Newcaste, Australien - 1992: Der pubertierende Daniel, der von seinen Eltern
liebevoll "Dannyboy" gerufen wird, fragt, durch die Hard Rock -
Plattensammlung seiner Eltern angeregt, seine Kumpels Ben und Chris, ob sie
nicht Lust hätten, der Langeweile mittels einer Band den Garaus zu machen.
Bald darauf trägt das Proben in der staubigen Garage Früchte und die Band
kann einen Talentwettbewerb für sich entscheiden, der ihnen die Produktion
der ersten EP "Tomorrow" ermöglicht. Der Plattendeal folgt und für die Alben
"Frogstomp" (1995) und "Freak Show" (1997) hagelt es Platinplatten; die Band
etabliert sich in der internationalen Musikszene. Und trotzdem:
Musikjournalisten stempeln Sänger/Gitarrist/Songwriter/Veganer/Frauenschwarm
Daniel Johns zu Hauf als Cobain-Clon ab, doch mit dem Erscheinen von "Neon
Ballroom" im Jahr 1999 muss auch bei den emsigsten Kritikern der Hohn dem
Respekt weichen. Besonders die ausgeklügelten Orchestrierungen, die dem Kopf
von Klaviervirtuose David Helfgott entsprangen, sorgten für ein
ausgeglichenes Album. Mit der Ankündigung eines neuen Silverchair-Albums
ging sowohl für die Fans als auch für Journalisten die Rätselei los: Zurück
zu riff-orientierten grunge-esken Songs oder hin zu schmachtenden Hymnen mit
hoch frequentierten Kopfstimmeneinsatz?
Das Ergebnis, welches Ende Juli 2002 in die deutschen Plattenläden kam, gibt
Aufschluss. Äußerlich hat sich der charismatische Frontmann kaum verändert,
nur ein (unter weiblichen Fans umstrittenes) Zickenbärtchen ziert sein
Gesicht. Musikalisch ist es eine Weiterführung seiner Affinität zu
klassischen Instrumenten und dabei haben es im die Streicher besonders
angetan. Van Dyke Parks der u.a. schon für die Beach Boys und U2
musikalische Arrangements zauberte, stand dem talentierten Songwriter dabei
hilfreich zur Seite. Die "Dannyboy"-Rufe dürften den Zynikern schon beim
Opener "Across the night" im Halse stecken geblieben sein. Überrascht dieser
doch mit einer Cembalo-Untermalung. Im Vergleich dazu und zu anderen sehr
orchesterlastigen Stücken wie "Luv your live" und "After all these years"
wirkt die erste Singleauskopplung "The Greatest View" schon geradezu als
musikalischer Wutausbruch. Außer "The lever" und "One way mule" sind es dann
auch größtenteils ruhige Songs die dem Album z.B. bei "Tuna in the Brine"
einen pompös-epischen Charakter verleihen.
Das ist dann auch das einzige Manko, welches man Silverchair bei "Diorama"
vorwerfen kann. Stellenweise sind die Songs geradezu überfrachtet mit
Geigenverzierungen und Pianoschnörkeln und geben der grandiosen Stimme
Johns' nicht genügend Freiraum zur Entfaltung. Textlich gesehen hat Daniel
Johns den depressiven Inhalten größtenteils abgeschworen und gibt sich
teilweise überraschend optimistisch und romantisch, umso trauriger in diesem
Zusammenhang die akute Verschlechterung des Gesundheitszustandes von Johns.
Arthritis erschwert ihm so gut wie alle Bewegungsabläufe und Gitarrespielen
ist in diesem Zustand pure Utopie. Promo-Termine und Tour wurden kurzerhand
abgesagt. Für einen Menschen, der wie er ständig kreativen Output mittels
Musik ausdrückt: eine Qual. Hoffentlich genest er schnell, um die Welt mit
neuen Songs für ein paar Minuten stillstehen und aufhorchen zu lassen.
17 von 20 Punkten
Christoph Henkel