Ländlicher Charme und Hippieatmosphäre – 10 Jahre Woodstock Open Air in Dornstadt (12. - 14.06.09)
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Dornstadt ist ein kleines und recht unbedeutendes Nest in der Nähe von Oettingen in Bayern. Während letzteres Städtchen wenigstens für sein Billigbier berühmt-berüchtigt ist, gibt es in Dornstadt so gut wie nichts außer einer Durchgangsstraße mit der man schnell in den Ort kommt, die aber auch recht schnell ihr Ende mitten in der Pampa findet. Was unterscheidet Dornstadt jetzt also von all den anderen Dörfchen, von denen aus man dem Ende der Welt schon gefährlich nahe ist? Vor allem eines: Das Woodstock Open Air! Nach dem Namen gebenden Vorbild lässt man einmal im Jahr die Hippiekultur wieder aufleben und veranstaltet ein musikalisch sehr buntes, familienfreundliches und vor allem sehr entspanntes Festival, welches hier in Deutschland ziemlich einmalig ist. Einen ähnlichen Spirit findet man wohl nur noch beim „großen Bruder“, dem vergleichbaren Herzberg Festival.
Dieses Jahr konnte man wieder einmal ca. 4.000 Musik- und Happeningverrückte nach Nordschwaben locken. Zum geradezu lächerlich billigen Eintrittspreis von 25,- EUR für drei Tage wohl auch keine große Kunst. Denn was man für dieses Geld bekommt ist schon außerordentlich. Allein die beiden Headliner NEW MODEL ARMY und TEN YEARS AFTER sind das schon lange wert. Aber neben diesen beiden gab es noch weitere bekannte Namen wie FIDDLER’S GREEN, GURU GURU oder LA VELA PUERCA. Den Geist von 1969 gab es selbstverständlich noch kostenlos dazu. Denn alleine das beschauliche und zwischen Bäumen gelegene Festivalgelände mit seinem relaxten und friedlichen Publikum ist schon eine Reise wert. Die Tatsache, dass das Ursprungsfestival sich dieses Jahr zum 40. Mal jährt und dieses Open Air in Dornstadt auch schon in die zehnte Runde geht, verlieh der Veranstaltung noch einen zusätzlichen feierlichen Rahmen.
Unabhängig voneinander waren die in der Nähe beheimateten Stefan Graßl und Mario Karl vor Ort und geben im Folgenden ein paar Eindrücke wieder:
STEFAN GRASSL:
Ich selbst war am Freitag vor Ort, und das auch nur wegen TEN YEARS AFTER. Das Original, welches schon 1969 beim original Woodstock auf der Bühne stand. Die Erwartung war groß und sollte nicht enttäuscht werden. Nach etwa einer halben Stunde Umbaupause geht es los und Ten Years After betreten unter riesigem Beifall des Woodstock-Publikums die Bühne. Sehr geil finde ich auch, dass bei dieser Band noch bis auf Alvin Lee (Gitarre, Gesang) die verbliebenen drei Gründungsmitglieder mit an Bord sind. Da wären: Leo Lyons (Bass), der urige Chick Churchill (Keyboard) und der immer noch sehr wuchtig aufspielende Ric Lee am Schlagzeug. Nach Alvin Lees Ausstieg haben sie sich mit dem gerade einmal 31 Jahre alten Sänger und Gitarrist Joe Gooch verstärkt. Und der ist für diese Band eine wirkliche Verstärkung, eine absolute Frischzellenkur.
Beeindruckend ist, und das fällt bereits während des ersten Songs auf, mit welcher Begeisterung und Spielfreude die alten Recken auf die Bühne gehen. Leo Lyons grinst während der kompletten 110 Minuten wie ein Schneekönig, Chick Churchill lässt seine Schweineorgel nach bester Woodstock-Manier grunzen und der brachiale Ric Lee lässt in der Mitte des Sets ein Schlagzeugsolo vom Stapel, das komplett vergessen lässt, dass er die 60 Lenze mittlerweile auch schon überschritten hat. Und dann erst Joe Gooch! Er singt wie ein ganz großer und spielt nebenbei auch noch grandios Gitarre. Sympathisch finde ich auch, dass er keine bloße Kopie von Alvin Lee darstellt, sondern durchaus seinen eigenen Stil hat und diesen auch überzeugend darbietet. Die Songs klingen im Live-Gewand auch noch um einiges knackiger und frischer, als die Studioversionen. Das Publikum saugt jede einzelne Note auf, das Konzert ist magisch und der Funke zwischen Publikum und Band ist sofort vorhanden. Es macht schon Spaß, da zuzusehen und zu hören. Allein, mit welch stoischer Ruhe und Gelassenheit Chick Churchill seine Orgel bedient - muss man einfach gesehen haben.
