Wie üblich waren wahnsinnig viele Bands, darunter auch wieder einige Hochkaräter, vor Ort. Da ich zeitlich und fachlich nicht über alle berichten kann, habe ich mich auf die Bands beschränkt, die ich bewerten kann bzw. gesehen habe.
The Get Up Kids, Fr., 16.08.02, 16.35, Mainstage
Die Get Up Kids, eigentlich eine der Must-See-Bands des Festivals, doch da der Andrang auf die Eintrittsbändchen zu groß war, wurde es für mich leider nur eine Must-Hear-Band. Was man gehört hat war stark, reicht aber natürlich nicht für eine fundierte Einschätzung aus. Schade, die Emocore-Helden verpasst zu haben.
Nickelback, Fr., 16.08.02, 19.00, Mainstage
Nickelback ist eine dieser Bands, die ich nicht mögen kann, weil ich sie nicht hassen könnte, Die Musik ist derart unpolarisierend, dass es einfach an einem vorüberfließt, eine Art Nebengeräusch, das nicht nervt. Auf der Bühne leben sie von posigen Massen Marshall Boxen, dem Raunen, das durch das Publikum geht, wenn wieder eine von den Leuchtraketen hoch geht und nicht zuletzt eben von den Hit-Singles. Geschickt platziert waren sie immer wieder Wachrüttler um das Volk vorm Tiefschlaf zu bewaren und zum Mitsingen zu animieren. Schlecht sind die Songs nicht, technisch sicher gespielt, der Sound ist auch ausgereift, aber eben alles ohne Konturen ....
Jimmy Eat World, Fr., 16.08.02, 20.45, Mainstage
Was ist es, das Jimmy Eat World so genial macht? Vielleicht die einfachen und eingänglichen Songstrukturen in unverkennbarem Sound und einer von Emotionalität und Melodik geprägter Eigenständigkeit? Was macht dann die Power aus, die eine geladene Atmosphäre zwischen der Band und jedem einzelnen des breiten Publikums wie ein persönlichen Dialog erscheinen lässt? Was auch, es ist geil! Eine wahnsinnig sympathische Band spielt mit Freude exzellente Songs mit viel Energie und schöpft in ca. 90 Minuten aus den beiden Alben „Clarity“ und „Bleed American“. Eine Show ohne Hänger oder ähnliches, eine Echtheit wie man sie selten erlebt.
Myslovitz, Sa., 17.08.02, 13.15, 2nd Stage
Gesangs- und melodietechnisch als eine der interessantesten Bands angekündigt enttäuschten sie nicht. Sehr ausgefeilte, detailverliebte Musik, die ein wenig in Placebo in schnell und gut erinnert.
Dover, Sa., 17.08.02, 14.00, 2nd Stage
Dover sind bekanntlich live eine der power- und temperamentgeladensten Bands des heutigen Gitarrenrocks. Die Spanier bestätigen diesen Ruf eindrucksvoll und punkten durch die Stimme der Frontfrau und der Kraft hinter dem Sound.
Filter, Sa., 17.08.02, 16.15, Main Stage
Filter ist alles andere als Mainstream, im Alternative Rock eine der wichtigsten Band des Genres. Sänger Richard Patrick benutzt seine Gitarre nur ab und an, holt dafür aber das letzte aus seiner Stimme raus und offenbart ein großes Spektrum, was der Band zu einem sehr guten Sound verhilft. Überschattet werden diese guten Eindrücke im Rückblick leider nur durch Äußerungen des Frontmans in Interviews, in denen er sich mit dem politischen Wissen eines 8-jährigen Patrioten als wahrer Außerpolitik- und Fernostexperte offenbart. Da fielen Kommentare wie „Mir scheint es al ob die USA seid jeher überall auf der Welt, wo es Trouble gab, geholfen hat um Frieden und Demokratie zu stiften. Die Menschen zeigen sich hierfür nicht dankbar....“ oder „Es ist schade, dass [...] ein kleiner Fleck Wüste das World Trade Center [...] eingerissen hat...“. Herr Patrick, bitte machen Sie Musik und halten sie über Themen ihre Fresse, von denen Sie keine Ahnung haben!
