Musik an sich


Artikel
Emirsian: Ein Suchender zwischen zwei Stühlen




Info
Gesprächspartner: Emirsian (Aren Emirze)

Zeit: Juli 2011

Stil: Singer/Songwriter, Folk

Internet:
http://www.emirsian.com
http://www.myspace.com/emirsian

Musiker (vorwiegend Sänger und Frontmänner) vermeintlich harter und lauter Bands kommen oft an einen Punkt, an dem sie sich ruhigeren Gefilden zuwenden, ihre akustische Gitarre in die Hand nehmen und sich in bester Tradition der Singer und Songwriter betätigen. Die Gründe hierfür können so verschieden wie auch ähnlich sein. Sei es, weil einem das Korsett der eigenen Band zu eng wird, man im Zuge des unvermeidlichen „Erwachsenwerdens“ doch irgendwann ruhiger wird und man einen Ausgleich sucht oder sich gar den eigenen Wurzeln zuwendet oder diese gar zu suchen gedenkt. Letzterer Punkt scheint zu einem großen Teil auch auf Aren Emirze, Sänger und Gitarrist der Frankfurter Noiserocker Harmful, zuyutreffen. Bereits seit 2006 veröffentlicht er unter dem Pseudonym EMIRSIAN größtenteils akustische Soloalben in bester Songwriter-/Folkmanier. Dass dieses Soloprojekt nicht ganz unzufällig mit dem Tod seines ebenfalls musizierenden Vaters zusammentrifft, macht der armenisch stämmige Aren im folgenden Interview zu seinem dritten Solowerk Accidentally in between (das nebenbei bemerkt ein richtiges Kleinod geworden ist!) klar. Dieses ist nicht nur ein einfaches Album, sondern gleich ein doppeltes. Da er sich selbst in einem kulturellen Zwiespalt zwischen West und Ost sieht, hat der Musiker dies nun auch hier heraus gearbeitet. Eine Hälfte enthält Songs in englischer Sprache, die andere in Armenisch. Was dahinter steckt, ist natürlich interessant. Also übergeben wir nun Herrn EMIRSIAN persönlich das Wort:


Aren, was bedeutet der Begriff Heimat für Dich?

Geborgenheit, blindes Verständnis, Freiheit (im Idealfall) und vertrautes Essen.

Mit welchen fünf Worten würdest Du Dein drittes Soloalbum Accidentally in between grob umschreiben?

Melancholisch, intensiv, nachdenklich, suchend und ambitioniert.

Du hast mit Emirsian als Soloprojekt begonnen, nachdem Dein Vater starb. War dieses einschneidende persönliche Erlebnis des Verlusts die direkte Initialzündung, Deine armenischen Wurzeln auch musikalisch in die Welt zu tragen?

Es war die Initialzündung für etwas das ohnehin schon kurz vor den Ausbruch stand. Der Tod meines Vaters hat das alles immens verstärkt und mir die Augen geöffnet.

Wie gehst Du generell an Dein Soloprojekt heran und unterscheidet sich die Attitüde beim Songwriting grundlegend gegenüber Deiner Band Harmful?

Bei Emirsian bin ich auf mich alleine gestellt und muss vieles mit mir selbst ausmachen. In meiner Band Harmful bekomme ich viel Input von meinen Bandkollegen Nico und Chris, auch wenn ich dort eine führende Rolle im Songwriting einnehme. Die Attitüde ist bei beiden die gleiche - mit dem Momentum das bestmögliche aus dem Song rauszuholen, wobei es sehr schnell klar ist, ob der Song zu Emirsian oder Harmful gehört.

Ich kann mir gut vorstellen, dass es eine große Umstellung bzw. Herausforderung für Dich war, bei dieser Doppelplatte erstmals für ein komplettes Projekt Armenisch zu singen.

Das war es! Ich musste mich in die Songs reinfühlen, deren Bedeutung verstehen und meine persönliche Note integrieren, ohne die ursprüngliche Intention des Liedes zu verlieren.

Bereits der Albumtitel Accidentally in between (dt. versehentlich zwischendrin) deutet eine gewisse Kluft zwischen den Kulturen an, die zweisprachige Aufteilung macht es noch deutlicher. In Deiner Brust scheinen zwei Herzen zu schlagen. War das auch Ziel des Albums, dies deutlich herauszuarbeiten, auch im Sinne einer gewissen Selbstfindung?

Es ist die grundlegende Frage meines Lebens. Wo gehöre ich hin und wie kann ich einen Kompromiss schließen, mit dem ich mich zu 100 % identifizieren kann? Leider ein schweres Unterfangen und höchstwahrscheinlich mit der Antwort, dass ich niemals mein Ziel erreichen werde und immer der Suchende zwischen zwei Stühlen bleibe. Der Weg ist das Ziel in meinem Leben.

Bist Du mit dem Erreichten zufrieden - auf persönlicher, wie auf künstlicher Ebene?