Besonders erwähnenswert ist mit Sicherheit auch das Dornstädter Publikum. Während des kompletten Konzerts wird getanzt, gesprungen, teilweise sogar gepogt (das hat die Band selbst wohl auch schon länger nicht mehr miterlebt) und die vor allem jungen Fans heizen der Band mächtig ein - und umgekehrt. Ten Years After lassen sich spürbar von der guten Laune anstecken und liefern an diesem Abend eine sehr ergreifende Leistung ab. Am meisten beeindruckt mich der Bassist Leo Lyons, der sehr souverän agiert und die Agilität und den Spaß eines Mitzwanzigers versprüht. Von den Songs gefallen mir am besten das unvergleichliche „I’d Love To Change The World“, „Love Like A Man“, das unglaublich psychedelische „50 000 miles beneath my brain“ und zum Abschluss natürlich die Hippie-Hymne schlechthin: „I’m Goin’ Home“.
Da ist die Stimmung am Siedepunkt angelangt, das Publikum kennt kein Halten mehr und während dieses Songs verbraten Ten Years After auch absichtlich Riffs und Licks anderer Songs (Hey Joe, Smoke On The Water, Whole Lotta Love ...). Nach nahezu zwei Stunden nimmt der Retro-Trip der ganz besonderen Sorte dann auch leider sein Ende. Ich und die meisten der hier Anwesenden hätten noch ewig weiterrocken können. Unter großem Beifall geht die Woodstocklegende von der Dornstädter Bühne. In dieser Form gehören Ten Years After noch lange nicht zum alten Eisen und sollten noch möglichst lange die Bühnen dieses Planeten unsicher machen.
MARIO KARL:
Ich war an den beiden Haupttagen, Freitag und Samstag vor Ort und hatte die Gelegenheit ein paar mehr Bands zu sehen - neben kleineren Exkursen auf der Shoppingmeile, in der man sich neben der üblichen Verpflegung, zu der hier auch mehrere Stände für Vegetarier gehören, auch mit zahlreichen anderen Devotionalien für Klamotten und Ähnlichem eindecken konnte. Ein Abstecher im Shisha-Zelt durfte natürlich auch nicht fehlen – immer noch besser als sich das örtliche Bier die gequälte Kehle hinunter rinnen zu lassen (sorry, aber dieser Kommentar musste trotz oder gerade wegen Lokalpatriotismusses einfach sein).
Die erste Band des Tages waren für mich gegen 19:45 Uhr GURU GURU, die schräge und unkaputtbare Krautrockband mit ihrem ganz eigenen Charme. Was auch immer dem Vierer so über den Weg lief, man hat es offensichtlich in sich aufgesogen und in seine Musik integriert. Ob übliche Blueseinflüsse, Jazz oder Weltmusik, ach ja, und neben der Verquertheit auch noch ein bisschen Rock. Eineinhalb Stunden lang durften die Herren ihren Sound zum Besten geben. Das taten sie mit viel Hingabe, auch wenn viele der Anwesenden ihnen auch nicht immer so ganz folgen konnten. Aber das interessiert die Band wohl am allerwenigsten, denn ihre Liebhaber haben sie. Und davon waren einige vorhanden, welche Guru Guru ausgiebig beklatschten. Beim kultigen und abschließenden „Elektrolurch“ wurde der Applaus auch noch ein wenig lauter. Ein netter, persönlicher Einstieg in ein tolles Wochenende.
Nach einer ausgiebigen Umbaupause, die hier länger dauert als so mancher Auftritt bei anderen Festivals (dafür dürfen fast alle Bands regelrecht abendfüllende Auftritte spielen), waren auch schon TEN YEARS AFTER an der Reihe. Hier kann ich den Eindruck von Stefan Graßl nur bestätigen. Die Bluesrocker waren wirklich GROSS und traten den Beweis an, dass diese Musik einfach zeitlos ist. Denn hier schwangen wirklich alle Alterklassen begeistert mit. Die Jungen sogar noch mehr als die Alten.
