"Musik an sich" ist ja ein netter Titel für ein Musik-Fanzine. In der Realität gibt es so etwas wie "Musik an sich" aber selbstverständlich
nicht. Wie jedes andere kulturelle Phänomen äußert sich Musik in den Texten, der Ästhetik, im Auftreten der Musiker immer in Kommunikation
mit dem gesellschaftlichen und zeitgeistlichen Umfeld - auch dann wenn diese Bezugnahme im ganz bewussten Widerspruch oder gar im Versuch des
völligen Kommunikationsabbruchs zur Umgebung besteht.
Besonders deutlich ist dieser Zusammenhang bei der Frage des schwarzen (Selbst)Bewusstseins und der Entwicklung der schwarzen Musik. Beide
Phänomene sind ohne das jeweils andere kaum zu verstehen. Das Münchner Label Trikont hat sich mit zwei CDs - insgesamt 2 1/2 Stunden Musik -
die Mühe gemacht, die Geschichte des Sich-Selbst-Bewußtwerdens der Schwarzen in den 60er und 70er Jahren nachzugehen. Dabei ist gleichzeitig
eine Geschichte des Souls und Funks entstanden, die ganz nebenbei erkennbar werden lässt, wo die Väter und Großväter nicht nur der
derzeitigen Rapper und HipHoper, sondern auch der Disco-Kings und -Queens der 70er Jahre zu finden sind.
Trikont stattet die CDs wie gewohnt mit einem opulenten und informativen Booklet aus, das zum einen die Geschichte der schwarzen
Bürgerrechtsbewegung in den USA nachzeichnet; darüber hinaus aber auch jedes einzelne Stück kurz einordnet. Da die CDs als Einzel-CDs
vermarktet werden, ist der historische Teil in beiden CDs identisch. Nur die Bilder wechseln. Schade. Das ist eigentlich verschwendeter
Platz, den man auch für den Abdruck ausgewählter Texte hätte nutzen können. Das hätte sich gerade bei dieser Thematik angeboten.
40 Stücke unterschiedlicher Interpreten lassen sich natürlich kaum ausführlich besprechen. Daher nur einige kurze Schlaglichter auf das
vielfältige Programm. Da gibt es acapella-Nummern (CD 1, Track 1), Songs mit deutlichen Gospel-Wurzeln (1,4; 1,15), James Brown-Sound-alikes
(1,6; 2,1) percussiv unterstützte Agitationsreden, die gar keine Musik im eigentlichen Sinn sind (1,7), Reggae-Adaptionen (1,8; 2,3; 2,8),
Tracks, die stark an die Disco-Smasher der 70er Jahre erinnern (1,11; 2,7; 2,13), jazzige Nummern (1,14; 2,10; 2,11), an Chicago (1,18) oder
Blood, Sweat and Tears (2,4) erinnernde Tracks, eine Jesse Jackson-Rede als Intro (2,6), höllisch groovende (2,12) und sehr dubbige (2,18)
Nummern.
Ansprechen sollte man auch noch Marvin Gaye (1/10). Briefe seines Bruders aus Vietnam veranlassten ihn 1972 aus der Liebeslieder-Romantik
seines Labels Motown auszubrechen und flammende Appelle nach einer anderen Politik seiner Regierung zu intonieren. Track 1/13 ist eine
Hommage an James Brown, der sich vom Schuhputzer zum Soulkönig hinaufkämpft - vorgetragen von einem absoluten Amateur-Jugend-Chor. Der Miriam
Makeba-Song wurde im Exil aufgenommen, nachdem die ehemalige Chart-Breakerin ("Pata Pata") nach der Heirat mit einem radikalen schwarzen
Aktivisten in den USA zur persona non grata geworden war. Last not least der Melvin van Peebles-Soundtrack-Song, aus einem Film, der für die
Mitglieder der Black Panther zum Pflichtprogramm erhoben wurde.
So kann Geschichte richtig Spaß machen.
Norbert von Fransecky
14 von 20 Punkte
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