Es ist wie gesagt ein Momentum und ich bin sehr zufrieden. Das Ganze Doppelalbum wurde in nicht einmal drei Wochen aufgenommen und Fehler bleiben dabei nicht aus und gehören auch zum Gesamtbild. Das „zwischen den Stühlen“ hört man dem Album an, deswegen auch Accidentally In Between. Ich weiß, dass es ein sehr ambitioniertes Album ist, mit viel Information, welches eine gehörige Portion Aufmerksamkeit bzw. einige Durchläufe braucht, um verstanden zu werden. Aber das war es mir wert.

Du kamst als Kleinkind nach Deutschland und bist hier aufgewachsen. Fühlt man sich da nicht irgendwann automatisch als Deutscher und ist in der ehemaligen Heimat von Hause aus ein Fremder?

Genau so ist es und deswegen dieses Album. Die logische Konsequenz wäre, dass ich zur nächsten Emirsian-Veröffentlichung Songs mit deutschen Texten integriere. Vielleicht ist das die Lösung des „Problems“. Mal schaun’...

Dein Vater war ebenfalls musikalisch aktiv. Da bekommt man da das Musizieren sicher mehr oder weniger schon automatisch in die Wiege gelegt. Wann wuchs in Dir der Wunsch heran, ebenfalls zum Instrument und zum Mikrofon zu greifen?

Das war sehr früh. Ich glaube ich war vier Jahre alt, als mein Vater mir eine kleine Spielgitarre kaufte und während er Beatles- und Dylan-Songs sang, habe ich einfach mitgemacht, auch wenn ich nicht wusste was ich gerade tue. Dieses Gefühl kam dann mit zwölf zurück und verfolgt mich bis jetzt.

Diskografie
A gentle kind of disaster (2006)
Yelq (2008)
Accidentally in between (2011)
Der armenische Teil des Doppelalbums enthält zahlreiche Neuinterpretationen - u.a. Stücke Deines Vaters und alte Volkslieder. Nach welchen Kriterien hast Du die einzelnen Songs ausgewählt, welches Ziel hast Du verfolgt?

Mir war es wichtig, dass der textliche Inhalt nicht politisch ist. Ich wollte eher die Songs die mich berührten und auch meine Sehnsucht ansprachen. Liebe, Verlust und was noch dazu gehört. Viele Armenier, besonders die Jugendlichen kennen viele dieser Songs nicht und meine Intention war und ist es, ihnen diese Songs näher zu bringen. In einem „emirsianischen“ Gewand sozusagen.

Als Gast konntest Du auf der Platte unter anderem Hartout Bezdjian des armenischen Duos Hartar begrüßen, die in unserem Kulturkreis eher wenig bekannt sind. War es schwer ihn zu finden und welche Rolle spielte er beim Entstehungsprozess von In between?

Ohne Harout hätte ich nicht die Kraft gehabt, dieses Album zu machen. Er war ein Mentor und auch jemand der einen ungemein motivieren konnte. Außerdem ist er ein begnadeter Gitarrist. Ihn zu finden war keine schwere Angelegenheit in Zeiten des Internets. Das Motivieren schon, da er seit 20 Jahren das aktive Musizieren „ad acta“ gelegt hatte. Nachdem er die Geschichte von meinem verstorbenen Vater und meine Intention hörte, war er jedoch sofort bereit mir zu helfen.

Bei den armenischen Melodien auf der CD schwingt stets eine gewisse Melancholie, viel Schwer- und Wehmut mit, während der englischsprachige Teil auch hellere Flecken aufweist. Reflektiert das allgemein die „armenische Seele“ an sich, evtl. auch aufgrund der schwierigen Geschichte des Volks?

Trauer und Melancholie ist ein Bestandteil der armenischen Kultur. Wir Armenier weinen viel und haben auch allen Grund dazu, wenn man sich die Ungerechtigkeit ansieht mit der wir tagtäglich leben müssen - besonders im Bezug auf den armenischen Völkermord der bis heute von der türkischen Regierung nicht anerkannt wird. Wir haben diese heimatliche Sehnsucht und fühlen Tag für Tag wie schwer es ist, das Armenische in uns am Leben zu erhalten.

Du hast bereits mit Billy Gould in einer Band gespielt, konntest mit einem Produzenten wie Dave Sardy zusammenarbeiten, spieltest mit Harmful u.a. im Vorprogramm von Slayer und Paradise Lost und hast jetzt Deine ganz persönlich armenische Insel gebastelt. Die Erfüllung welches musikalischen Traums steht da noch aus, was können wir vielleicht in nicht allzu ferner Zukunft noch von Aren Emirze erwarten?

Momentan freue ich mich auf die Livekonzerte mit Emirsian und hoffe, dass ich weltweit Konzerte spielen werde. Wie ich schon sagte, arbeite ich parallel dazu an meinen ersten deutschsprachigen Songs und zum 20-jährigen Harmful-Jubiläum im November 2012 wird es auch das neunte Harmful-Album geben.

Wenn Du unseren Lesern noch etwas Abschließendes mit auf den Weg geben möchtest, wäre hier die Gelegenheit dazu.

Don't worry, be happy when you're „accidentally in between“!




Mario Karl



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