Musik an sich


Reviews
Lully, J.-B. (Niquet)

Proserpine


Info
Musikrichtung: Barock Oper

VÖ: 01.09.2008

(Glossa / Note 1 / 2 CD DDD 2007 / Best. Nr. GCD 921615)

Gesamtspielzeit: 152:20



GROSSE SPANNUNGSBÖGEN

Mit Proserpine (1680) von Jean-Baptiste Lully hat Hervé Niquet seine Trilogie mit französischen tragedie lyriques abgeschlossen. Die von Niquet bislang eingespielten Werke bedeutender Lully-Nachfolger, Destouches Callirhoé und Marais Sémélé, sind musikalisch gewiss farbiger und illustrativer und kitzeln das Ohr mit mehr Reizen als Lullys „Prototyp“. Doch der Dirigent zeigt, dass sich die Beschäftigung mit Lullys schlichter gearbeitetem Werk dennoch lohnt.

Proserpine erzählt die Geschichte der Tochter der Göttin Ceres (die für die Ackerfrüchte zuständig ist), in die sich Pluto, der Herrscher der Unterwelt, verliebt hat. Kurzerhand lässt er das Mädchen in sein düsteres Reich entführen. Ceres gerät darüber in Rage und verwüstet das Land, Proserpina verzehrt sich derweil trotz der aufwändigen Liebesbekundungen Plutos vor Heimweh. Erst ein Eingriff von ganz oben (Jupiter) löst die Krise: Proserpina wird sch in Zukunft je ein halbes Jahr abwechselnd bei ihrer Mutter über der Erde und bei ihrem Gemahl unter der Erde aufhalten. Dem grande finale mit pompösem Götteraufzug und allgemeinem Freudentaumel steht nichts mehr entgegen.
Die Geschichte wirkt zunächst nicht sonderlich dramatisch und vielleicht ist dies ein Grund, weshalb das Werk damals nicht zu den großen Erfolgen des Komponisten zählte. Ein anderer mag sein, dass diese Oper Lullys Kompositionsmöglichkeiten gleichsam in Reinform vorstellt, ohne besondere Kennzeichen oder auffällige Neuerungen. Wieder sind es weniger die schönen Melodien, die an dem Werk fesseln als die dramaturgische Konsequenz und psychologische Stimmigkeit der Musik insgesamt. Letztere zeigt, wie sehr sich Lullys Palette an vokalen Gestaltungsmöglichkeiten vor allem in den ariosen Rezitativen entwickelt hat. Der Stoff bot Gelegenheit zu vielen leidenschaftlichen Ausbrüchen der Protagonisten (Ceres wird als zuerst leidende und dann zornerfüllte Mutter sogar zu einer heimlichen Hauptrolle) und breit ausgemalten Szenarien zwischen Himmelswelt und Hölle. Einmal mehr wünscht man sich da, dass Lullys Opern, die ja nicht in erster Linie Hör-, sondern Hör- und Schau-Stücke waren, öfter in stimmigen Inszenierungen auf DVD erscheinen mögen (einzige Ausnahme bislang ist eine arg gekürzte Fassung des Persée, ebenfalls unter Niquet).

In dieser Aufnahme besticht das üppige Orchester, das, ganz nach dem historischen Vorbild, nicht nur die Holz- und Blechbläser chorisch besetzt, sondern auch mit immerhin drei Erzlauten aufwartet. Starken Eindruck hinterlässt das mit einem Cromorne, einer Art Riesen-Oboe, verstärkte Bass-Fundament im Tutti. Der machtvolle Orchesterklang Lullys, der über die Grenzen Frankreichs hinaus für Furore sorgte, wird vom Concert Spirituel glänzend realisiert. Dabei geht der tiefe Stimmton nicht auf Kosten der Brillanz.
Aufs Beste im dem Repertoire vertraut zeigen sich auch wieder die durchweg starken Solist/innen. Als Ceres beherrscht Stéphanie d’Oustrac mit wandlungsfähigen Mezzosopran ihre Szenen. Salomé Hallers Proserpina ist eine im Leiden manchmal etwas spröde Schöne, erweist sich in der differenzierten Darstellung jedoch d’Oustrac als ebenbürtig. Dennoch hätte ich mir mitunter eine umgekehrte Besetzung auch gut vorstellen können. Mit einem samtigen, sonoren Bass bietet João Fernandez einen verführerischen Pluto, dominant und sensibel zugleich. Adäquat füllen u. a. Cyril Auvity und Blandine Staskiewicz die unverzichtbaren Nebenrollen aus.

Hervé Niquet schließlich versteht es erneut, zwingende Spannungsbögen über die Musik zu schlagen und das Ganze durch präzises Timing sehr beweglich zu halten. Seine Tempi sind zügig, der Zugriff energisch, aber mit Gefühl für die vielen zarten, entrückten Momente der Partitur. Das kann man kaum besser machen.
Höchstens noch vollständiger: Nachdem der Proserpine-Prolog offenbar nach Fan-Protesten rasch nachproduziert wurde, gibt es immer noch ein paar gleichmäßig über alle Akte verteilte Kürzungen von Tänzen oder Chor-Couplets. Sie sind bedauerlich, beschädigen die Architektur der Oper jedoch nicht nachhaltig. Bereits im 18. Jahrhundert war man, was solche Streichungen anging, weniger zimperlich, als es die allgemeine Lully-Verehrung vermuten ließe.







Trackliste
CD I 75:25
CD II 76:55
Besetzung

Stéphanie d’Oustrac: Ceres
Salomé Hallers: Proserpina
João Fernandez: Pluto
Cyril Auvity: Alpheios
Blandine Staskiewicz: Arthusa
u.a.

Chor und Orchester «Le Concert Spirituel»

Leitung: Hervé Niquet


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