Wie zu erwarten legten die Franken FIDDLER’S GREEN dem, wenn schon nicht musikalisch, aber doch stimmungstechnisch noch eines drauf. Denn was eignet sich schließlich besser für eine wild ausgelassene Party als bierseliger Folkrock? So machte die Band auch keine Gefangenen und gab von Anfang an Vollgas. Wer Fiddler’s Green in den letzten Jahren nicht mehr gesehen hatte, dem fiel die Veränderung, die sie durchliefen, schon etwas auf. Denn der von ihnen geprägte Begriff „Speed Folk“ trifft seit dem Ausstieg von Songschreiber und Sympathieträger Peter Pathos mehr als je zuvor zu. Verschnaufpausen gibt es kaum und im Geschwindigkeitsrausch klingen fast alle Songs gleich - vor allem die neueren Datums, die an diesem Abend im Mittelpunkt standen. Der nicht mehr ganz so neue Mann an E-Gitarre und Gesang (Patrick Prziwara) rückt die Band schon fast in Punknähe. Denn er macht ganz den Eindruck, dass man ihn aus einer derartigen, drittklassigen Band gezogen hat. Aber das interessiert an diesem Abend so gut wie niemand. Fiddler’s Green werden nach allen Regeln der Kunst abgefeiert. Wohl auch zu recht. Stimmungshöhepunkt ist der alte irische Heuler „Rocky road to Dublin“, zu dem man im Gegensatz zum bösen Metal, statt einer „Wall of death“ eine „Wall of folk“ veranstaltete. Das Publikum wird wie auch dort üblich in zwei Hälften geteilt. Aber anstatt sich auf Kommando die Gliedmaßen in die Rippen zu stoßen, wird einfach ganz friedlich von der linken auf die rechte Seite getanzt, und umgekehrt. Wirklich ulkig anzusehen. Kurz darauf endet auch dieser Auftritt und man hinterlässt eine glückliche Masse, die sich feiernd bald in ihre Zelte zurückziehen sollte.
Als ich am nächsten mit meinen Begleitern am späten Nachmittag das Gelände betrete, sind gerade MANANA ME CHANTO zugange, eine bunte gemischte Reggae-Band. Ein Sound der auf diesem kulturell durchmixten Festival und bei soviel Sonnenschein wie an diesem Tag bestens funktioniert. Die Veranstalter scheinen sehr überzeugt von der Band zu sein, denn am nächsten Tag durften sie gegen Mittag als Absacker am Ende des Festivalwochenendes ein weiteres Mal ran. Es war sicherlich wieder so angenehm wie an diesem Tag.
Was danach folgte war eineinhalb Stunden purer Wahnsinn und die absolute Überraschung des Wochenendes. Von LA BRASS BANDA hatte der eine oder andere vom Namen her sicher schon gehört, konnte die Musik aber nicht so wirklich zuordnen. Kein Wunder, denn der Sound des Fünfers aus Übersee am Chiemsee ist auch einzigartig. Und das ist keine Promofloskel, sondern Tatsache. La Brass Banda, das ist erst einmal die klassische Rhythmusgruppe aus Schlagzeug (hier in einer ziemlich abgespeckten Variante) und E-Bass. Dazu (und jetzt kommt’s!) Trompete, Posaune und Tuba. Dabei spielt die Band ganz ausgefallene Blasmusik zwischen bayerischer Tradition, Ska, Balkansound, Reggae, Rock und Techno. Liest sich wild? Klingt auch so! Mit diesem Klangcocktail und der ansteckenden Spielfreude rissen La Brass Banda das Publikum auch sofort mit, ließen es auch nicht mehr los und verwandelten den Platz vor der Bühne in eine einzige wogende und tanzende Masse. Der Überraschungseffekt und das Wundern über diese seltsame, aber zweifelsohne großartige Musik tat das ihrige dazu. Die Musiker holten die seltsamsten Geräusche aus ihren Blasinstrumenten und garnierten ihre Songs mit zahlreichen lustigen Ansagen (natürlich im Dialekt) und Spielchen. Nebenbei stellte man den Blickwinkel auf Blasmusik mal eben auf den Kopf. Wirklich großes Kino und zweifelsohne die Gewinner des Festivals!
