Bei Coarbegh klingt London pastoral
Norbert von Fransecky hat sich in den letzten 20 Jahren immer wieder einmal mit Projekten beschäftigt, an denen Philipp Jaehne beteiligt ist. Im März dieses Jahres ist sechs Jahre nach dem Debüt ein zweites Album von Coarbegh erschienen. Dazu sind Norbert ein paar Fragen durch den Kopf geschossen, die er Philipp vorgelegt hat. Philipp Jaehne: Es ist tatsächlich das dritte. Dazwischen gab es noch Dark Sky Reserve, das wir aber nur digital veröffentlicht haben und das daher leider ziemlich untergegangen ist. Dark Sky Reserve haben wir schon in der aktuellen Besetzung, also nur Pia und ich, eingespielt. MAS: Der Titel der CD lautet `The Sound and Flow of London Town´. Auf dem Cover werfen wir einen Blick in einen U-Bahn-Tunnel. Das weckt eher ungemütliche Erwartungen. Man rechnet mit dem Blick auf die Schattenseiten der Millionenmetropole, schmutzige Gassen, Hektik, Stress, Verkehrslärm. Davon ist auf der eher pastoral klingenden CD nichts zu hören. Wie passt der Moloch London mit dieser Musik zusammen? Philipp Jaehne: Ich liebe London, ich werde dieser Stadt wohl niemals müde werden. Es gibt so viel absolut magische Ecken, die es irgendwie schaffen, ihren Charme zu bewahren - trotz aller Veränderung drumrum. Zum Beispiel Maryon Park, dem sich ein Stück des Albums widmet: Dort hat Michelangelo Antonioni in den 60ern seinen Kultfilm Blow-up gedreht. Da sieht es heute noch genauso aus wie vor 50 Jahren und es herrscht noch exakt die gleiche Atmosphäre.
Oder das Cover, auf das du anspielst. Das ist ein simpler Fußgängertunnel, in man aber eine Lichtinstallation gebaut hat. So wird daraus die Passage Of Colours, durch die zu gehen geradezu psychedelisch wirkt. MAS: Laut CD-Cover stammen von Dir die Keyboards und „Field Recordings“. Auch da hatte ich natürlich die Erwartung an eine akustische Großstadt-Kulisse. Ich stellte mir vor, Ihr wärt mit dem Mikro durch London gelaufen und hättet Verkehrslärm, kreischende U-Bahn-Räder und ähnliches aufgenommen. Ich tue mich allerdings schwer auf der CD überhaupt irgendwelche Field Recordings zu entdecken. Wo sind sie geblieben? Philipp Jaehne: Genauso haben wir es gemacht: Mit dem Mikro durch London gelaufen und u.a. all das aufgenommen, was du erwähnst (und vieles mehr). Und so hört man auf der CD Verkehrslärm (von Abbey Road) eine beschleunigende U-Bahn, eine ratternde Rolltreppe, Stimmengewirr (aus der Albert Hall) etc.. Bzw. wenn du, wie du sagst, es nicht hörst, haben wir alles richtig gemacht, denn die Platte sollte schließlich kein Hörspiel werden. All diese Geräusche sollten Teil der Musik werden. So habe ich z.B. besagte Rolltreppe durch den Filter eines Moog-Synthesizers gejagt, so dass es jetzt klingt wie ein pulsierendes Pad, aber eben eines, das du anders nicht erzeugen kannst. Viele dieser Geräusche wirst du nur wahrnehmen, wenn du weißt, dass sie da sind. Aber wenn sie nicht da wären, würde definitiv etwas fehlen. MAS: Ich bin wenig mit London vertraut. Aber natürlich fällt mir auf, dass die Titel sich in der Regel auf bestimmte Orte beziehen. Sind die Stücke so konkret von diesen Orten inspiriert? Philipp Jaehne: Ja sind sie. Und so habe ich eben auch diese Field Recordings genau an diesen jeweiligen Orten aufgenommen. Hört natürlich kein Mensch, hat mir aber einen Riesenspass gemacht ;-). Ich habe schon Maryon Park erwähnt: In dem Stück hört man das Rauschen von Wind in Laubbäumen und Geräusche von einem Tennisplatz (das Plöp-Plöp des Balles wird zum Rhythmus des Stückes.) Wer Blow-up kennt, wird diese Anspielung verstehen.
