Rossini, G. (López Cobos)
Il Viaggio a Reims (DVD)
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Info |
Musikrichtung:
Oper
VÖ: 19.05.2004
TDK / Naxos (2 DVD (AD: 2003, Live-Mitschnitt) / Best. Nr. DV-OPVAR)
Gesamtspielzeit: 164:00
Internet:
TDK
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EIN EUROPÄISCHES FEST
Rossinis 1825 uraufgeführte Oper "Il viaggio a Reims" (Die Reise nach Reims) gehört zu jenen Werken des Komponisten, die nur selten auf der Bühne zu erleben sind. Das liegt in erster Linie daran, dass diese komische Oper so viele hochkarätige Sänger verlangt, wie sie kaum ein Opernhaus zur Verfügung hat. Da kommt die DVD gerade recht, um zumindest daheim in den Genuß der erstklassigen Partitur und des höchst amüsanten Librettos zu gelangen. Die zugrundliegende Geschichte ist schnell erzählt: Eine Gruppe Aristokraten aus verschiedenen europäischen Ländern ist Anfang des 19. Jahrhunderts in einem Kurhotel abgestiegen, um von dort zur anstehenden Königskrönung ins französische Reims weiterzureisen. Als es losgehen soll, gibt es aber keine Pferde für die Kutschen und so muß schließlich die Krönung von Ferne, nämlich bei einer Feier im Hotel, begossen werden. Dort sind schließlich auch alle ganz zufrieden ("Der Zauberberg" läßt grüßen...). Das ganze ist gewürzt mit einigen amourösen und nationalen Verwicklungen. Vor allem aber ist das Personaltableau bevölkert von einer Vielzahl skurriler Gestalten, die alle ihre heimatspezifischen Macken pflegen, wenngleich sie offiziell stets die Einheit Euopas beschwören. Diese in der Geschichtsschreibung als "Heilige Allianz" bekannte Verbrüderung, die nur die Wiederherstellung bzw. Stabilisierung der alten Sozial- und Gesellschaftsordnung erstrebte, mag hier und da eine Parallele zur Jetzt-Zeit aufweisen. Jedenfalls wird Sergi Belbel in seiner Inszenierung und in seinem kundigen Begleittext im Booklet nicht müde zu betonen, dass auch dies zu den bis heute weiterwirkenden Wurzeln Europas gehört.
Insofern bezieht der Stoff seinen Reiz natürlich auch aus aktuellen politischen Implikationen, die Belbel aber eher zurückhaltend andeutet. Das wahre Vergnügen macht indes die Kombination aus Rossinis perlender Musik und den lächerlich übertrieben wirkenden Charakteren aus. Damit ist also nicht nur ein großes Sängerensemble verlangt, sondern auch eines aus virtuosen Solisten mit schauspielerischem Talent. Die Aufführung in Barcelona kann diesbezüglich als beispielhaft gelten: sängerische Totalausfälle gibt es nicht zu vermelden, stattdessen viele Spitzenleistungen, ein gelungenes Zusammenspiel und eine Spielfreude bei den Akteuren, die den Funken sofort überspringen läßt. Was das sängerische Können angeht, sind vor allem die Leistungen von Maria Bayo, Simon Orfila und Mariola Cantarero hervorzuheben. Letztere bringt die köstlich exaltierte französische Comtesse mit permanenter Hysterie in der stählernen Sopranstimme auf die Bühne. Maria Bayo besticht einmal mehr durch ihre scheinbar mühelosen Koloraturen, in denen sie immer noch ausdrucksstark bleibt. Orfila gibt den liebestollen Engländer mit betont heldenhaftem, jung-männlichem Baß, gespickt mit reichlich Opernpathos und einer Art "Vibratoparodie". - Eine solche Parodie paßt perfekt ins Geschehen, denn Rossini war sich nicht zu schade, ironisch auf die Oper seiner Zeit zu schauen und so werden beispielsweise auch an anderer Stelle vom Komponisten typische Wendungen der romantischen italienischen Oper respektlos persifliert. Eine überragende Leistung liefert daneben Elena de la Merced als Corinna ab: Mit ihrer reifen, volltönenden Sopranstimme meistert sie die aberwitzig schwierige Partie absolut sicher und erscheint somit nicht nur als europäischer Friedensengel im Stück, sondern auch als Siegerin in diesem Wettbewerb der großen Stimmen.