Turbonegro, Sa., 17.08.02, 18.50, Main Stage
Die Legenden aus dem Hohen Norden sind wieder auf auferstanden! Nach vier Jahren endlich zurück auf den Bühnen. Selbst die Turbojugend Santiago ist zu diesem Ereignis angereist – und sie sehen eine klasse Show. Der Sänger ist bewusst schlecht angemalt, redet leider aber in den Songpausen viel Müll wie „Kinderficken ist sehr sehr verboten!“, die Masse klatscht trotzdem. Nichtsdestotrotz eine in allen belangen beeindruckende Band, die aus dem ganzen Repertoire der Bandgeschichte einen unvergesslichen Auftritt des Rock’n’roll zelebriert.
Korn, Sa., 17.08.02, 20.30, Main Stage
Nach meiner Meinung eine der überbewertesten Bands derzeit. Sie haben durchaus ihren eigenen Stil, was gerne als Nu-Metal bezeichnet wird. Alles ist aber so abgeschliffen und kantenlos, dass es nur scheinbar hart wirkt und die optimale Möglichkeit für die 13-jährige Käuferschicht bietet, sich mit jemandem zu identifizieren, seine Aggressionen auf diese zu projizieren und sie in diesem Fall von Korn ausleben zu lassen. Psychologisch eine Art Videospiel um in andere Charaktere zu schlüpfen. Ob Korn es will oder nicht, sie sind ein Produkt (geworden), das hauptsächlich ein Image verkauft. Auf der Bühne möchten sie böse wirken, kein Wort wird gesprochen und eine (aufgesetze?) schlechte Laune verkauft. Das Publikum ist riesig und geht vor allem bei den bekannten und durchaus guten Songs mit.
Son Goku, Sa., 17.08.02, 0.20, 2nd Stage
Das « Punk » -Projekt von Thomas D., einem der Köpfe von Fanta 4, war auch da. Die Band hat seit ihrer Entstehung stark an Lobby und Popularität gewonnen und wird von den Medien gelobt, gefeaturet und gebucht. An der Musik kann es nicht liegen. Den Namen Thomas D. sehe ich da stärker damit in Verbindung, man kennt ihn mittlerweile. Die Texte sind meist sehr gut liegen aber über größtenteils einfallsloser Musik. Irgendwie alles nichts halbes und nichts ganzes. Live ganz okay, aber nicht fesselnd.
Beatsteaks, Sa., 17.08.02, 1.20, 2nd Stage
Die deutsche Vorzeigepunkrockband darf natürlich auf dem größten Alternative Festival in Deutschland nicht fehlen. Trotz der Verzögerungen, die sie erst gegen zwei Uhr nachts beginnen lassen, verliert der Zauber der Beatsteaks nicht an Wirkung. Die netten Jungs aus der Hauptstadt schaffen es eben immer wieder ihre gute Laune auf das Publikum zu übertragen. Insgesamt spielen sie langsamer als gewohnt und wählen auch viele ruhigere Songs ins Set; da fallen die schnellen Nummern dann stärker auf. Gesanglich ist es nicht viel, von Arnim ist man bessres gewohnt, sonst aber trotzdem eine gute Show.
Strike Anywhere, So., 18.08.02, 13.35, 2nd Stage
Strike Anywhere gehören zu den Szenebands auf dem Festival. Nach der zu bedauernden Absage von Face To Face, Saves The Day und Dashboard Confessional wurden unter anderem sie verpflichtet. Man findet sie dann irgendwo zwischen Streetpunk und Hardcore. Schnell, laut, energiegeladen mit guten Texten ohne eintönig zu wirken sind sie im Programm eine Art frischer, destruktiver Wind. Alle Bandmitglieder gehen aus sich heraus, wobei man in erster Linie auf den Sänger fixiert bleibt. Präsentiert wird die neue LP „Change Is A Sound“. Eine Band, die Freunde dieser Richtung nicht verpassen sollten.
Emil Bulls, So., 18.08.02, 14.20, 2nd Stage
Eine Band, die von verschiedenen Musikmagazinen immer wieder als potenzieller Retter des deutschen Alternative Rocks dargestellt wird sieht live sehr schlecht aus. Nichts passt wirklich zusammen, die Musiker spielen sogar ein Stück weit aneinander vorbei. Einige gute Songs haben sie durchaus, aber sehenswert ist’s nicht.
Gluecifer, So., 18.08.02, 15.10, Main Stage
Norwegens wichtigste Band neben Turbonegro ist einfach wegweisend. Sie hauchen dem oft todgeglaubtem Rock’n’roll wieder jede Menge frischen, etwas punkigen Atem ein und präsentieren das Produkt in bestechlicher Qualität. Saustarke Band! Wer die live sehen kann, sollte es tun.
