Starker Tobak: Sistanagila verweben in Leipzig die sephardische und die persische Musikkultur
Israel und der Iran sind, was das offizielle Bild angeht, momentan nicht eben die besten Freunde. Zum Glück hindert diese Oktroyierung seitens der politischen Führung die einfachen Menschen trotzdem nicht an der Verständigung, und wenn das schon in den beiden Ländern selber mit argen strukturellen Schwierigkeiten behaftet ist, so bieten zumindest Völkerschmelztiegel andernorts auf der Welt die Gelegenheit, auch auf den ersten Blick als Unmöglichkeit Anzusehendes zu wagen. So etwas passierte vor einer Dekade in Berlin, als der iranische Kulturmanager Babak Shafian (dem Namen nach vermutlich von armenischen Vorfahren abstammend) den israelischen Sänger und Komponisten Yuval Halpern fragte, ob dieser Interesse am Aufbau einer gemeinschaftlich israelisch-iranischen Folkband habe. Nach Ausräumung der spontan aufkommenden Zweifel sagte Halpern zu – und diese Kooperation reißt seit besagter Zeit Mauern ein und schüttet Gräben zu: zwischen den Völkern, aber, wichtiger noch, zwischen den einzelnen Menschen und „nebenbei“ auch noch zwischen den Musikstilen: Die Musiker bemerkten bald, dass sich von den beiden großen jüdischen Musiktraditionen die sephardische, also die westeuropäische, besser mit der persischen in Einklang bringen läßt als die osteuropäische mit ihren slawischen Einflüssen (woraus der Musikethnologe interessante Schlüsse ziehen kann), aber sie beließen es nicht bei einer simplen Mischung oder gar Aneinanderreihung persischer und sephardischer Musikstücke, sondern woben noch mancherlei andere Stilistika ein, was unterm Strich nicht mal vorm Heavy Metal haltmacht, haben Sistanagila doch mit Hemad Darabi einen der besten iranischen Metalgitarristen in der Besetzung, wenngleich er im Kontext dieser Band „nur“ die Akustische bedient, aber seine musikalische Prägung auch auf dieser nicht immer ganz verleugnen kann, ja das vielleicht auch gar nicht will (und logischerweise auch nicht muß). Das 2018er „Welt im Zelt“-Festival des Theaters der Jungen Welt Leipzig, das – nomen est omen – über reichlich zwei Wochen in mehreren Zelten im Garten der Galerie für zeitgenössische Kunst stattfindet, hat Israel als Länderschwerpunkt, daher das Ariowitsch-Haus, das lokale jüdische Kulturzentrum der Messemetropole, als weiteren Kooperationspartner, und zwischen vielen eher theaterbezogenen Aktivitäten stehen auch Konzerte auf dem Programm, so unter anderem an diesem warmen Sommerabend auch dasjenige von Sistanagila im klimatisch durchaus angenehmen Zelt. Die aktuelle Besetzung der Berliner besteht aus sechs Personen, wobei Shafian selbst nicht zu den Bühnenaktiven zählt, sondern nur im Hintergrund die Fäden zieht. Es musiziert also ein Quintett, allerdings keineswegs durchgängig: Etwa ein Drittel des Sets besteht aus Instrumentalstücken, in denen Halpern also pausiert, und auch die vier Instrumentalisten sind keineswegs immer alle im Einsatz, sondern finden sich auch zu noch kleiner besetzten Gruppen zusammen, was im Extremfall bis zu einem Percussionsolo von Jawad Salkhordeh reicht. Der spielt übrigens kein klassisches Drumset, sondern lediglich Tombaks verschiedener Größe, also traditionelle persische Handtrommeln, aus denen man freilich eine enorme Klangvielfalt herausholen kann und auch dynamisch ein breites Spektrum zu erzeugen in der Lage ist. Salkhordeh erweist sich als Meister seines Faches, und die Soundabteilung meint es anfangs so gut mit ihm, dass man von ihm deutlich mehr hört als von seinen Mitmusikern, was allerdings bald einem ausgewogeneren Klangbild weicht. Auch als Sänger ist der Perkussionist im Einsatz, da sein Persisch deutlich besser sei als das Halperns, wie letzterer in einer seiner launigen Ansagen bemerkt, die einerseits Unterhaltungswert besitzen, andererseits aber auch die Hörerschaft, die zum großen Teil weder mit der sephardischen noch mit der persischen Musikkultur näher vertraut ist, angenehm undogmatisch und trotzdem kenntnisreich über mancherlei diesbezüglich Wissenswertes aufklären. Halpern selbst singt teilweise recht expressiv, weiß allerdings, wann er sich zurücknehmen muß, um bestimmte Stimmungen der Stücke nicht zu gefährden – und auch die anderen Musiker (neben den beiden bereits genannten noch der Kontrabassist Avi Albers Ben Chamo und die Saxophonistin Johanna Hessenberg, die gleich doppelten Exotenstatus besitzt – als einzige Frau in der Besetzung und als einziges Mitglied, das weder Iraner noch Israeli ist) müssen ihr Können niemandem beweisen, gönnen sich also ab und an ein paar technische Kabinettstückchen, ohne dass diese aber zum Selbstzweck verkommen. Wie sie etwa im titelgemäß auf Siebenertakten beruhenden „Oriental sieben“ auf ihren Instrumenten wirbeln, das gehört schon zur absoluten Oberklasse und stellt dieses Stück würdig auf eine Stufe neben „The Magnificent Seventh“ der Amsterdam Klezmer Band. So entsteht ein hochinteressantes musikalisches Programm, das sowohl Eigenkompositionen als auch Arrangements moderner wie traditioneller Stücke umfaßt, wobei die Vorlagen für letztere im Falle des aus dem Jemen stammenden sephardischen Stücks „Dror Yikra“ durchaus mehr als 1000 Jahre alt sind. Etliche Stücke bedienen sich übrigens der Ladino-Sprache – nicht mit dem Ladinischen zu verwechseln, das noch heute in einigen Alpentälern gesprochen wird und mit den „exilierten“ Gadertalerinnen Ganes auch den Weg in die Kulturszene Berlins gefunden hat, sondern die alte Sprache der Juden der iberischen Halbinsel, also das Pendant zum osteuropäischen Jiddisch. Sistanagila sind der lebende Beweis, dass kulturelle Völkerverständigung auch in schwierigen politischen Konstellationen gelingen kann – aber man muß sie sich deswegen nicht „schönhören“, sondern sie machen auch bei Ausblendung des genannten Backgrounds immer noch erstklassige Musik und überzeugen damit auch das Leipziger Publikum im vielleicht zur Hälfte gefüllten großen Zelt. Interessanterweise bleiben die Besucher auf ihren Stühlen sitzen, und niemand traut sich, den Platz zwischen der Bühne und der ersten Bestuhlungsreihe für (musikstilistisch allemal denkbare) tanzbeinschwingende Aktivitäten zu nutzen. Aber auch als reine „Hörband“ können Sistanagila überzeugen. Einziger Wermutstropfen: Selbst mit der Zugabe „La Rosa enflorece“ kommt das Programm nur auf ca. 75 Minuten Spielzeit – da hätte man gerne noch mehr gehört. Aber das läßt sich bei weiteren Konzertbesuchen ja nachholen. Setlist Sistanagila: Yaala yaala Sommer Ta bahare Kazan Dror Yikra Urub Osse Shalom La reina Oriental sieben Jawad solo Shalom aleichem Jamilah Hine ma tov -- La Rosa enflorece Roland Ludwig |
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