Auch sonst sind da neben Orten, die wahrscheinlich nur mir etwas sagen, eine Reihe von Orten aus der Rock- und Pop-Geschichte dabei. Das alles im Detail darzustellen, würde jetzt zu weit führen, das soll ja hier kein Reiseführer werden. Aber ja, es waren diese Wanderungen durch London auf der Suche nach Geräuschen, von der die Inspiration für die Stücke des Albums kommt. MAS: Wenn bei einem Art-Rock / Prog-Act der Name Battersea fällt, sind die Assoziationen zu Pink Floyd natürlich sofort da. Hat der „Battersea Dream“ irgendwas mit Floyd zu tun? Philipp Jaehne: Klar, Floyd ist immer eine Inspiration. Wobei hier weniger die Battersea Power Station Thema ist. Die wird übrigens gerade in ein Einkaufszentrum mit Wohnblocks umgebaut und hat mit dem Animals-Cover nicht mehr viel zu tun. Aber direkt neben diesem monströsen Symbol der Industrialisierung liegt der Battersea Park, der eben diese pastorale Atmosphäre hat, die dir aufgefallen ist. MAS: Rein optisch steht Pia Darmstaedter (Flöte, Stimme) im CD-Cover gleichberechtigt neben Dir (Keyboards, Field Recordings). Coarbegh erscheint als Duo. Hören tut man vor allem die Keyboards. Was unterscheidet `The Sound and Flow of London Town´ von einem Philipp-Jaehne-Solo-Album?
Philipp Jaehne: Pias Flöte gibt dem ganzen überhaupt erst Leben. Du hast schon Recht, die Keyboards überwiegen und Aufbau und Struktur der Stücke mache ich auch tatsächlich erstmal allein. Aber in dieser Fassung wäre das eine Art von elektronischer Musik, die mich persönlich ziemlich kalt lassen würde. Es sind dann Pias Melodien, auch wenn sie manchmal nur kurz durchscheinen, die das ganze spannend machen. Übrigens ist Pia bei den Live-Versionen der Stücke wesentlich präsenter. Sehr interessant zu erleben, wie die Stücke dann noch einmal eine völlig andere Gestalt annehmen. Da trete ich gerne in den Hintergrund. MAS: Eine Frage beschäftigt mich schon länger. Was bedeutet „Coarbegh“ eigentlich? Philipp Jaehne: „Coarbegh“ ist der Name des Ortes im äußersten Südwesten Irlands, an dem wir große Teile des ersten und zweiten Coarbegh-Albums aufgenommen haben. Was es heißt, habe ich bis heute nicht herausfinden können, dafür reicht mein Gälisch nicht ;-) MAS: Ich habe Dich ursprünglich über Deine Band Poor genetic Material kennen gelernt und andere Aktivitäten, wie Coarbegh oder Autumnal Blossom, als Nebenprojekt wahr genommen. Ist das so (noch) richtig und in was für Projekten bist Du aktuell aktiv?
Philipp Jaehne: Für Pia steht naturgemäß Autumnal Blossom im Zentrum, das ist ihr Projekt, da ist sie allein für Musik und Texte zuständig. Für mich ist sicher Poor Genetic Material die Hauptband. Die hat einfach auch eine ganz andere Reichweite als Coarbegh. Allerdings, dadurch dass Coarbegh im Gegensatz zu PGM live aktiv wird, verschiebt sich das gerade ein wenig. MAS: Zum Schluss ein Blick in die Zukunft. Was ist von Dir zu erwarten? Neue Aktivitäten von Coarbegh, oder erst einmal wieder ein PGM-Album? Philipp Jaehne: Beides! Im Herbst wird es ein neues Poor Genetic Material Album geben: Here Now. Wenn man so will, ist das thematisch die andere - optimistische - Seite des letzten Albums Absence. Außerdem ab Herbst, wie schon erwähnt, Coarbegh Live. Ich bin gespannt, wo uns das hinführen wird.. Genügend Material für ein neues Studio-Album haben wir auch schon ... Und, nicht zu vergessen, Pia ist dabei, das dritte Autumnal Blossom fertigzustellen. Da kommt also so einiges, die Ideen gehen uns so schnell nicht aus. Norbert von Fransecky |
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