Vier Jahrzehnte Faust - Krautige Avantgarde gestern und heute
Seit rund 40 Jahren geistert der Name FAUST schon durch die Musikwelt. Gegründet in einer Zeit, in der man im Ausland für Rockbands aus good old Germany das Label Krautrock erfand, etablierte man sich recht bald als ziemlich abgefahrene und sehr eigenwillige Experimentalrockband - die allerdings im Heimatland zuerst am allerwenigsten auf Verständnis stieß. Vor kurzem wurden die ersten beiden FAUST-Alben, liebevoll in Vinyl-Replikaoptik gestaltet, neu veröffentlicht. Und auch sonst war das Bandkollektiv dieses Jahr nicht untätig. Eine gute Gelegenheit mal kurz einen Blick auf die Historie und die aktuellen Veröffentlichung von FAUST zu werfen. In diesem Zusammenhang konnten wir auch Keyboarder Hans Joachim Irmler für ein Interview mit unserem Magazin begeistern. Dieses ist an anderer Stelle (Link) zu finden.
Die eigentliche Geschichte von Faust beginnt im Jahr 1970. Der Legende nach bekam der Musikjournalist Uwe Nettelbeck von der Plattenfirme Polydor eine gewisse Geldsumme zugesteckt, um damit eine junge, hoffnungsvolle Band zu finanzieren und mit ihr eine Platte einzuspielen. Er traf auf die jungen Musiker Werner „Zappi“ Diermaier (Schlagzeug), Rudolf Sonsa (Gitarre/Keyboard), Hans Joachim Irmler (Orgel), Gunther Wüsthoff (Synthesizer/Saxophon), Arnulf Meifurt (Schlagzeug), und Jean-Herve Péron (Bass), die sich vorher in den Bands Nukleus und Campylognatus Citelli austobten. Dank der Finanzspritze wurde in einer alten Dorfschule im norddeutschen Wümme ein Studio eingerichtet, in dem zusammen mit Nettelbeck und dem Toningenieur Kurt Graupner in kurzem Abstand die ersten beiden Alben Faust und So far entstanden.
Faust (1971)
Das Debütalbum von Faust ist ein typisches Kind seiner Zeit. Als Pop- und Rockmusik langsam begann in seinen festen Strukturen zu verharren, suchten viele junge Musiker und Bands nach neuen Schemen und Ausdrucksformen. Dass man dabei nicht selten etwas über das Ziel hinaus schoss, ist dabei schon fast natürlich. Die erste Platte von Faust gehört auch in diese Kategorie. Die drei Titel darauf klingen aus heutiger Sicht verdammt bizarr und in ihrer fast unschuldigen Experimentierlaune gerade deswegen charmant - aber auch verdammt unausgegoren, gerade als würde man einer Jamsession der Band beiwohnen. Hier gehen 60’s Psychedelik, die Schrägheit von Velvet Underground, seltsame Gesprächsfetzen, elektronische Sounds und dadaistisches Durcheinander Hand in Hand. Hier ein bisschen Klavier- und Orgelgeklimper, dort ein wenig Hornklänge und psychotisches Geplapper, sowie jede Menge Psych-Rock, verschiedenste Kulturanspielungen und verspieltes Tohuwabohu. Die drei Titel wirken aneinandergereiht wie eine einzige fiebertraumatische Klangwolke. Die zusammen geschweißten Klangfetzen geben für sich keinen wirklichen Sinn. Aber das ist wohl das, was die Atmosphäre dieses Albums ausmacht. Als zeitdokumentarisches Klangexperiment sicherlich interessant und vielleicht auch relevant. Aber heute zu genießen, wirklich nicht einfach!
