Musik an sich


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Feldman, M. (Lubman)

Orchestra


Info
Musikrichtung: Neue Musik Orchester

VÖ: 20.02.2012

(Mode / Challenge / CD / DDD / 2009-2010 / Best. Nr. mode 238)



FELDMAN-QUERSCHNITTE

Was den amerikanischen Komponisten Morton Feldman an der Musik Anton Weberns faszinierte, war weniger die zwölftönige Struktur als das sublime und abstrakt-reduzierte Klangbild. Während der Klang in der seriellen Musik der 1950er Jahre in erster Linie zur Kolorierung von am kompositorischen Reisbrett entworfenen Strukturen diente, wollte Feldman den gleichsam ungezähmten Klang. Um ihn von den Fesseln der Struktur zu befreien, ohne in bloße Beliebigkeit zu verfallen, experimentierte er mit verschiedenen Verfahren, die sich zwischen rein grafischer und detailliert ausgearbeiteter Notation bewegten.

Gleich zwei neue CDs können in dieser Hinsicht beanspruchen, repräsentativ für Feldmans Schaffen zu sein. Anhand ausgewählter Werkgruppen mit Kammer- und Orchestermusik lassen sich mit ihnen die großen Entwicklungen in seinem Oeuvre überblicken.

Der Pianist Steffen Schleiermacher und der Geiger Andreas Seidel widmen sich auf der Doppel-CD Piano Violin den Werken für ihre Besetzung. Während die erste CD eine Reihe kurzer und sehr kurzer Kompositionen aus den Jahren von 1950-1981 enthält, bietet die zweite mit der Einspielung von For John Cage ein typisches spätes Feldman-Werk, das rund 80 hypnotisch-entspannte Minuten währt. Keimhaft scheinen die delikaten Patterns allerdings schon im sehr frühen Piece for Violin and Piano von 1950 angelegt zu sein, mit dem Feldman sich den filigranen und konzentrierten Stil Weberns zu eigen gemacht hat. Die pointilistische, spröde Klanglichkeit dieser Musik eignet sich auch besonders gut für diese Besetzung. In den übrigen Stücken – meist Teile größerer Werkzyklen – experimentiert Feldman unter anderem mit verschiedenen Graden von Unbestimmtheit, indem er z. B. nur das Register und Tondauern oder die Zahl der Töne und auch die Artikulation vorgibt. Bei einer Rarität wie dem Piece for four Pianos (1957) wird ein und dasselbe Material von vier Spielern – hier als nachträgliche Montage – in eigenem Tempo gespielt, so dass sich reizvolle Verschiebungen und Überlagerungen ergeben. For Aaron Copland von 1981 ist dagegen ein präzise notiertes vierminütiges herbes Widmungsstück für Violine solo, die einzelne Tonpunkte in die Luft zeichnet.

Interessant, dass Feldman in den früheren Werken mitunter auch dynamische Extreme und eine gewisse Virtuosität verlangt – beides tritt in den späteren Stücken in den Hintergrund. Hier erscheint der Klang in Form kleingliedriger Patterns, die sich in einer Komposition wie Spring of Chosroes (1977) noch recht schnell verändern, so dass die Oberfläche der Musik viel unruhiger und dichter erscheint als bei For John Cage, wo es nicht mehr so sehr um Form als um den Umfang der Musik geht. Trotz des großen Reichtums an Gestalten schwingt die Musik hier ungleich weitflächiger, kontemplativer. Die gute Aufnahmetechnik verleiht diesen und den anderen Werken auf dieser Doppel-CD eine diskret leuchtende Klanglichkeit, und das berückende Spiel von Schleiermacher und Seidel lässt die Musik mitunter schwerelos schweben.

Mit der Produktion Orchestra setzt das New Yorker Label Mode seine Feldman-Edition fort und präsentiert ebenfalls einige Raritäten, die die Feldman-Diskographie ergänzen. Auch auf dieser Platte finden sich Stücke unterschiedlicher Schaffensperioden, wobei die frühe Komposition Intersection I aus dem Jahr 1950 aufgrund ihres aleatorischen Charakters eine Sonderstellung einnimmt. Um die Aufführung realisieren zu können, haben zunächst einzelne Musiker die grafische Partitur interpretiert, dann wurde dieses Rohmaterial in Partiturform gebracht und vom großen Orchester nachgespielt – ein auch vom Komponisten akzeptiertes Verfahren. Der vergleichsweise wilde, aufrührerische Gestus dieser Musik weckt Assoziationen an die Malerei des Abstrakten Expressionismus (z. B. an Bilder Willem de Koonings), der Feldman so viele wesentliche Anregungen verdankte.
Unter der aufgerauten Oberfläche findet man allerdings einen gleichsam atmenden Duktus, der dieses Stück mit den späteren, präzis(er) notieren Werken verbindet. Zwar gehört keines von ihnen zum Spätwerk, dennoch treten vor allem bei den Werken der 1970er Jahre die typisch Feldmanschen Muster immer deutlicher hervor. Unter den oft an vorbeiziehende Wolkenfelder erinnernden Stücken ragt Voice and Instruments aus dem Jahr 1972 wegen seiner wahrhaft ätherischen Klangmischungen noch einmal besonders heraus. Bei kaum einem anderen Komponisten klingen selbst enge und dissonante Intervalle so exquisit und schön. Unter der Leitung von Brad Lubman besticht das Deutsche Symphonie-Orchester Berlin durch ein selbst bei großer Besetzung ausgesprochen sensibles und delikates Spiel. Aufnahmetechnisch fällt bei Orchestra ein leichtes Rauschen auf, was der geradezu magischen Wirkung dieser unendlich ruhigen Musik aber keinen Abbruch tut. Die Klänge scheinen sich über weite Strecken wie aus dem Nichts – aus der Stille heraus - zu materialisieren. Man versteht sofort, warum Feldmans Musik über die oft hermetischen Grenzen der Neuen Musik hinaus eine solche Popularität genießt.



Georg Henkel



Trackliste
1Intersection I
2 Structures
3 On Time and the Instrumental
4 Factor
5 Voice and Instruments
6 Orchestra
7
Besetzung

Martha Cluver: Sopran

Deutsches Radio Sinfonie-Orchester Berlin

Brad Lubman: Leitung


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