Musik an sich


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Barclay James Harvest

Glasnost


Info
Musikrichtung: Art-Pop

VÖ: 29.03.2013 (1987)

(Esoteric / Cherry Red / Rough Trade)

Gesamtspielzeit: 111:20

Internet:

http://www.bjharvest.co.uk
http://www.barclayjamesharvest.com
http://www.barclayjamesharvest.co.uk


Am 30. August 1980 hatten Barclay James Harvest ihr legendäres Konzert vor dem Berliner Reichstag gegeben – vom Senat gesponsert und daher eintrittsfrei und – wenn ich mich richtig erinnere – mit Ideal und ihrer Berlin Hymne im Vorprogramm. Legendär wurde dieses Konzert – über seine rein musikalische Leistung hinaus – durch die Szenen, die sich auf der anderen Seite der Mauer abspielten, als die östlichen Fans (denen es wahrscheinlich relativ egal war, welche West-Band dort spielte) versuchten sich dem Ort des Geschehens von Osten her zu nähern und von den „Organen“ daran gehindert wurden, die die Aufgabe hatten die Jungbürger, die man zu vollentwickelten Sozialisten sozialisieren wollte, von der dekadenten westlichen Müllkultur fern zu halten. Das Konzert wurde, wahrscheinlich nicht ganz unbeabsichtigt, zum Instrument des ideologischen Kampfes zwischen den Systemen.

1987 hatte sich vieles geändert. Kostenlos war das Konzert dieses Mal auch. Aber am 14. Juli 1987 fand es im Treptower Park in Ost-Berlin statt. Waren die ostdeutschen Machthaber klüger geworden, oder war das bereits ein Zeichen, dass man langsam dabei war die Waffen zu strecken? Wie auch immer: In den Jahren vor der Wende durften immer mehr West-Bands in Ost-Berlin aufspielen: Bruce Springsteen, Joe Cocker, Bob Dylan und Rio Reiser. Nur BAP bekamen die rote Karte, weil sie nicht nur nicht bereit waren, sich vorschreiben zu lassen, was sie zu spielen (und vor allem zu lassen) hatten, sondern im Gegenteil noch extra einen Song namens „Deshalv spill' mer he“ zur Tour geschrieben hatten, in dem sie ganz klar machten, dass sie von der Ost-Rüstung genauso wenig hielten, wie von der im Westen

Ob die Regierenden im Osten über den Titel der vom Konzert aufgezeichneten CD glücklich waren, darf bezweifelt werden. Glasnost war das Symbolwort für das politische Tauwetter im Osten, das letztlich zur Auflösung des kompletten sozialistischen Systems führte und von der DDR so massiv bekämpft wurde, dass in der DDR teilweise sogar sowjetische Jugendzeitschriften, die positiv über Gorbatschow berichteten, verboten waren.

Musikalisch ist die CD jedenfalls deutlich weniger bedeutend, als die Tatsache, dass dieses Konzert überhaupt stattgefunden hat. Barclay James Harvest befanden sich 1987 schon seit einiger Zeit im qualitativen Sinkflug. Mag man über die poppigen Alben Eyes of the World und Turn of the Tide, die einige sehr erfolgreiche Singles abwarfen, noch geteilter Meinung sein, verabschiedete sich die Band danach immer deutlicher in die Bedeutungslosigkeit.

Und so teilt sich das, was auf den beiden Silberlingen geboten wird, auch ziemlich klar in drei Kategorien: Neuere Stücke, die man ganz gerne noch mal wieder hört; ganz Neues, das redundant ist und wegfallen kann; und Klassiker, die in erster Linie dafür verantwortlich sind, dass man auch von dieser Scheibe eingenommen sein kann.

Das Konzert beginnt mit der akzeptablen Feuerzeugnummer „Nova Lepidoptera“, einem der fünf Stücke, die mit dieser Edition erstmals veröffentlicht werden. Der nächste Pluspunkt ist der Power Prog Pop „Love on the Line“ nach dem rhythmischen „African“. Fantastisch wird das Album zum ersten Mal mit „Mocking Bird“, das deutlich zeigt, dass die Schwächen des vorhergehenden Programms nicht an ermatteten Musikern, sondern bestenfalls durchschnittlichen Kompositionen liegen. „Rock’n’Roll Lady“, ebenfalls erstmals veröffentlicht, legt mit toller Prog Power nach.

CD 2 beginnt mit seichtem Pop und setzt sich mit der mächtigen, aber sehr untypischen Kraft und Rhythmus Nummer „Medicine Mam“ fort. Das ruhige etwas langweilige „Kiev“ ist das letzte Stück der letzten Jahre. Danach setzen Barclay James Harvest voll auf Klassiker, darunter zwei Stücke aus der Pop-Phase, die mit „Child of the Universe“, einem der überragenden Stücke des Konzerts, die letzten drei hier erstmals veröffentlichten Stücke darstellen.

Mit seinem Booklet, das viele Fotos rund ums Konzert 1987 bietet, ist der Re-Release ein wertiges Paket. Ob man das Album braucht, wenn man bereits die Live Tapes und den Mitschnitt des 1980er Konzerts (veröffentlicht 1982) im Regal stehen hat, die alle wichtigen Titel von Glasnost bereits in mindestens ebenso guten Aufnahmen enthalten, muss jeder für sich entscheiden.



Norbert von Fransecky



Trackliste
CD 1
1 Nova Lepidoptera (6:14)
2 Hold on (5:15)
3 African (7:06)
4 Love on the Line (4:44)
5 Alone in the Night (6:28)
6 On the Wings of Love (7:16)
7 Mockingbird (7:41)
8 Rock and Roll Lady (5:45)
9 He said Love (5:37)

CD 2
1 Turn the Key (5:55)
2 Medicine Man (7:27)
3 Kiev (6:50)
4 Child of the Universe (6:17)
5 Life is for living (5:54)
6 Poor Man's moody Blues (9:40)
7 Berlin (7:43)
8 Loving is easy (6:23)
9 Hymn (6:43)
Besetzung

John Lees
Les Holroyd
Mel Pritchard

Gäste:
Kevin McAlea
Bias Boshell
Colin Browne



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