1. Why Don't You Eat Carrots? (9:31)
2. Meadow Meal (8:02)
3. Miss Fortune (16:36)
So far (1972)
Die Zutaten von So far sind nicht viel anders als die des Faust-Debüts. Und doch klingt dieses Album viel runder und faszinierender als sein Vorgänger und wird zu Recht als Klassiker des Kraut-/Experimantalrocks angesehen. Das dilettantische Chaos des Erstlings wurde etwas gebündelt und einige Titel sind sogar relativ zugänglich. Kein Wunder, dass Faust dies als ihr Popalbum sehen. Nehmen wir mal die hüpfende Eröffnung „It’s a rainy day, sunshine girl“. Während es im Hintergrund wabert und zischt, schlängelt sich eine beatleske, unschuldige Melodie langsam durch die Rillen der Platte und baut Spannung auf - leider wird diese aber nicht aufgelöst. Nach dem kurzen Geklimper „On the way to Abamae“ kommt auch schon das Herzstück des Albums. Der zehnminütige und wüste Psychrock-Jam mit ausgeflipptem und skurrilem Gebrüll (Textauszug: „daddy take the banana, tomorrow is Sunday“) namens „No harm“. Eigentlich ziemlich kaputt, rockt das Ding doch sehr charmant. Nach dem lässig schwebenden und mit repetativen Sounds versehenem Titeltrack kommt ein Stück, welches Industrialsounds späterer Jahre voraus nimmt. „Mamie is blue“ ist eine düster donnernde Klangorie, wie sie damals so noch nicht üblich war. Danach könnte man eigentlich fast abschalten, kommen doch nur noch ein paar kürzere, unbedeutende Lieder und Spielereien. Hervorzuheben sind allerdings noch das schräge „I’ve got my car and my TV“, mit seiner kindlich, mehrstimmigen Gesangsmelodie, sowie das ungewöhnlich jazzige „… in the spirit“. Danach sind rund 40 Minuten bundesdeutscher Musikgeschichtsunterricht zu Ende, von denen ein schreibender Kollege behauptet, sie seien eine Mixtur aus Velvet Undergrounds White light/White heat, Pink Floyds Atom heart mother und Zappas We’re only in it fort he money. Und irgendwie muss man dem Herrn auch Recht geben.
1. It's a Rainy Day, Sunshine Girl (7:29)
2. On the Way to Abamae (2:41)
3. No Harm (10:19)
4. So Far (6:20)
5. Mamie is Blue (6:00)
6. I've Got My Car And My TV (3:47)
7. Picnic on a Frozen River (0:43)
8. Me Lack Space... (0:46)
9. ...in the Spirit (2:11)
Wie es oft so ist, ist der Prophet im eigenen Land nicht allzu viel wert. Unverstanden und frustriert, zog die Band nach der Veröffentlichung ihrer zweiten Platte zusammen mit Nettelbeck und Graupner nach England, wo die Musik von Faust wesentlich besser ankam. Unter den Fittichen von Virgin Records erschien zuerst The Faust Tapes zum Preis einer Single. Beflügelt von den dadurch erreichten Verkaufszahlen machte man sich alsbald an die Platte Faust IV, welche 1974 in die Läden kam. Ein weiteres begonnenes Album blieb unveröffentlicht.
Mitte der 70er war die Band bereits ziemlich zerrüttet, so dass sich Faust vorerst auflösten. Und so war, von ein paar Archivaufnahmen abgesehen, lange Zeig nichts mehr von Faust zu hören. 1990 kamen Diermeier, Irmler und Péron wieder zusammen und machten abermals unter dem alten Bandnamen Musik. Es folgten sporadisch immer wieder Konzerte, sowie Live- und Studioalben. So zum Beispiel 1999 Ravvivando bei dem Péron allerdings schon wieder von Bord gegangen war. Das unstete war auch weiterhin Programm bei der Band. So gibt es seit 2005 nicht nur einmal Faust, sondern gleich zweimal. Jeweils eine neue Formation unter der Leitung von Péron und Diermeier, sowie mit Hans Joachim Irmler als Bandleader. Für Fans natürlich ein Fest. Gibt es so doch mehr von allem. Zudem haben beide Inkarnationen ein etwas anderes Klangbild. Während es bei der einen Version auch wieder den skurrilen Gesang Pérons gibt, sind Irmlers Faust ein Stück dunkler und maschineller. In der Tradition ihrer Frühphase stehen beide.
