Long Earth
Once Around The Sun
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Die Schotten Abel Ganz verblieben jahrzehntelang in der zweiten Reihe des Progrock, und letztlich bekamen sie sich intern in die Haare, so dass Keyboarder/Bandkopf Hew Montgomery ausschied und an den Werken der jüngeren Vergangenheit, von denen alle paar Jahre mal eins das Licht der Welt erblickt, nicht mehr beteiligt ist. Seit einigen Jahren existiert allerdings eine Formation namens Long Earth, mit der Montgomery wieder ins Geschehen eingegriffen hat, wenngleich nicht an vorderster Front als festes Bandmitglied, sondern als Produzent und gelegentlicher Gastmusiker. Nach dem 2017er Debüt The Source ist Once Around The Sun nun das zweite Album dieser Formation, die außer Montgomery (hier als Engineer, als Produzent, als Co-Designer und für „Additional Vocals“ gelistet) noch eine weitere Abel-Ganz-Connection aufweist, nämlich in Gestalt von Drummer Ken Weir, der in den Achtzigern die ersten Demos der Band eintrommelte, auf deren allererstem übrigens noch Alan Reed sang, der dann zu den etwas bekannter gewordenen Pallas wechselte.
Und ebenjener Ken Weir ist maßgeblich dafür mitverantwortlich, dass Once Around The Sun nur partiell ins Progrocklager einzusortieren ist – für eine Formationen dieses Genres spielt er nämlich erstaunlich geradlinig, hält nicht selten minutenlang stoisch einen Bum-Tschak-Vierer-Rhythmus durch und stiftet seine Kameraden offenbar dazu an, Gleiches zu tun. Klassisches Beispiel für diese Herangehensweise ist gleich der achtminütige Opener „We Own Tomorrow“, in dem Gitarrist Renaldo McKim, wenn er ein Riff spielt, immer das gleiche wählt, das aus genau einem permanent wiederholten und stets identisch rhythmisierten Akkord besteht – sowas ist man im Progrock nun ganz und gar nicht gewöhnt und beständige Phrasenwiederholungen in Vielfachen von 4 auch nicht in dem Maße. Das Schöne an der Sache: Die acht Minuten werden, wenn man sich einmal auf die Musik eingelassen hat und neben dem Faible für Progrock auch noch eins für klassischen AOR mitbringt, keineswegs langweilig, zumal McKim durchaus auch für phantasievoll fließende Soli gut ist und Sänger Martin Haggarty mit einer angenehmen Normalstimme über allem agiert. So fühlt man sich nicht selten an eine progrockige Version des ersten Pride-Of-Lions-Scheibchens erinnert, aber auch andere Vergleiche springen dem Hörer ins Hirn. In „A Guy From Down The Road“ etwa holt Keyboarder Mike Baxter kurz vor Minute 3 Sounds aus seinen Instrumenten, die man auch aus NDW-Zeiten von Formationen wie DAF kennt, und da paßt der stoische Grundcharakter auch wie die sprichwörtliche Faust aufs Auge, während man sich andererseits gelegentlich an Deep Purple erinnert fühlt, wenn Baxter die Hammond anwirft. Die Halbballade „My Suit Of Armour“ wiederum hätte auch auf eins der melodicrocklastigeren Alben von Marillion gepaßt, wobei Haggarty hier zum Ende hin Höhen erklimmt, in denen er von der Stimmfärbung her ein klein wenig an a-has Morten Harket erinnert. „What About Love“ besitzt ein latentes Westcoast-Feeling, „The Man In The Mirror“ hingegen spielt mit zahlreichen, oft angedüsterten Tonartwechseln und versprüht daher ein für Long-Earth-Verhältnisse eher „abgedrehtes“ Feeling, wenngleich diese Einschätzung natürlich im Gesamtkontext des Bandschaffens gesehen werden muß. Mit nur knapp über vier Minuten ist das einer der kürzeren Tracks des Repertoires der Band, und er endet etwas plötzlich, wobei man das unbestimmte Gefühl hat, hier sei noch nicht alles auserzählt.
