Coastline Paradox
Welf & Eiger
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Ein seltsamer Plattentitel - Welf & Eiger – die Musik wurde auf Schloss Welfenstein in Südtirol einstudiert und in Bern am Eigerplatz im Studio der dort ansässigen Hochschule aufgenommen, daher also…
Coastline Paradox ist ein junges Quintett aus Deutschland, Österreich und Italien, das 2017 vom Trompeter Richard Köster gegründet wurde. Und warum der Bandname? So wird es im Pressetext erläutert: Die Länge einer Küstenlinie lässt sich nicht genau definieren. Nehmen wir das bitte so zur Kenntnis! Denn dieses mathematische Phänomen, das mit eindrucksvollen Begriffen wie Fraktal, unendliche Dimension und Haußdorff-Maß erklärt wird, hat einer fantastischen jungen Band den Namen gegeben, die hier ihr Debütalbum vorlegt. Weiterhin heißt es:
Denn spannend wird es da, wo ein musikalisches Meer der Möglichkeiten auf die Kultur des Festlands trifft. Dort, wo man Sand und Sonne oder Gischt und Gewitter findet. Ein Ort, an dem man mal leise lauschen will und mal überwältigt staunen darf.
Ebbe und Flut ist mir nicht unbekannt, lebe ich doch schließlich am Meer. Und in der Tat bergen die Gezeiten Widersprüche in sich, oder besser – Unterschiedlichkeiten, die zwei verschiedene Stimmungen erzeugen. Je nach Ebbe oder Flut riecht es in der Stadt ganz anders, und wenn dann noch Wind dazukommt, dann kann sich das verstärken, auch Luftfeuchtigkeit spielt eine Rolle, Geräusche klingen jeweils anders, ganz besonders bei Nebel. So versuche ich mir die Musik der Band näher zu bringen als musikalisches Meer, dass mit der Flut auf die Kultur des Festlandes trifft.
Und das kann durchaus unterschiedliche Stimmungen hervorrufen, Vereinigung verschiedener Strukturen oder Abwehr und Sperrung. So sind auch die einzelnen Stücke der Platte recht unterschiedlicher Natur. Bereits im Opener erscheint eine Art abstrakter Melodik, die ein wenig gegen den Strich gebürstet erscheint, nicht sehr anspringend, sondern eher cool und technisch wirkend. “Die Weiche“ wirkt bereits luftiger, eine Nuance Latin Groove versucht die nüchterne Sachlichkeit ein wenig aufzuweichen.
“Das muss sein“ ist total verhalten, das Stück hält sich im Hintergrund und klingt wie ein verhaltener Versuch, sich bewusst zurück zu halten, erst langsam erfährt es eine Steigerung, Bass und Schlagzeug treiben an und nach fast drei Minuten scheint sich eine Struktur entwickelt zu haben. Mitunter wirkt die Musik sehr unnahbar und wenig emotional, oft mit einem Hauch von Avantgarde.
Auffällig ist die Spielzeit der beiden letzten Songs, die sich mit 14:45 und 12:31 erheblich abheben von den übrigen. Auf “Die Rache“ nutzt man die lange Spielzeit offen aus und lässt sich Zeit, mitunter fühle ich mich hineingezogen in die Atmosphäre nordisch geprägten zeitgenössischen Jazz‘, ein wenig Tomasz Stanko hinsichtlich des Trompetenspiels scheint ebenfalls durch. Wie bei allen anderen Songs auch, hier aber besonders, ist mir die mit wesentlichem Anteil Form der Gestaltung der Musik durch den Pianisten angenehm auffällig. Felix Römer ist es, der diese geheimnisvollen verwunschen klingenden Stimmungsbilder gekonnt einsetzt. Dumpf und düster wirkt dazu die Rhythmusgruppe. Beide Bläser bestimmen auch nicht nur durch jeweilige Soli, sondern durch ihre schwebend wirkende Synthese entscheidend diesen teilweise wie auf Wolken gebetteten Sound.
“Trist Sel“ ist ein weiteres eigentümliches Stück, dass völlig spartanisch mit einem gedämpft und wie in Nebel getauchten Trompetenbeitrag, untermalt vom nur einen Ton spielenden Piano, geheimnis-und verheißungsvoll startet. Der Piano-Ton bleibt lange bestehen, auch wenn sich darüber der Sound entwickelt und vorwärtstreibt mit zur wilden Eruption, die sich etwa bei 4:44 anbahnt. Ja, es wird wild, eine Wildheit, die ebenfalls nordisch klingt, stark an Werke von Edward Vesala erinnernd, fantastisch mitreißend und packend. Später wird es dann wieder ruhig und beschaulich, klimpernde Klänge begleiten ein elektrisches Bass-Solo, dass eine dicke Prise Rock-Feeling einbringt, absolut gegensätzlich
Die langen Songs zeigen mir insofern, dass das eindeutig die Stärke der Band ist, sich langsam und ohne Zeitdruck zu entwickeln und dabei frei von Zwängen in Regionen vorzuarbeiten, die abseits herkömmlicher Strukturen zu finden sind. Da müssen dann nur noch die Deiche halten und der anstürmenden Flut des Meeres der musikalischen Möglichkeiten trotzen…
Wolfgang Giese
Trackliste |
1 Bar? Ok! (5:46)
2 Die Weiche (6:02)
3 Das muss sein (6:35)
4 Colonel Grefsen (2:58)
5 Tannenwald (4:13)
6 Die Rache (14:45)
7 Trist sel (12:31)
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Besetzung |
Richard Köster (trumpet & flugelhorn)
Damian Dalla Torre (tenorsax)
Felix Römer (piano)
Marc Mezgolits (bass)
Valentin Duit (drums)
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