Faust Is Last (2010)
Faust is last nennt sich die letzte im Frühjahr 2010 veröffentlichte Tat aus dem Faust-Universum. Hierbei handelt es sich um Hans Joachim Irmlers Faust. Und in Irmlers Klanglabor muss sich in den letzten Jahren einiges an Material angehäuft haben. Dieses Album enthält rund 94 Minuten Musik, verteilt auf 2 CDs. Das Cover wirkt wie das dunkle Ebenbild des Faust-Debüts. Allerdings ist die geröntgte Hand nicht zur Faust geballt, sondern geöffnet. Und nicht nur der Hintergrund dazu ist schwarz, sondern auch die enthaltenen Klänge sind auf schwarze Rohlinge gepresst worden. Fast durchgehend düster ist auch die Musik. Absurde und etwas erheiternde Elemente wie Pérsons Texte fehlen hier komplett. Vieles auf den beiden CDs klingt hart und maschinell. Gerade Kraan-Schlagzeuger Jan Fride Wolbrandt treibt das Ganze unheimlich nach vorne. Schräg, störend, ergreifend, umfassend, erfüllend, sind einige Adjektive, welche im Vorfeld zu diesem Album gefallen sind. Und das kann man gerne so stehen lassen. Faust is last bietet dabei eine musikalische Bandbreite von ambientartigen Klangflächen, industrielles Grollen, gleitenden Psychedelic- und Spacerock und ein wenig akustisches Durcheinander. Und es wird sogar mal kurzzeitig gerockt. Das kurze „I don't buy your shit no more“ ist dabei so etwas wie Fausts ironisiertes „Satisfaction“. Die erste CD ist eine interessante Sammlung eher kürzer Klangfragmente, die ineinander verwoben wurden, während man sich auf der zweiten CD längeren Titeln hingibt. Mit Faust is last hat Hans-Joachim Irmler bewiesen, dass Faust auch im Jahre 2010 noch nicht zum alten Eisen gehören und immer noch fähig sind ein relevantes Stück Musik zu veröffentlichen. Sollte man als Fan auf jeden Fall gehört haben!
Faust A (CD1):
1. Brumm und Blech (2:24)
2. Imperial lover (4:21)
3. Feed the greed (5:04)
4. Chrome (2:46)
5. Soft prunes (2:41)
6. Nachtfahrt (2:21)
7. Hit me (3:40)
8. Dolls and brawls (1:37)
9. Drug wipe (5:21)
10. Steinbrand (5:21)
11. I don´t buy your shit no more (2:00)
12. Babylon (4:22)
13. X-Ray (3:33)
14. Cluster für Cluster (0:29)
15. Day out (2:45)
Faust Z (CD2):
1. Karneval (7:30)
2. Ozean (5:17)
3. SofTone (5:08)
4. In but out (7:47)
5. GhosTrain (4:33)
6. Vorübergehen (7:55)
7. Primitivelona (6:57)
Faust live at Klangbad Festival (DVD, 2010)
2010 hält noch eine weitere Veröffentlichung für Faustfans bereit (ebenfalls die Band von Irmler). Und zwar den Konzertfilm Faust live at Klangbad Festival (im Doppelpack mit Klangbad - Avant-garde in the meadows). Die DVD enthält einen kompletten, atmosphärischen Liveauftritt der Krautrocklegende. Das im Vorfeld von Gitarrist Steve Lobdell geäußerte Zitat „es geht mehr um Ideen als um Songs“ ist äußerst programmatisch. Besteht das 70-minütige Konzert doch mehr aus sechs ausgedehnten Klangexperimenten, als aus echten Songs. Dabei hat jedes der Stücke eine andere Atmosphäre und damit seinen eigenen Reiz. Das leicht fernöstliche beginnende „Shiva“ ist noch relativ ruhig, steigert sich aber in seiner Intensität, „Beat that“ dafür umso rockiger. Der Anfang von „Dschungelbar“ klingt ebenso wie es heißt und bringt das Publikum so langsam in Wallung. „Don't look back“ wirkt durch seine Perkussion zuerst recht unbehaglich, steigert sich mit seinem getappten Bassspiel unheimlich und geht mit dem ausgedehnten Mantra „turn back and look around“ zu Ende. Das kürzere „Feuerzeuge“ beginnt zuerst beruhigend, beendet das Konzert aber vorerst mit einem echten Paukenschlag. Mit „Aggro“ gibt es aber noch eine ebenso wilde Zugabe, die Irmler als „brutal laut, wie bei Anfängern“ bezeichnet. Wie Recht er hat! Für Faust-Fans ist die DVD aufgrund dieses Konzertfilms ein echter Pflichtkauf.
Shiva
Beat That
Dschungelbar
Don't Look Back
Feuerzeuge
Aggro
Mehr zu Faust und dem musikalischen Selbstverständnis, wie gesagt, im Interview mit Irmler.
Mario Karl
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