Waterdown, So., 18.08.02, 15.50, 2nd Stage
Sie sind zunächst eine sehr interessante Band. Die zwei verschiedenen Sänger bilden eine großen Kontrast und zeigen wie man die Musik durch Stimmen beeinflussen kann. Die klare Stimme lässt an die Donots denken, wobei die dunkle Stimme an Old-School-Hardcore erinnert. Mir persönlich würde es auch ohne hohe Stimme gefallen, doch dann würde sich Waterdown nicht mehr so stark von anderen Bands abheben. Ganz gut, was sie machen.
Hot Water Music, So., 18.08.02, 17.20, 2nd Stage
Auf diese Band hatte ich mich schon das ganze Festival gefreut. Hot Water Music finden einen einzigartigen Stil zwischen Hardcore, Emo und Mosh, wobei sie durch die beiden Stimmen der Sänger besticht. Doch schon nach den ersten Sekunden hätte jemand den Mischer verprügeln sollen. Er degradiert die Band aus Gainesville zu einem Drum’n’bass-Act. Teilweise ohne Gesang wird die Abmischung erst mit der Zeit besser. Die Band selbst ist weltklasse, weckt Vorfreude auf das kommende Album und lässt ein Meisterwerk erwarten. Neben den neuen Songs war aber auch für Klassiker wie „Free Radio Gainesville“ oder „Turnstile“ Platz. Überragende Band leider sehr schlecht abgemischt.
Bouncing Souls, So., 18.08.02, 18.10, 2nd Stage
Auch die Bounding Souls sind wie erwartet ein wahres Highlight. Wer aus NYC kommt kann die HC-Roots nicht verstecken, möchte es nicht, muss fast zwanghaft eine gute Band sein und das ist auch gut so... Die perfekte Stimme des permanent herumturnenden Sängers passt genau auf das was der Rest auf den Instrumenten fabriziert. Sie spielen Songs quer durch die Bandgeschichte wie „Kate Is Great“, „True Believers“ oder „Hopeless Romantic“ ebenso wie neue Sachen wie „No Security“. Wer sie nicht gesehen hat ist selbst schuld.
Puddle Of Mudd, So., 18.08.02, 18.30, Main Stage
Allein ein paar Minuten dieser Band zu sehen ist ekelerregend. Selbst eine Nirvana-Cover-Band dürfte mehr Eigenständigkeit an den Tag legen wie dieses einzige große Rip-Off. Man kann sich ja inspirieren lassen, doch eine schlechte Kopie zehn Jahre später zu machen reicht einfach nicht aus um einen auf fetttriefenden Rock’n’roll-Helden mit dicken Eiern zu machen.
Incubus, So., 18.08.02, 19.55, Main Stage
Der Zeitplan brachte einen in inner Konflikte ob man nun Sick Of It All oder doch lieber Incubus anschauen sollte. Das Herz sagt SOIA, der Verstand Incubus. Letzterer hat dann auch gesiegt und ich habe es zu keiner Zeit bereut. Incubus war bei weitem kein Alptraum. Die Band ist der absolute Hammer und vermittelt eine unbeschreibbare Wärme – doch immer wieder kalte Schauer auf dem Rücken. Die fünf Kalifornier spielen so einmalig harmonisch zusammen, dass es einem Wunder naht, dass sich fünf Musiker, die derart gut zusammenpassen, überhaupt finden. Jeder einzelne beherrscht sein Instrument auf eine unverwechselbare Weise, Brandon Boyd eben seine Stimme. Alleine das Timing und Feingefühl des DJ’s ist eine wahre Pracht, die Technik sowie die Außergewöhnlichkeit des eigenen Stils des Bassisten sowie des Gitarristen ist Wahnsinn, ähnlich verhält es sich mit dem Drummer. Die Band traut sich neben den neueren Songs auch an ältere Stücke aus S.C.I.E.N.C.E-Zeiten. Die Atmosphäre macht das Konzert unvergesslich. Ich frage mich immer wieder, was es ist, dass diese Momente so einmalig macht, aber finde keine Antwort. Man sollte es einfach genießen. Die Toten Hosen im Anschluss nicht anzuschauen war wohl eine gute Entscheidung, da diese wohl Zerstörer des einmaligen, hypnoseartigen Gefühl gewesen wären.
Kevin Kirchenbauer