Mehr noch als durch stimmliche Qualität überzeugen beispielsweise Nicola Ulivieri, Enzo Dara und Stephen Morscheck. Sie alle entwickeln ein erstaunliches komisches Talent (wobei Dara, der den deutschen Baron mimt, übrigens verblüffende Ähnlichkeit mit Mel Brooks aufweist...). Angesichts des positiven Gesamteindrucks erscheint es fast unangemessen, einzelne Akteure herauszugreifen, die das hohe Niveau nicht ganz halten können. Meist stört das auch kaum, wie z.B. bei Josep Bros, der den französischen Cavaliere mit mancher Unsauberkeit in den Höhen und einiger Mühe singt, was aber nicht einmal schlecht zu seiner Rolle paßt. Paula Rasmussen als Polin Melibea steigert sich im Verlauf der Oper deutlich und überwindet ihre anfänglichen Schwierigkeiten beim Registerwechsel schließlich vollständig. Einzig Kenneth Tarver als russischer Conte di Libenskof zeigt sich mit den Koloraturen weitgehend überfodert und muß die Glanzlosigkeit seiner Stimme bisweilen durch ein bellendes Hervorstoßen der Töne überdecken.
Das Orchester spielt mit Amplomb und steigert sich, wie auch der Chor, nach ein paar verwackelten Einsätzen zu Beginn merklich. Jesus Lopez Cobos gelingt es dabei, das Ensemble über die gesamte Aufführungsdauer in der nötigen Spannung zu halten. Die Tempi nimmt er zügig und gibt den Ensembleszenen stets den notwendig rauschhaften Charakter, wenn auch hier noch ein wenig mehr Feuer wünschenswert gewesen wäre. Die Inszenierung wartet mit allerlei pfiffigen Details auf und sorgt für immer neue Eindrücke, Einblicke und Lacher. Nur wenn am Ende im Hintergrund die weitere Geschichte Europas per Videoeinblendung vorüberzieht, bleibt einem das Lachen über diese dekadente Gesellschaft, in der die verlorengegangene Hutschachtel das größte Problem der herrschenden Klasse ist, im Halse stecken.
Die Bildregie hat das Bühnengeschehen geschickt eingefangen. Das Klangbild ist etwas gedeckelt, gewissermaßen opernhausauthentisch.
Eine wirklich vergnügliche und unbedingt empfehlenswerte Produktion!
Sven Kerkhoff
Besetzung |
Corinna: Elena de la Merced (Sopran) La Marchesa Melibea: Paula Rasmussen (Alt) La Comtessa die Folleville: Mariola Cantarero (Sopran) Madame Cortese: María Bayo (Sopran) Il Cavaliere Belfiore: Josep Bros (Tenor) Il Conte die Libenskof: Kenneth Tarver (Tenor) Lord Sidney: Simón Orfila (Bass) Do Profondo: Nicola Ulivieri (Bass) Il Barone di Trombonok: Enzo Dara (Bass) Don Alvaro: Ángel Òdena (Bass) Don Prudenzio: Stephen Morscheck (Bass) Don Luigino: Josep Ruiz (Tenor) Delia: Claudia Schneider (Sopran) Maddalena: Mireia Pintó (Mezzosopran) Modestina: Mercè Obiol (Mezzosopran) Zefirino: David Alegret (Tenor) Antonio: Àlex Sanmartí (Bass) Gelsomino: Jordi Casanova (Tenor)
Symphonieorchester und Chor des Gran Teatre del Liceu (Barcelona)
Ltg. Jesús López Cobos
Inszenierung: Sergi Belbel
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