Dafür nehmen sich Long Earth beim Titeltrack dann enorm viel Zeit, denn der kommt als vierteilige Suite mit einer Gesamtspielzeit von etwa 33 Minuten, was fast genau der Hälfte der kompletten Spieldauer der CD entspricht. „Once Around The Sun“ könnte man in astronomischer Hinsicht deuten, was auch mit dem Coverartwork korrespondieren würde und mit den Titeln der vier Teile, die den vier Jahreszeiten der gemäßigten Breitengrade entsprechen, ebenso. Beim genaueren Studium der Lyrics entpuppt sich die Lage dann allerdings als etwas anders gepolt, denn der Jahreszeitenkreis liefert zwar zahlreiche sprachliche Bilder (und auch visuelle, die im Booklet den Lyrics hinterlegt sind), dient in der Gesamtbetrachtung aber nur als Metapher für eine Beziehung, die im Frühjahr mit dem Knospenschwellen und einem auf der Straße fröhlich trällernden Mädchen beginnt (vor einem knappen Jahrhundert hieß das „Veronika, der Lenz ist da“), im Sommer zur vollen Entfaltung kommt, im Herbst in Treueschwüre und Vorahnungen des Endes mündet und letztlich im Winter tatsächlich zu Ende geht. Der Frühling hebt dabei mit locker-flockigen Akustikklängen an, während der Sommer den mit Abstand kompliziertesten Drumrhythmus des ganzen Albums auffährt, diesen aber genauso stoisch zum Einsatz bringt, so dass man ihn nach den sieben Sommerminuten trotz des Vorhandenseins einiger Breaks und eines wabernd-warmen Sonnenuntergangs am Strand im Finale dieser Jahreszeit fast schon auswendig mitklopfen kann. Die Stimmungsüberleitung in den Herbst gelingt trotz nicht durchgehender Atmosphäre problemlos, und in selbigem fühlt man sich bisweilen an das Lake-Of-Tears-Meisterwerk Forever Autumn erinnert, das in der akustischen Darstellung dieser Jahreszeit immer noch unübertroffen ist. Hier lauert der ergreifendste Refrain des Albums, und Haggarty arbeitet wieder in für seine Verhältnisse relativ großer Höhe, diesmal aber ohne die Harket-Anklänge. Reichlich zwei Minuten geht es erst als leicht neblige, aber noch warme Soundlandschaft, dann mit Akustikklängen in den Herbst hinein, bevor sich mit einem angezähten, abermals stoischen Rhythmus das Gefühl des nahenden Endes breitzumachen beginnt. Interessanterweise dauert der Winter-Teil fast so lange wie der Frühling und der Sommer zusammen, und hier legen Weir und Bassist Gordon Mackie (noch einer aus dem Abel-Ganz-Dunstkreis) ein federleicht groovendes Rhythmusgerüst hin, das irgendwie eher zur gemeinsamen Freude über in der Luft tanzende Schneeflocken passen würde – die Abgründe lauern hier nur in diversen harmonischen Moll-Auflösungen und einigen wenigen von Weir mit zusätzlichen Beckenschlägen betonten Fills, während McKim fließende, alles andere als traurige mehrstimmige Leads einbringt, so als ob der Protagonist irgendwie froh wäre, dass er die Frau wieder los ist. Nach 7:45 Minuten scheint das „geschafft“ zu sein (damit wäre der Winter dann ungefähr so lang wie der Herbst und wie der Sommer), aber dann folgt noch die Konklusion für den gesamten „Jahreskreis“, die keinen gesondert gezählten Teil bekommen hat, das Ende abermals beklagt und von Weir erneut mit einem sehr ungewöhnlichen Rhythmus unterlegt wird, über dem auch McKim nochmal soliert und abermals kein Gefühl für das Ende aufkommen läßt – der Jahreskreis geht ja wieder von vorn los, und vielleicht wartet auch irgendwo neue Liebe, die sich zur Abwechslung mal azyklisch entfaltet. „Winter“ verebbt allerdings ins Nichts und läßt den Hörer ein klein wenig verwirrt, aber auch angetan zurück. Für Progrockanhänger mit Neigung zu wildem musikalischem Gebräu ist das hier nichts, aber wer Grenzbereiche zum AOR schätzt, könnte hier etwas Interessantes entdecken.
Roland Ludwig
Trackliste |
1. We Own Tomorrow (8:07)
2. My Suit Of Armour (5:03)
3. A Guy From Down The Road (12:00)
4. What About Love? (4:23)
5. The Man In The Mirror (4:16)
Once Around The Sun
6. I. Spring (5:14)
7. II. Summer (7:41)
8. III. Autumn (7:38)
9. IV. Winter (12:33) |
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Besetzung |
Martin Haggarty (Voc)
Renaldo McKim (Git)
Mike Baxter (Keys)
Gordon Mackie (B)
Ken Weir (Dr)
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