Eine unfreiwillig ehrliche Autobiographie der Twins
Ich muss zugeben, dass ich selten eine ehrlichere Musikerbiographie gelesen habe, als Die Abenteuer der Twins. Wahrscheinlich würde mir Autor Sven Dohrow, seines Zeichens 50% der Twins, da sofort zustimmen. Ob wir allerdings dasselbe meinen, erscheint mir fraglich. Wer sind, bzw. waren diese Twins eigentlich? Lohnt es sich über sie ein Buch zu schreiben? Und das dann auch noch zu lesen? Für Dohrow, der wie gesagt einer der zwei Zwillinge war, lohnt sich das Schreiben allein schon wegen der damit verbundenen Erinnerungen sicher. Mich hatte der Untertitel neugierig macht - Electronic Pop in den 80ern. Das ist ein Jahrzehnt, das ich sehr bewusst miterlebt habe und ich war gespannt, welche Erinnerungen Die Abenteuer der Twins wohl wach rufen würden. Dass das nun am Beispiel der Twins geschehen sollte, war mir relativ egal. Denn das Duo – Und bereits hier trenne ich mich deutlich von der Ansicht des Autors. – ist wenig mehr als eine marginale Fußnote in der Musikgeschichte. Wer in den 80ern regelmäßig Radio gehört hat, müsste den Bandnamen schon einmal gehört haben. Ob er sich an konkrete Titel erinnert, ist eine andere Sache. Die Berliner ritten eine Zeit lang auf den Wellen, die vor allem britische Synthie- und Elektropop-Gruppen aufgeworfen haben – nette, harmlose Gebrauchsmusik mit kleinem Hitpotenzial und relativ geringer Halbwertszeit. Obwohl ich im Gegensatz zu meinem Freundeskreis damals eine ganze Menge Radio- und Chartsmusik aufgenommen habe, habe ich den Finger bei den Twins nie auf den Aufnahmeknopf gedrückt, genauso wenig wie bei den wesentlich bekannteren Thomson Twins, die stilistisch nicht allzu weit entfernt waren. An die hatte ich zugegebenermaßen zuerst gedacht, als ich die Promo-Mail für Die Abenteuer der Twins im Postfach hatte. Sven Dohrow sieht in den Twins dagegen eine ungeheuer innovative Formation, die mehr oder weniger eine ganze Musikepoche mitgeprägt hat. In Deutschland hat allerdings gerade einmal eine Single („Ballet Dancer“) den Einzug in die Top 20 geschafft – auf Platz 19. Das dazu gehörige Album kam auf Platz 30. Erfolgreicher waren die Twins in Italien. Dort waren sie 1983 mit drei Singles in den Top 10. Das war es dann aber auch schon. Der Erfolg in Italien wird dann auch genüsslich ausgewalzt. Denn darum geht es in Die Abenteuer der Twins vor allem, um den Erfolg und seine nach außen erkennbaren Anzeichen. Sven Dohrow stellt uns einen seiner Porsche, die er gefahren hat, nach dem anderen vor. Immer wieder spricht er von den Luxushotels und Luxusrestaurants, in den ihn sein Weg als musikalischer Superstar gebracht hat. Bei den neuen Synthesizern, die er sich für sein Studio zugelegt hat, erwähnt er auch gerne einmal die Anzahl von Tausendmarkscheinen, die er dafür auf den Tisch gelegt hat. Der Typ, der gerne in extra angefertigten Seidenanzügen, gern in Silber und Gold, auf die Bühne gegangen ist, ist ein derartiger Pfau und Angeber, dass es schon wieder schön ist. Schade, dass er dem gut 35 Jahre danach nicht mit etwas selbstironischer Distanz gegenüber steht. Das hätte eine noch vergnüglichere Darstellung ermöglicht. Nein, der Mann hält sich heute noch für eine Ruhmesgestalt der (deutschen) Musikgeschichte. Davon ist er übrigens so überzeugt, dass die Twins nach 25 Jahren Pause gerade wieder ein neues Album veröffentlicht haben. In der kommenden Ausgabe gibt es eine Review. Was für Dohrow wichtig an guter Musik ist, macht eine Anekdote deutlich, die er erzählt. 1979 sieht er einen Mercedes 600, „der bis dahin größte und teuerste, jemals in Deutschland produzierte Serien-PKW“, wie er erläutert (S. 73), vor Dieter Dierks‘ Tonstudio vorfahren. Ihm entsteigt kein Bundespräsident oder Großindustrieller, sondern das Schlagerduo Cihdy & Bert. „Bis dahin waren sie für uns nur „Kommerz-Heinis“ gewesen, über die wir abfällig lachten,“ (aaO), erinnert er sich. Das scheint sich bei Dohrow angesichts der „gardinenverhangenen Fenster[..] ihres silbernen Straßenkreuzers“ geändert zu haben. „Jetzt lachten wir nicht mehr. Im Gegenteil…“ Gute Musik ist offenkundig ganz schlicht die Musik, die Geld bringt! Obwohl mir eine Lebenseinstellung, wie sie in der Biographie deutlich wird, und in der Luxus offenbar ein Wert an sich ist, mehr als fremd ist, fühlte ich mich Dohrow gelegentlich sehr nah. Die Passage, in der er von seiner Kindheit im Spandauer Ortsteil Haselhorst erzählt, las ich ganz zufällig auf einer Bank an einem Kanal in ... Haselhorst. Und wenn er von seiner Wohnung und seinem Studio in der Lichterfelder Drakestraße erzählt, denke ich an die Zeit zurück, in der ich gleich um die Ecke in der Amalienstraße wohnte und oft einen Freund besuchte, um Musik zu hören, in seiner Souterrainwohnung in der ... Drakestraße. Auch die Liebe zu Budapest verbindet uns. (Davon habe ich gerade im letzten Monat berichtet.) So war die Lektüre letztlich recht vergnüglich, auch wenn die Hoffnung an etwas aus den 80er erinnert zu werden, nicht so recht in Erfüllung ging. Der Horizont dieser Autobiographie befindet sich doch immer sehr nah an der berichtenden Person. Die „brisante(n) Interna über das Schallplatten- und Showbusiness der achtziger Jahre, sowie eine launige Schilderung von persönlichen Begegnungen mit Stars wie Culture Club, Nena, Depeche Mode, Roger Daltrey, Modern Talking, Renato Zero oder Gazebo“, die im Pressetext angekündigt werden, entpuppen sich im Wesentlichen als manchmal etwas neidvoll eingefärbte Berichte im Stil des Goldenen Blattes und ähnlicher Fachzeitschriften. Norbert von Fransecky |
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