Musik an sich


 
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Harmonie Universelle - Portrait des Labels Alia Vox 1998-2001

 
Sampler sind mittlerweile bei den Klassiklabeln zur Saisonvisitenkarte geworden. Alles, was in der nächsten Zeit an Produktionen auf den Markt kommt oder schon ist, findet sich auf einer randvollen CD zu einem bunten Potpourri vereint, und das meist zum Sonderpreis: musikalische Appetithäppchen, die Lust auf mehr machen sollen. Großes "Programm" zum kleinen Preis also, genau das Richtige für den unverbindlichen "klassischen Moment" zwischendurch. So verheißt es z. B. die folgende Universal-Pressemitteilung:
"Liebe Musikfreunde. MONDÄN! - Die Compilation für Werber, Cabriofahrer, Livestyle-Junkies und alle anderen Musikliebhaber. Unsere Empfehlung für den Sommer 2001: Ein Adagio von Albinoni, ein Nocturne von Chopin, einen Walzer von Schostakovich [sic!]. Eingängige Weisen, populäre Melodien und ein Hauch von Melancholie prägen den Stil dieser CD. Die perfekte Vertonung großer Gefühle und besonderer Momente - das ist 'Mondän'. Viel Spaß mit der 'Café del Mar' der Klassik wünscht Ihnen Universal Classics."
Noch Fragen?
Warum also hier eine Sampler-Besprechung? Weil's in diesem Fall wirklich mal Musik jenseits des üblichen Klassikrepertoires zu entdecken gibt. Obwohl J. S. Bach auch vertreten ist...

1998 gründete der spanische Gambist Jordi Savall sein eigenes Label Alia Vox. Für jeden Künstler, so Savall in einem Interview, käme irgendwann der Punkt, wo er die Entscheidung für eine Produktion nicht mehr von den Vorgaben eines fremden Management abhängig machen wolle - das eigene Label wird hier also im wahrsten Sinne als Instrument verstanden, um die eigenen programmatischen Vorstellungen konsequent umzusetzen. Seit über 25 Jahren schon ist Savall einer der führenden Interpreten Alter Musik, sei es als Solist oder Spiritus Rector diverser von ihm gegründeter Ensembles. Die drei Gruppen, die auch das Programm der vorliegenden CD bestreiten, sind "Hesperion XXI", "La Capella Reial de Catalunya" und "Le Concert des Nations". So verschiedenartig die Besetzung der einzelnen Gruppen, so weitgespannt ist auch das Repertoire: Es reicht von der Musik des Mittelalters bis zum 18. Jahrhundert, von der Musik der sephardischen Juden bis zu Johann Sebastian Bach.
Der Titel des Albums, "Harmonie Universelle" verspricht nicht zu viel: Trotz der so verschiedenartigen Stücke bleibt der individuelle interpretatorische Ansatz Savalls und seiner Musiker immer erkennbar. Ich kenne kaum Einspielungen mittelalterlicher Musik, die so wenig sentimental und raunend-esoterisch daherkommen kommen wie in diesem Fall. Die Souveränität im Umgang mit den Instrumenten und die Selbstverständlichkeit, mit der hier notierte Musik mit Improvisation verbunden wird, macht dabei aus jedem Stück große Kunst. Exemplarisch nachzuhören ist das bei Track 2: Diáspora Sefardí. Was die spanische Sängerin Montserrat Figueras und das Ensemble Hespérion XXI hier von Musik sephardischer Juden bieten, ist wirklich atemberaubend. Das Timbre von Figueras Sopran erinnert mehr an Orient als Okzident und beschwört zusammen mit der delikaten Begleitung faszinierende Bilder einer fremden, vergangenen Welt. Ein Stück mittelalterliche World-Music im besten Sinne. Die Sängerin ist übrigens die Frau von Jordi Savall und arbeitet regelmäßig mit ihm zusammen.
Ihre ungemein farben- und wandlungsreiche Stimme, die man einfach mal gehört haben muss, kann man daher auch hier noch öfters bewundern, z.B. bei einem Stück aus den wunderbaren "Tonos Humanos" von José Marín, den "Battaglie & Lamenti" oder - ein weiterer Höhepunkt: den El Cant De La Sibilla, von denen noch zwei weitere Alben beim Vorgängerlabel Astree-Audivis erschienen sind (Wer mit Alia Vox durch ist, kann da gleich weiter machen, zumal viele der älteren Aufnahmen inzwischen als Midprice erhältlich sind!).
Nicht weniger überzeugend sind auch die übrigen musikalischen Entdeckungen geraten, sei es das bewegende, vierstimmige "Adoramus te" von Alfons V El Magnánim oder der Ausschnitt aus der fiktiven musikalischen Biographie Kaiser Karls V.
Jordi Savall bestreitet als Solist oder primus inter pares vor allem die diversen Programme mit Gambenmusik (Elizabethan Consort Music, The Tears of the Muses, Les Voix Humanes). Auch Bekannteres findet sich bei Alia Vox, wie Bachs Musikalisches Opfer, das aber in Deutschland in der Gesamteinspielung noch nicht erhältlich ist.
Die besonderen Qualitäten von "Le Concert Des Nations" zeigen sich bei der Einspielung mit Suiten aus Werken Jean-Baptiste Lullys: Vor zwei Monaten habe ich an dieser Stelle noch die Filmmusik zu "Der König tanzt" besprochen. Reinhard Goebel präsentierte hier einen ungemein dynamischen, rauhen Lully, mit breitem instrumentalen Pinselstrich. Vergleicht man den "Marche pour la Céremonie Turque" auf beiden Aufnahmen, könnte man sagen, daß Goebel da anfängt, wo Savall aufhört. Dessen Ansatz ist feinsinniger, nicht auf den großen Effekt bedacht und nutzt sich gerade bei diesem Ohrwurm weniger schnell ab. Und wenn man dann (auf der Gesamteinspielung) das mediterrane "1er Air des Espagnoles" mit seinem subtilen, geradezu gesanglichen Schlagzeugpart hört, fühlt man sich in Regionen versetzt, die den Sephardischen Gesängen gar nicht mehr so fern zu sein scheinen...

20 Punkte für ungebremste Abenteuer- und Musizierlust!

Georg Henkel
 

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