Ligeti – Furukawa – Stäbler u. a. (Player Piano / Hocker)
Player Piano 10. Originalkompositionen und Transkriptionen in der Tradition von Nancarrow 2
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Info |
Musikrichtung:
Neue Musik Player Piano
VÖ: 21.05.2010
(MDG / Codaex / CD / DDD / 2009 / Best. Nr. MDG 645 1410-2)
Gesamtspielzeit: 67:52
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DER REIZ DES UNMÖGLICHEN
Der Reiz der Unmöglichen: Der amerikanisch-mexikanische Komponist Conlon Nancarrow hat auf dem elektropneumatischen Player Piano Musik realisiert, die manuell nicht ausführbar gewesen wäre. Zu schnell, zu viele Noten, zu verschachtelt.
In den 1980er Jahren wurde der Eigenbrötler, der über Jahrzehnte seine Musik in Handarbeit in Lochstreifen gestanzt hatte, mit seinen radikalen Konzepten auch in Europa wahrgenommen. Vor allem György Ligeti hat sich für sein Werk unermüdlich eingesetzt, bezeichnete ihn gar den bedeutendsten Komponisten des 20. Jahrhunderts. Für Ligeti, der seinerzeit einen Ausweg aus der Avantgarde-Sackgasse suchte, ohne in postmoderne Mätzchen zu verfallen, kam Nancarrows pianistisches Superuniversum gerade recht. Angeregt durch dessen polymetrische und –rhythmische Vexierspiele versuchte Ligeti in einer Sammlung von insgesamt 18 Klavieretüden, ähnliche Zauberwelten für einen Spieler aus Fleisch und Blut zu komponieren. Die technischen Grenzgänge freilich ließen eine Ausführung vor allem der schnelleren Stücke auf einem Player Piano zumindest offen. Ligeti ermutigte andere zu einer Transkription, bei der die per se komplexe Textur der Musik durch weitere, händisch nicht ausführbare Oktavierungen und Füllstimmen in ihrer Wirkung noch einmal gesteigert werden könnte.
Gesagt getan: Jürgen Hocker, der Spiritus Rector der Player-Piano-Edition und unter anderem auch für die Gesamteinspielung der Nancarrow-Kompositionen auf MDG verantwortlich, präsentiert auf seiner neuesten Platte die Etüden 9 bis 15 in fingerbrecherischer Rasanz und Perfektion. Der etwas mildere, durchsichtigere Klang des Instruments sorgt für optimale Durchhörbarkeit, ohne den Illusions-Charakter der Musik zu zerstören. Der Schwindel von Vertige oder die teuflischen Fallstufen von L’Escalier du Diable dürfen sich auf den Tasten und in den Ohren des Hörers gleichermaßen lustvoll austoben. Zwar geht die Perfektion etwas auf Kosten der Atmosphäre, die in den händischen Ausführungen auch bei weniger klarer Linienzeichnung den poetischen Gehalt der Musik noch tiefer zeichnet. Aber als Erweiterung der Hörperspektive sind diese Einrichtungen ebenso willkommen wie die Player Piano-Fassung von Ligetis Continuum oder seiner Drei Stücke für zwei Klaviere. Continuum (1968), das eigentlich für ein zweimanualiges modernes Cembalo komponiert wurde, verträgt die Übertragung ohne weiteres. Die extrem hohe Anschlagsfrequenz erzeugt quasi-elektronische Klangwirkungen, die der manisch zirpenden Originalversion in nichts nachstehen. Selbst das irrwitzige Morse-Zeichen-Finale überzeugt. Bei den Drei Stücken für zwei Klaviere (1976) fehlt es hier und da zwar an „humaner Delikatesse“. Vor allem beim 3. Satz scheint mir die „zart fließende Bewegung“ etwas zu hart genommen; den 2. Satz, u. a. eine Hommage an die Minimalmusik, habe ich allerdings noch nie so klar und verständlich vernommen.
Spannende Miniaturen sind die 12 Formen für Player Piano, die Kiyoshi Furukawa 1995 bis 1999 komponiert hat. Der Ligeti-Schüler hat algorithmische und fraktale Operationen in einminütige Stücke überführt, die wegen ihrer Kürze aber mehr wie eine Sammlung mit vielversprechenden Materialskizzen wirken.
playmanic von Gerhard Stäbler für zwei Player Pianos ist das jüngste und mit rund zwanzig Minuten Dauer auch das längste der hier eingespielten Werke. Es geht auf einen Mexikoaufenthalt und Nancarrow-Besuch Stäblers zurück und behandelt das Thema Differenz, Wiederholung und klangliche Dichtegerade. Darin mag man das wilde weihnachtliche Treiben in Mexiko-City und die Schöpfungen Nancarrows wiedererkennen. Die formale Stringenz der anderen Stücke erreicht es allerdings nicht.
Georg Henkel
Trackliste |
01-08 György Ligeti: Etüden 9-15
08 Ligeti: Continuum
09-11 Ligeti: Drei Stücke für zwei Klaviere
12 Francis Bowdery: Canon
13-24 Kioshi Furukawa: 12 Formen für Player Piano
25 Gerhard Stäbler: playmanic für zwei Player Pianos |
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Besetzung |
Bösendorfer Grand Piano mit Ampico-Mechanismus (1927)
Fischer Grand Piano mit Ampico-Mechanismus (1925)
Jürgen Hocker: Konzeption, Instrumente und Klavierrollen
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