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Reviews
Britten, B. (Davis)

Peter Grimes


Info
Musikrichtung: Oper

VÖ: 01.09.2004

LSO Live / Note 1
3 CD DDD (AD live 2004) / Best. Nr. LSO 0054


Gesamtspielzeit: 142:43



ORCHESTRALER UND CHORISCHER FEINSCHLIFF

Der jüngsten Eigen-Produktion des London Symphony Orchestra-Labels LSO Live eilen nicht umsonst begeisterte Konzertkritiken voraus: Dieser Mitschnitt von Benjamin Brittens wohl berühmtester Oper Peter Grimes (1947) dürfte zu den gelungensten Aufnahmen des Werkes gehören.
Dabei macht sich der Dirigent Colin Davis damit noch selbst Konkurrenz, denn 1978 hat er das Werk schon einmal eingespielt. Und, um es gleich vorab zu sagen: Was seinen Part als Leiter von Orchester und Chor angeht, hat er diese erste Einspielung gewiss noch einmal überboten.
Dass es sich um einen Live-Mitschnitt handelt, merkt man lediglich der etwas trockenen Aufnahmeakustik des New Yorker Barbican an. (Dafür ist dann auch alles bis ins Detail durchhörbar.)

Abgesehen davon bereitet die (beseelte!) Perfektion, mit der hier Noten in Musik umgesetzt werden, dem Hörer eine wahre Ohrenlust. Colin Davis hört die Partitur nicht nur mit schlafwandlerischem Gespür für das dramatische Timing aus, sondern entlockt ihr mit seinem fabelhaften Orchester ein wunderbares Kaleidoskop von Stimmungen und tiefenscharfen, kontrastreichen Bilder. So geraten die sechs instrumentalen Sea-Interludes zu Höhenpunkten der Produktion. Angefangen vom irisierenden Wogen des Meeres zu Beginn des 1. Aktes über die elementare Gewalt der Sturmmusik bis hin zu den hymnischen Wellenbewegungen, mit denen die Oper ausklingt, gerät man als Hörer sofort in den Bann dieser atmosphärisch dichten Musik.
Wenn man der Einspielung einen „Vorwurf“ machen wollte, dann den, dass man hier selbst Augenblicke größter Verzweiflung, tiefster Tragik und hässlichster Pogromstimmung genießt: Sei es, weil das Orchester so fulminant aufspielt, sei es, weil der Chor in jeder Situation mit gänsehauterzeugender Klarheit intoniert. Oder sei es, weil die Solisten einfach so schön singen.

Eigentlich etwas zu schön. Womit ich, vielleicht etwas paradox, zur echten Kritik gekommen wäre: Zwar zeichnen stimmliche Souveränität und Schönheit des Timbres sämtliche Sänger/innen aus. Dennoch erreichen z. B. die Hauptdarsteller, Glenn Winstade als Grimes und Janice Watson als Ellen Orford, nicht die stimmliche Differenzierung und darstellerische Präsenz ihrer Kollegen von der älteren Einspielung. Jon Vickers gelingt es da, alle Dimensionen von Grimes heiklen Charakter aufscheinen zu lassen: den Träumer, den Sonderling, den Berserker, den Verlorenen – und diese Facetten in seiner Stimme zu integrieren. Winstade singt dagegen schön und gepflegt, durchaus mit dramatischem Impetus – aber nicht mit dem Furor und der hitzigen Energie Vickers. Winstade bietet eine ganz und gar musikalische Deutung der Rolle. Mitunter sind „Schönheit“ und dramatische Wahrheit eben zweierlei. Ähnlich sieht es bei Janice Watson aus: stimmlich ein Engel, aber als Charakter dadurch zu eindimensional, weil man ihre Leidenschaft für Grimes nicht versteht. Hellen Harper agierte dagegen mehr als Frau aus Fleisch und Blut.

Aufs Ganze gesehen bekommt man hier eine wunderbar geschlossene Interpretation von Brittens Oper, von Davis sozusagen altmeisterlich dargeboten und mit einem derart orchestralen, chorischen (und auf seine Weise auch solistischen) Feinschliff versehen, dass man das Werk anderswo wohl kaum besser hören wird.



Georg Henkel



Besetzung

Glenn Winslade (Peter Grimes)
Janice Watson (Ellen Orford)
Anthony Michael-Moore (Captain Balstrode)
Jill Grove (Auntie)
Sally Matthews (1. Nichte)
Alison Buchanan (2. Nichte)
Christopher Gillett (Bob Boles)
James Rutherford (Swallow)
Catherine Wyn-Rogers (Mrs. Sedley)
Ryland Davies (Rev. Horace Adams)
Nathan Gunn (Ned Keene)
Jonathan Lemalu (Hobson)

London Symphony Orchestra
London Symohony Chorus
Sir Colin Davis, Ltg.


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