Musik an sich


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Adès, Th. - (Adès, Th.)

The Tempest


Info
Musikrichtung: Neue Musik Oper

VÖ: 19.06.2009

(EMI Classics / EMI 2 CD / DDD / live 2007 / Best. Nr. 6 95345 2)

Gesamtspielzeit: 122:24



POSTMODERNE GROSSE OPER

Mit The Tempest, komponiert auf den Stoff des letzten Dramas von William Shakespeare, hat der heute 37jährige britische Komponist Thomas Adès 2004 ein gelungenes Beispiel für eine postmoderne Opernkomposition geschaffen. Gewichtigen Anteil an der erfolgreichen Umsetzung der Vorlage hat auch das Libretto von Meredith Oaks, das die verwickelte, sprachgewaltige Intrige in einer gereimten Nachdichtung auf eine operntaugliche Länge gebracht hat.

Ganz unterschiedliche Ausdrucks- und Stilebenen älterer und neuerer Klassik wurden von Adès schlüssig und organisch miteinander verbunden, so dass sich daraus ein musikdramatisches Ganzes ergibt, das nicht einfach nur ekklektisch und geschmäcklerisch wirkt. Dem Hörer wird eine nachvollziehbare, ausdrucks- und wirkungsvolle Musik geboten, die weder banale Effekte bemüht noch simpel gestrickt ist.
Formale, vokale und musikalische Experimente stehen nicht im Vordergrund, wenngleich das harmonische und klangfarbliche Spektrum – dem phantastischen Stoff angemessen – denkbar weit ist. Adès neue Töne sind dem Hörer stets sehr zugewandt und sprechen seine Gefühle unmittelbar an. Man kann mit den Protagonisten mitfühlen und ihre Leidenschaften teilen. So ist es sicher nicht verkehrt, von einer zeitgenössischen Version der traditionellen „Großen Oper“ zu sprechen.

Unüberhörbar ist das Vorbild Benjamin Britten (welcher britische Opernkomponist käme ganz an ihm vorbei?), per se ein Garant dafür, um das Beste aus den Operntraditionen des 19. und 20. Jahrhunderts zu vereinen. Statt mit wagnerischen „Leitmotiven“ Zusammenhänge zu schaffen, arbeitet Adès lieber die Eigenart jeder Szene durch treffende Charakterisierungen heraus, die das Profil der auftretenden Figuren immer im jeweiligen Kontext entstehen lassen.
Wildes und zupackend Dissonantes (vor allem der Beginn des 1. Aktes) finden sich darum ebenso wie Sanftes und Lyrisches (z. B. das zarte Duett von Miranda und Ferdinand im 2. Akt oder das große Quintett am Ende des 3.) Die dichte Verzahnung von Soli, Ensemble- und Choreinlagen z. B. im 2. Akt hält eine konstante Spannung.
Ein besonderer Coup sind die aberwitzigen Koloraturen, die der Sängerin des Luftgeistes Ariel abverlangt sind. Sie liegen gefühlt nahe am Ultraschallbereich, werden von Cynthia Sieden aber nicht nur richtig, sondern auch meistens schön gesungen (nur im 3. Akt wirkt sie mitunter etwas erschöpft). Das Ungeheuer Caliban gerät nicht zuletzt durch den expressiven lyrischen Tenor von Ian Bostridge zu einer ebenso grausamen wie tragischen Gestalt. Kate Royal und Toby Spence geben als Miranda und Ferdinand ein stimmlich leider etwas blasses Liebespaar. Simon Keenlyside, dem die Titelpartie auf die Stimme geschrieben wurde, liefert dagegen ein sehr vielschichtiges Porträt des Prospero zwischen magischer Allmacht und Resignation. Auch die übrigen Sängerdarsteller überzeugen durch dramatisches Gespür. Befeuernd ist das persönliche Dirigat des Komponisten.

Ungünstig wirkt sich bedauerlicherweise die Akustik des Live-Mitschnitts aus. Das Klangbild ist dumpf, tieffrequente Töne und zahlreiche Nebengeräusche drängen sich unschön in den Vordergrund. So wird das Hörvergnügen immer wieder getrübt.



Georg Henkel



Trackliste
CD I: Akt 1 & 2 77:36
CD II: Akt 3 44:48
Besetzung

Simon Keenlyside: Prospero
Cyndia Sieden: Ariel
Ian Bostridge: Caliban
Kate Royal: Miranda
Toby Spence: Ferdinand
Philip Langridge: König von Neapel
u. a.

Chor und Orchester der Royal Opera Covent Garden


Thomas Adès: Leitung


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