Ein Hippie-Traum in seiner brachialsten Form - Neil Young & Crazy Horse
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Neil Young lässt sich in den letzten Jahren wieder häufiger in Deutschland blicken. Die letzte Tour von ihm fand im Jahr 2010 statt. Die beiden neuen Alben Americana und Psychedelic Pill, die er mit den alten Veteranen seiner legendären Begleitband Crazy Horse aufgenommen hat, haben im Durchschnitt gute Kritiken bekommen. Von daher war ich sehr gespannt, wie sich der alte Kauz live schlagen würde. Der mittlerweile 67-jährige gilt allgemein als Umweltaktivist und schwieriger Typ, der es seinem direkten Umfeld - unter anderem seiner Plattenfirma - nicht immer besonders leicht macht. Es ist an dem Tag in Stuttgart ca. 38 Grad heiß, die Luft am Parkplatz scheint zu brennen. Trotzdem ist der Parkplatz brechend voll und ich hätte niemals damit gerechnet, dass doch so viele Fans zu dem Konzert pilgern. In der Halle ist es anfangs etwas kälter, der Effekt hat sich jedoch nach ca. 20 Minuten erledigt. Die wichtigste Anschaffung an dem Abend ist definitiv Wasser, das jedoch im Schwabenländle vergleichsweise teuer über die Ladentheke geht.
Die Vorband ist an dem Abend die aus Darmstatt stammende Formation OKTA LOGUE. Ich habe bis zu dem Abend noch nichts von der Band gehört, die gerade ihr neues Album Tales Of Transit City veröffentlicht hat. Das Konzert beginnt mit einem irren Sound, der schlagartig an selige Zeiten von Pink Floyd und den Doors erinnert. Die Gitarre ist der absolute Oberhammer - hier schimmert David Gilmour fast permanent durch. Die Jungs zelebrieren ihre Songs und es hat den Anschein, als wenn sie während des Konzerts förmlich darin versinken. Bereits nach dem ersten Song ist ein Großteil des Publikums erstaunt und fasziniert zugleich. Der Applaus ist überwältigend und ich kann mich ehrlich gesagt nicht erinnern, wann mir zuletzt eine Vorband so gut gefallen hat, wie an diesem Abend. Neil Young und seine Truppe macht hier keinerlei Einschränkungen und versorgt die Darmstätter mit einem optimalen Sound, der die coolen Songs gut zur Geltung kommen lässt. Die ca. 45 Minuten verfliegen wie im Nu und die ganze Halle steht förmlich Kopf! Die bescheidenen Musiker wissen vermutlich gar nicht, wie ihnen geschieht und verlassen ziemlich unspektakulär die Stuttgarter Bühne mit dem Hinweis, dass am Merchandise-Stand ihre neue CD verkauft wird… Ein Wahnsinnsauftritt, den man wirklich nicht alle Tage zu sehen bekommt.
Die Hitze in der Schleyerhalle wird mit der Zeit immer unerträglicher. Reihenweise gehen die Leute aus dem Stehplatzbereich, um sich zum Luft schnappen außerhalb der Halle zu postieren. Auf der Bühne macht sich jedoch Hektik breit. Die Roadies von NEIL YOUNG sind angezogen wie Chemielaboranten und diskutieren und gestikulieren heftig, wie die Bühne am besten aufzubauen wäre. Es folgt „A Day In The Life“ von den Beatles, das im Hintergrund zu den „Baumaßnahmen“ eingespielt wird. Das Publikum lacht anfangs noch darüber. Aufgrund der großen Hitze und der Andeutungen der Roadies, doch endlich mal ein bisschen Stimmung zu machen, geht das Ganze teilweise in ein Pfeif- und Buh-Konzert über. Die Roadies geben das Signal, dass die Hüllen über den Verstärkerboxen gelüftet werden sollen und das Konzert beginnt!
Das Bühnenbild orientiert sich an der DVD Rust Never Sleeps und stellt das unverkennbare, legendäre Neil Young-Feeling her. In der Mitte der Bühne steht der überdimensionale Mikrophonständer, der von zwei übergroßen Fender-Lautsprechern flankiert wird. Neil Young kommt mit Cowboyhut bewaffnet auf die Bühne, hinter ihm seine Begleitband Crazy Horse und sämtliche Roadies. Auf einmal wird im Hintergrund die Deutschlandfahne gehisst und die komplette Truppe stellt sich im Halbkreis auf die Bühne und steht beim Fahnenappell, wie es in Amerika üblich ist. Auch diese Aktion trifft im Publikum auf Applaus und Ablehnung - genau das, was Mr. Young eigentlich möchte. Der Typ will nicht einfach sein, er will anecken und nerven. Und das gelingt ihm schon allein durch diese Aktion. Crazy Horse sind in klassischer Besetzung mit Billy Talbot (Bass), Ralph Molina (Schlagzeug) und Frank „Poncho“ Sampedro (Gitarre) am Start.
