Musik an sich


Reviews
Mendelssohn, F. - Hensel, F. (Kirschnereit, M.)

Lieder ohne Worte (Gesamteinspielung)


Info
Musikrichtung: Romantik Klavier

VÖ: 27.08.2015

(Berlin Classics / Edel / 3 CD DDD / 2013-14 / Best. Nr. 0300639BC)

Gesamtspielzeit: 121:00



TIEFEMPFUNDEN

Mit dieser herrlichen Gesamteinspielung der Lieder ohne Worte von Felix Mendelssohn und seiner Schwester Fanny Hensel bereitet Matthias Kirschnereit dem Hörer über drei Stunden ungetrübte Freude. Bislang hat man diesen Miniaturen oft nur eine gewiss schöne, aber eben doch eher gefällige Salonmusik gesehen. Nicht alles schien dabei auf dem gleichen Niveau zu sein.
Während man Mozarts leichtgewichtige Sonaten mit dem Hinweis "Für Kinder zu leicht, für Erwachsene zu schwer" vor allzu kritischen Blicken und Vergleichen bewahrte und sozusagen "genialisierte", hat die von Mendelssohn und seiner Schwester kreierte Gattung "wortloser Lieder" dem mit Schumann und Chopin oder gar Liszt standhalten müssen. Wieso eigentlich? Wer hat sich von wem inspirieren lassen?

Hier bedarf es einmal mehr des unvoreingenommenen Höreres und Interpreten! Kirschnereits beredtes Plädoyer im Boolklet hat sein musikalisches Gegenstück in der tief empfundenen, sensiblen Interpretation. Wir hören ein Spiel, das die klassische Form und den romantischen Ausdrucksgehalt der Musik in eine perfekte Balance bringt. Da gibt es denn auch eigentlich kein Stück, dass nur so floskelhaft dahingeht und nicht doch für einen Moment seine eigene, kleine poetische, dabei stets verbindliche Klangwelt erschafft, selbst wenn es gernrespezifische Eigenheiten gibt, die die Stücke miteinander teilen: Die meisten Werke werden durch einen intimen lyrischen Grundtton bestimmt.
Aufgrund seiner relativ homogenen, aber eben auch schnell etwas glatten Klanglichkeit stellt der moderne Flügel noch einmal eine besondere Herausforderung dar, wenn es sich bei der Musik eben vor allem um eine Art "Instrumentalgesang" handelt, bei der die menschliche Singstimme sozusagen virtuell im Satz erscheint. Mit dem historischen Fortepinao lassen sich leichter bestimmte interessante Farbnuancen erzeugen (zum Vergleich seien Einspielungen von Tobias Koch, Ronald Brautigam, Annette Seiler oder Heidi Kommerell empfohlen).
Doch eintönig ist die Neueinspielung keinesfalls geraten: Sinnlich und sinnig werden von Kirschnereit die weit schwingenden melodischen Bögen in den langsamen Stücken ausgeformt, subtil phrasiert und artikuliert. Der Klang atmet, singt, verströmt sich. Die relative Kürze der Kompositionen steht in keinem Verhältnis zum großen Atem, der sie mitunter durchweht und das Zeitempfinden des Hörers verlangsamt. Doch es gibt auch eine andere Seite in der dieser Musik: Manche Stücke sind keck, temperamentvoll. Und auch Dunkeles und Zerrissenes findet sich - und wird von Kirschnereit ebenso angemessenen herausgespielt.
Faszinierend schließlich ist die direkte Gegenüberstellung der Werke von Felix und Fanny: Sie ist in diesem Genre gewiss die kühnere, "modernere" Komponistin, die mit ihren gewagteren Harmonik und dem weit ausgreifenden Satz einen Blick in die musikalische Zukunft eröffnet.
Auch der warme, natürliche Klang des Flügels sorgt dafür, dass diese Einspielung herausragt und man trotz der großen Zahl der Stücke immer weiter lauscht.



Georg Henkel



Trackliste
CD 1: Hefte 1 bis 4 68:30
CD 2: Hefte 5 bis 8 und ein von Kirschnereit zusammengestelltes 9 Heft 71:30
CD 3: Fanny Hensel je Vier Lieder op. 2, 5 u. 8, Pastorella 49:30
Besetzung

Matthias Kirschnereit, Klavier


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