Tja, dass die großen NEW MODEL ARMY stimmungstechnisch da nicht gleich anschließenden konnten war so gut wie klar, erwartete aber wohl auch keiner wirklich. Genossen haben ihn die meisten aber wohl sehr. Denn gut war er zweifelsohne, auch wenn er zuerst unter keinem so guten Stern stand. Denn krankheitsbedingt musste Gitarrist Marshall Gill zu Hause bleiben und wurde bei zahlreichen Songs von Keyboarder Dean White an der Sechssaitigen recht würdig vertreten. Vielleicht war das auch der Grund, dass sich verhältnismäßig zahlreiche Balladen im Set fanden und das Programm im Vergleich zu der Tour im letzten Herbst sehr durcheinander gewürfelt wurde. Ein Wiederhören von „You weren’t there“ und „Snelsmore Wood“ machte jedenfalls Freude, auch wenn viele eher auf flottere Songs der Marke „No rest“, „I love the world“ oder natürlich „51st state“ warteten. Denn da waren die ersten Reihen kaum zu halten und es entstand immer wieder ein ordentlicher Pogopit. Je länger das Konzert dauerte, desto williger saugten die Fans auch jede einzelne Note in sich auf. New Model Army lieferten am Ende eine sehr gute Vorstellung ab, selbst wenn ein Zahnrad im Getriebe der Band fehlte. Aber solange noch immer Sympathieträger und Alleinherrscher Justin Sullivan hinter dem Mikro steht und einen Hauch von Punk und Anarchie verbreitet, ist die Welt noch in Ordnung. Hoffen wir, dass er das noch viele Jahre tut. Denn ohne New Model Army wäre die Musikwelt ein Stück ärmer.
Neben einer guten Portion Sozialkritik war anschließend etwas luftigere Musik angesagt. LA VELA PUERCA sind nicht nur Uruguays populärste Band, sondern auch die einzige Band des Wochenendes, die einen Vertrag bei einem Majorlabel vorzuweisen hat. Für die Veranstalter wohl ein Glücksfall die achtköpfige Truppe hier auftreten lassen zu können und für die Festivalbesucher ein Glücksfall sie mal in diesem Rahmen zu sehen zu bekommen. Ihr Latinrock mit einem gewissen Skaanteil brachte noch einmal Schwung in die langsam aber sicher ermüdenden Knochen. An sich wäre die Musik gar nicht so spektakulär, hätte die Band nicht einen nicht von der Hand zu weisenden Exotenbonus. Alleine ihre mittelamerikanische Herkunft und die dadurch spanischen Texte sind schon speziell. Dass sie von zwei gleichberechtigten Sängern vorgetragen werden noch dazu. Leider klingen die meisten Songs an diesem Abend ziemlich gleichförmig, aber Spaß macht die Band trotzdem. Denn die lateinamerikanische Lebensfreude und die Spiellaune sind ziemlich ansteckend. Dass erstmal die ganze Lichtanlage voll zur Geltung kommt, sorgte noch zusätzlich für Atmosphäre. Trotzdem waren schon ziemliche Auflösungserscheinungen zu spüren und die Luft im Publikum ziemlich raus. Aber die wirklich Interessierten hielten bis zum Schluss durch und hatten ihren Spaß an diesem lebensbejahenden Auftritt.
Zum Abschluss gab es noch eine hypnotische Vorstellung des fünfköpfigen Goa-Ensembles ORANGE. Die freigeistige Einstellung des Festivals und seiner Besucher sorgt dafür, dass auch so etwas hier funktioniert und ist ein weiteres Indiz für die Einmaligkeit des Woodstock Open Airs. Aber trotzdem zog der Beobachter sein Bett diesem Spektakel vor. Am Schluss kann man nur noch hoffen, dass sich die Gerüchte nicht bewahrheiten, dass sich der örtliche Verein Waldgeister Dornstadt vom Festival zurückziehen und die Veranstaltung damit zu Grabe getragen wird. Denn es wäre wirklich schade, wenn so etwas Einmaliges nicht mehr stattfinden würde und allemal eine Träne wert.
Stefan Graßl + Mario Karl
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