Der Sound und die Lichtshow sind absolute klasse und verleihen den atmosphärischen Songs die notwendige Untermalung. Sämtliche Musiker geben trotz ihres Alters und der großen Hitze Vollgas. Bestes Beispiel dafür ist jedoch der Altmeister selbst, Neil Young. Er schont sich keineswegs sondern rockt, was das Zeug hält. Neil Young ist zornig, wütend, grantig und ihn scheint vieles zu nerven. Er lebt diese Emotionen für jeden sichtbar auf der Bühne aus und denkt gar nicht daran, einen flauschigen Classic-Rock-Abend zu veranstalten. Es kommen kaum Ansagen und gelächelt wird pro Stunde vielleicht einmal. Stattdessen lassen die vier Ausnahme-Musiker ihre Markenzeichen sprechen: Den unverwechselbaren Crazy Horse-Sound und die markanten Songs, die keine Band ähnlich darbieten kann als eben dieses Quartett.
Das Publikum ist sich dieses besonderen Abends bewusst und feiert Mr. Young und die Band, dass es eine wahre Freude ist. Das animiert sämtliche beteiligten Musiker und die doch mittlerweile in die Jahre gekommenen „verrückten Gäule“ lassen sich von der Atmosphäre begeistern. Viel Bewegung ist auf der Bühne freilich nicht zu entdecken. Meistens bleiben bis auf Neil Young alle an ihrem Platz, holen jedoch das Optimum aus ihren Instrumenten heraus. Die Roadies geben ihr Bestes und haben jeden Millimeter der Bühne mit Ventilatoren versehen. So kommt es, dass Neil Young scheinbar nicht zu schwitzen scheint. Die Songs dauern teilweise sehr lange. Bereits der Opener „Love And Only Love“ wird in einer grandiosen 20-Minuten-Version heruntergerotzt. Nach etwa einer Stunde hat die Band ein Einsehen. Neil Young packt die Akustische und die Mundharmonika aus und versetzt die komplette Halle mit dem legendären „Heart Of Gold“ in einen fleischgewordenen Hippie-Traum. „Blowin’ In The Wind“ folgt auf dem Fuß und man merkt Neil Young an, dass für ihn die Hippie-Ideale immer noch sehr viel bedeuten. Crazy Horse schaffen es spielend, die Zeit scheinbar stehen zu lassen. Beim Blick auf die Uhr stelle ich jedoch mit Schrecken fest, dass schon fast zwei Stunden gespielt wurden!
Nach dieser Zeit ist dann erstmal Schluss und es geht ab hinter die Bühne. Die Boxen werden wieder abgedeckt, aber das Publikum will noch eine Zugabe. Ich rechne nicht mehr damit, aber die Boxen werden tatsächlich noch einmal aufgedeckt. Neil Young kommt für eine Brachial-Version von „Like A Hurricane“ auf die Bühne, die fast genau 25 Minuten dauert und dabei zu keiner Sekunde langweilig wirkt. Highlight ist hier ein ziemlich abgewetztes Keyboard, das vorher von der Decke runtersegelt und von Gitarrist Frank „Poncho“ Sampedro bearbeitet wird. Hier tobt sich Young noch einmal nach Herzenslust aus und malträtiert seine schon ziemlich abgewetzte Gitarre nach allen Regeln der Kunst. Dabei setzt er den typisch grimmigen Blick auf, den man von ihm gewohnt ist. Die Schleyerhalle steht Kopf und feiern Neil Young und Crazy Horse verdientermaßen euphorisch ab. Young und seine Bandmitglieder bedanken sich und gehen in einem Schneckentempo von der Bühne. Mit Blick auf die Uhr stelle ich fest, dass das Konzert geschlagene zweieinhalb Stunden gedauert hat. Mit einem derartigen Live-Hammer, einer solchen Spielfreude und dieser langen Spielzeit habe ich nun wirklich nicht gerechnet. Und dass Neil Young Hits wie „Rockin’ In A Free World“ oder „Hey Hey My My“ nicht gespielt hat, macht heute absolut nix mehr aus. Es bleibt die Erkenntnis, bei einem wirklich großartigen Konzert mit einem wirklich großen Künstler der Musikbranche dabei gewesen zu sein. Bleibt zu hoffen, dass Mr. Young diese Leistung noch oft abrufen kann!
Setlist:
Love and Only Love
Powderfinger
Psychedelic Pill
Walk Like a Giant
Hole in the Sky
Human Highway
Heart of Gold
Blowin' in the Wind
Singer Without a Song
Ramada Inn
Sedan Delivery
Surfer Joe and Moe the Sleaze
Mr. Soul
Like a Hurricane
Stefan Graßl
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