Rätselhaft, spektakulär, überzeugend - so könnten die Überschriften zu den Reviews zur aktuellen Gary Moore-CD lauten.
Rätselhaft: zum einen, weil es recht unklar bleibt, ob die CD überhaupt unter dem Namen Gary Moore erscheint. Das CD-Cover lässt eher auf eine neue Band mit dem Namen Scars tippen, in der Moore den Hut auf hat. Auch einige Sätze des Promotextes weisen in diese Richtung. Im wesentlichen preist die Promotion aber ein neues Gary Moore-Album an. Der Special Guest der im Oktober Deutschland heimsuchenden ZZ Top-Tournee heißt ebenfalls Gary Moore und nicht Scars.
Spektakulär ist das Line up. Neben dem radikal zum Blues konvertierten Gary Moore (voc, git) sind Cass Lewis, Ex-Drummer der Crossover-Heroen Skunk Aansie, und Power Metal-Drummer Darrin Mooney, hauptberuflich bei Primal Scream in Lohn und Brot, an Bord. Gegensätzlicher könnte höchstens noch die Verpflichtung von Richard Clayderman an den Keyboards sein.
Dennoch hinterlässt Scars keine stilistisch verwirrten Wunden im CD-Regal. Moore präsentiert ein erstklassiges Blues-Rock-Album. Skunk Anansie oder Primal Scream-Fnas werden kaum auf ihre Kosten kommen. "Back to the Roots" heißt in diesem Fall, dass Moore deutlich hinter die Zeit seines extrem introvertierten BBM-Projekts zurückgreift. Nicht die Metal-Scheiben seiner Frühzeit, noch der folkloristisch angehauchte Hard Rock á la "Wild Frontier" ist gemeint (obwohl Moore´s Stimme auf dem Opener und dem Rausschmeißer stark an die "Corridors of Power" erinnert), sondern primär die Scheiben "After the War" und "Still got the Blues". Wobei Moore auf Scars die kraftvoll rockigen Elemente dieser Scheiben mit dem bluesigen Tenor der BBM-Phase verbindet. Der Rock´n´Roll hat weiter Pause.
Immer wieder kommen einem beim Hören von Scars alte Heroen ins Gedächtnis: Otis Redding´s "Dock of the Bay" bei Track 5; Stevie Ray Vaughn (Track 6), Omar and the Howlers (Track 7 - müsste live für geniale Feedbackorgien gut sein). "Ball and Chain" ist eine an Jimi Hendrix angelehnte improvisiert ausgedehnte Unendlichkeit, die am Ende mit Einsprengseln begeistert, die an Blackmore´s beste Live-Auftritte erinnern.
Scars ist schlicht eine äußerst überzeugende Tour de Force durch x Jahre Blues- und Rock-Geschichte; erzählt von einem der immer noch überzeugendsten Performer an Gitarre und Mikro, der endlich seine harten Kanten wieder gefunden hat und sie überzeugend (noch einmal) in seine Gesamtbiographie, bzw -discographie einwebt.
Norbert von Fransecky
16 von 20 Punkte
www.sanctuaryrecordsgroup.co.uk