten keine guten Romane schreiben, mit der Entgegnung verwahrt, er habe vielmehr gesagt, dass es bislang noch keine getan habe. Abgesehen davon, dass er dieses Urteil später revidiert hat und die Literaturgeschichte auch anderes beweist: Dass Frauen dieses und jenes in der Kunst nicht können, geistert nach wie vor durch die Köpfe. Eine solche Einschätzung gibt es heute z. B. hinsichtlich der Orchestermusik. Sinfonien, so scheints, sind eben Männersache. Umso wichtiger ist die Neuerscheinung, die das kleine Label Dreyer/Gaido auf den Markt gebracht hat. Es handelt sich um den Live-Mitschnitt eines Berliner Konzerts, welches 2001 im Rahmen des Projekts "Der männliche und der weibliche Beethoven" gegeben wurde.

Ein ambitioniertes Projekt und ein ebensolches Konzertprogramm spiegeln sich also auf der CD wieder, die dann auch mit einem sorgfältigen und informativen Booklet aufwartet, das einige Details zu den vorgestellten Komponistinnen beinhaltet.

EMILIE MAYERS FÜNFTE SYMPHONIE

Das Herz- und Hauptstück der Einspielung ist gewiß Emilie Mayers Symphonie in f-moll. Ein kraftvoll vorwärtsdrängendes, monumentales, bisweilen etwas sperriges und überfrachtetes Werk mit wohl nicht zufällig "männlich" erscheinender Energie (und Aggressivität), das das große Vorbild Beethoven nicht verleugnet, aber auch Anklänge an die Musik Felix Mendelssohn-Bartholdys aufweist und in manchem Bläsereinsatz gar auf Bruckner vorausweist. Sehr schön wird ein Thema aus dem anderen heraus entwickelt, bekommen auch die Bläserstimmen eine eigenständige Rolle, werden die Sätze durch übergreifende thematische Bezüge verknüpft.
Mag auch die Durchführung und Verarbeitung des musikalischen Materials nicht in allem höchsten Ansprüchen genügen, so handelt es sich doch um ein effektvolles Stück, dass durch sein Feuer und seinen Ideenreichtum besticht und für das man sich unbedingt wünschen möchte, es häufiger in Konzertprogrammen wiederzufinden und zu erleben.
Die Kammersymphonie Berlin spielt unter Jürgen Bruns engagiert und mit viel Verve - die mitgeschnittenen Bravo-Rufe aus dem Publikum an Ende sind beileibe kein Zufall.

FANNY HENSEL

Fanny Hensel

Die Schwester Felix Mendelssohn-Bartholdys teilt das Schicksal vieler weiblicher Musiktalente der damaligen Zeit: Als Ausführende akzeptiert, als Schaffende, als Komponistin aber an den Rand gedrängt. Allenfalls noch das kleine kammermusikalische Format wollte man der Frau zugestehen, nicht aber die große, orchestrale Form. Fanny Hensel hat sich weitgehend in dieses Schicksal bzw. diese Konvention gefügt. Mit der dramatischen Szene "Hero und Leander" jedoch hat sie sie kurzzeitig verlassen und sich den Übergriff in die Männerdomäne gestattet. Es handelt sich um ein sehr deutsch-romantisches, meldodramatisches Stück für Sopran und Orchester, das die Geschichte Heros erzählt, die Leander liebt. Dieser schwimmt jede Nacht vom anderen Meeresufer zu ihr hinüber und eine von Hero entzündete Fackel weist ihm dabei zuverlässig den Weg. Eines Nachts jedoch verlischt die Fackel durch einen Sturm und Hero muss mit ansehen, wie ihr Geliebter im Meer ertrinkt, woraufhin auch sie selbst sich in die Fluten stürzt.
Fanny Hensel nahm die Geschichte zum Anlaß für eine farbige, vielfältige musikalische Natur- und Stimmungsschilderung, die bisweilen recht plakativ und pathetisch ausfällt, insoweit jedoch durchaus dem damaligen Zeitgeschmack entspricht. Die Sopranistin Maacha Deubner unterstützt unglücklicherweise den Zug ins Übertriebene noch durch eine manchenteils hysterisch eng geführte Stimme.

LUISE ADOPLHA LE BEAU

Le Beau

...wurde zu Lebzeiten immerhin bereits als Komponistin beachtet und z.T. auch geschätzt. Bei der Uraufführung ihres Klavierkonzerts op. 37 saß die damals schon 72jährige im Jahre 1888 zudem noch selbst als Virtuosin am Klavier. Und so ist das Werk auch in erster Linie ein Virtuosenstück, im Geiste etwa der Klavierkonzerte Chopins. Chromatische Linien und Läufe, lyrische Seitenthemen und großformatige, flächige Orchestereinsätze wechseln einander ab. Da wirkt vieles doch recht konventionell und redundant. Andererseits finden sich harmonisch und rhythmisch reizvolle Passagen und hochauffahrende, energiegeladene Streichereinwürfe, ähnlich wie bei Emilie Mayers Symphonie. Katia Tchemberdji wird als Solistin am Klavier der technisch nicht einfachen Aufgabe gut gerecht, ohne sich um ein (fehlplatziertes) Übermaß an Gestaltungswillen zu bemühen.

Diese CD weist also den Weg auf vergessene Pfade der Musikgeschichte und ist vor allem wegen der Aufnahme der 5. Symphonie verdienstvoll. Die Tonqualität genügt nicht eben den allerhöchsten Ansprüchen, aber wer den Loudness-Regler an seiner Anlage ein bißchen bemüht, erhält doch ein relativ ordentliches Klangbild.

14 Punkte

Sven Kerkhoff

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