Interpretation: +++++
Klang: +++++
Edition: +++++ (französisch-englisches Booklet mit vorzüglichen Essays und gut lesbaren Einführungen)
Die Klaviermusik von Fréderic Chopin, was hat sie unter den Händen diverser Interpreten nicht schon alles für Metamorphosen durchlaufen: die Hörerbedürfnisse nach watte-weicher Romantik hat sie ebenso befriedigen müssen wie den Wunsch diverser Pianisten nach virtuoser Selbstdarstellung. Tastendonnerer, Egozentriker und Barpianisten haben sie für sich in Anspruch genommen. Manches festliche Dinner veredelte ein Nocturne zum Absacker. 'Klassik zum Träumen', auch das.
Wie die vorliegende Einspielung beweist, geht es aber auch ganz anders. Auf dem Programm stehen Tänze, die Chopin ab 1830, zur Zeit seines Parisaufenthaltes, komponiert hat. Seine Polonaisen, Walzer, Mazurken, Kontratänze, Boleros und Tarantellen erklangen seinerzeit bei Bällen oder auch im Konzert. Originell, musikalisch dicht und stimmungsvoll, taugten (und taugen!) sie ebenso als Begleit- wie als Hör-Musik.
Ein besonderer Clou ist in diesem Fall das verwendete Instrument. Der Pianist Arthus Schoonderwoerd spielt auf einem vollständig erhaltenen Konzertflügel des Chopin-Zeitgenossen Ignace Pleyel von 1836. Pleyel war mit Chopin gut bekannt, der Komponist schätzte dessen vorzügliche Instrumente wegen ihres durchsichtigen, schön timbrierten Klangs, und es ist nicht einmal ausgeschlossen, dass er auch auf dem hier verwendeten Flügel gespielt hat.
Die Holzbauweise, eine geringere Seitenspannung und leichgängige Mechanik sorgen für ein ungemein transparentes, klar konturiertes Klangbild. Zudem bewahren die Register des Instruments ihren individuelleren Charakter: glockenreine Höhen, samtige mittlere und volle, dabei diskrete tiefe Register - ein äußerst ausgewogener, um nicht zu sagen exiquisiter Klang. Vorbehalte, die man gegen solche vormodernen Flügel haben kann, bestätigen sich nicht: Weder gibt es Intonationstrübungen noch legt sich akustischer Mehltau über den Klang, wie es schon mal bei älteren Hammerklavieren zu hören ist. Für Chopins Musik, die neben einem leichten, perlenden Anschlag auch eine reiche Palette von Klangfarben benötigt, eignet sich Pleyels Instrument daher besser als der moderne, 'stahlgepanzerte' Konzertflügel mit seinem rauschenden Klang.
Schoonderwoerd präsentiert Chopins Klavierwerke im besten Licht. Die Musik kommt bei ihm so frisch und natürlich daher, als sei sie eben erst komponiert worden. Und jedes Detail klingt stimmig, so, als könne es nur so und nicht anders sein. Statt sich nur auf seine pianistischen Instinkte zu verlassen, hat sich der Pianist mit der Aufführungspraxis des frühen 19. Jahrhundert beschäftigt, um für jeden Tanz das richtige Tempo zu finden. Und statt die Musik mit übertriebenen, pathetischen Rubati "interessanter" zu machen, läßt Schoonderwoerd die Musik lieber spannungsvoll fließen und elegant perlen. So liegen Übermut und Melancholie nahe beieinander und verleihen dieser feinsinnigen Gesellschaftskunst einen besonderen Reiz. Eine unwiderstehliche Aufforderung zum Tanz. Vorzüglich. Bitte mehr davon!
20 Punkte
Georg Henkel
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