Musik an sich


Artikel
Evolution Festival 2006




Info
Künstler: Diverse

Zeit: 16.07.2006

Ort: Toscolano Maderno (Gardasee), Italien

Internet:
http://www.evolutionfest.it

Als Musikfreund kennt man wahrscheinlich das Problem. Man hat mit dem Lebenspartner oder der Familie einen gemütlichen Strandurlaub gebucht und nach wenigen Tagen Sandburgenbauen und Hotel-/Campinganimation kommt so langsam Langeweile auf und man sehnt sich nach etwas Abwechslung. Genau dies versuchte ich zumindest dieses Jahr zu vermeiden, da fiel mir die Anzeige des Evolution Festivals in Toscolano Maderno (Region Brescia) ins Auge. Da ich mich zu der Zeit in der Nähe von Venedig im Urlaub befand und das Programm des dritten Festivaltags ganz meinem Gusto entsprach stand fest: Da musst Du hin! Also nicht lange überlegt und sonntags Früh die gut 200 km Richtung Gardasee auf der Autobahn heruntergerissen. Nach einer schier endlos scheinenden Odyssee kam ich auch im Ferienort Toscolano Maderno an. Dort fiel einem gleich die wundervolle Lage des Festivalgeländes ins Auge. Direkt am Seeufer von Bergen umringt und zwischen Touribehausungen in einem kleinen Fußballstadion gelegen, gaben sich schätzungsweise 5.000 Headbanger dem Ruf des Heavy Metal hin. Darunter auch einige weitere Deutsche (zu erkennen an der krebsroten Hautfärbung und zu viel Sonnencreme im Gesicht). An dieser Stelle fand dieses Festival letztes Jahr zum ersten Mal an einem einzelnen Tag statt. Jetzt waren es gleich drei. An den beiden Vortagen gaben sich bereits solch illustre Gäste wie Death SS, Dark Tranquility, Within Temptation oder Cradle of Filth das Mikro in die Hand. Für einen Preis von 40,- EUR (Samstag/Sonntag) oder 75,- EUR (ganzes Wochenende) konnte man sich hier seine Ohren verwöhnen lassen. Also schnell ein Ticket gelöst und los konnte es gehen.

Als erste Band des Tages standen für mich die Lokalmatadore Sadist mit ihrem Irgendwas-Core auf dem Programm (Kayser und Secret Sphere hatte ich leider verpasst). Musikalisch schwer einzuordnen – Zeitgenössische Riffs, plötzlich auftauchende Keyboardflächen (von Gitarrist Tommy), infernalische Screams und gewöhnungsbedürftige Songs zeichnen dieses Quartett aus. Für Unbedarfte etwas zu fordernd (man einer sucht noch heute nach einer eingängigen Songstruktur), war das einheimische Publikum umso mehr angetan von der Band.

Für meine Wenigkeit war die Sache für den Anfang ein wenig zu anstrengend und so ließ sich die Zeit für eine Erkundungstour durch das Gelände und den Metalmarkt nutzen. Hier war, wie von anderen Festivals gewöhnt, eine ganze Palette an verschiedenen Ständen aus In- und Ausland (u.a. auch Händler aus Frankreich und Deutschland) vertreten. Lediglich die Verpflegung war etwas ungewohnt. Bier (0,3 l) und Alkoholfreies (0,5 l) gab es für 3,- EUR, Wasser (0,5 l) für 1,- EUR. Feste Nahrung wurde nur kalt und vakuumverpackt für 3,- bis 4,- EUR serviert (also Sandwiches, Pizza und sogar Nudeln). Da soll noch einer über das deutsche Festivalfutter meckern.


Nach dieser Exkursion stand das finnisch-finnische Duell Ensiferum-Finntroll an. Erstere überzeugten mit grenzenloser Spiellaune, so dass bei „Dragonhearts“ oder „Iron“ nur wenige stell stehen bleiben konnten oder es der dauerbangenden Keyboarderin Meiju Enho gleichtaten. Doch Finntroll brachten anschließend noch etwas mehr Schwung in die immer zahlreicher werdenden Metalfans. Und das obwohl die Humppa-Metaller sich an diesem Tag nicht wirklich in Höchstform präsentierten. Entweder vertrugen die Nordmänner das italienische Klima nicht, oder die Luft ist nach den endlosen Tour-Marathons etwas raus. Zu statisch und gelangweilt wirkte die Instrumentalfraktion. Auch Neu-Sänger Mathias Lillmåns konnte nicht restlos begeistern. Dafür war sein Auftreten noch zu unsicher und sein Geröchel auf Dauer zu eintönig. Aber wie bereits erwähnt, fanden´s die Anwesenden toll – und darauf kommt´s für viele schließlich an. Der Punkt geht somit stimmungsmäßig an Finntroll, spielerisch dagegen an Ensiferum. Macht ein klassisches Untentschieden.


The Gathering mit ihrem trippigen Rocksound in der Nachmittagshitze auf einem Metalfestival, kann das gut gehen? Ohja es kann, und wie! Und es lag nicht nur daran, dass die sympathischen Holländer an diesem Tag fast ausschließlich auf ihre gitarrenlastige Vergangenheit setzten. Als Sängerin Annekke zu den ersten Tönen von „Shortest day“ das Geschehen betrat strahlte nicht nur diese, sondern auch die Herzen vieler Anwesenden schlugen schlagartig höher. Dem Charisma dieser wunderbaren Frau konnten sich nur wenig widersetzen. Genauso wie den Songs vom Schlage „Liberty bell“ oder „Eleanor“. Die Massen ließen sich nur zu bereitwillig von den ausgelegten Klanteppichen hinwegtreiben und windeten sich im Takt ebenso wie The Gathering´s Frontfrau, welche das Publikum immer mehr antrieb. Mit dem abschließenden Paukenschlag „Strange machines“ wurde man wieder zurück in die Wirklichkeit gerissen und konnte sich sicher sein, soeben einen Wahnsinnsauftritt und eines der Tageshighlights gesehen bzw. gehört zu haben.


Was Annekke von Giersbergen für The Gathering darstellt, ist John Bush für Armored Saint. Ein Sänger von Format mit besonderer Ausstrahlung. Noch dazu scheinen sich beide formtechnisch momentan auf ihrem Zenith zu befinden. Wie dem auch sei, der L.A.-Fünfer legte, wie bereits auf dem Bang-Your-Head, mit „Lesson well learned“ ordentlich los und ließ zu keiner Sekunde auch nur einen Funken an Langeweile aufkommen. Die Band hatte einen ziemlichen Bewegungsdrang und kein Quadratzentimeter der Bühne war vor ihnen sicher. Und auch davor konnte sich eine große Zahl von Leuten für diesen Sound begeistern und feierte Klassiker wie „Tribal dance“, „Aftermath“ oder dem abschließenden „Can u deliver“. Ein wieder tolles Erlebnis, welches nur einen faden Beigeschmack besitzt: man will einfach immer mehr davon!

Wem bei dieser Hitze und der geballten Ladung Schwermetall noch nicht das Hirnwasser kochte, der konnte sich nun bei den wiedervereinigten Atheist die Schädeldecke vollends sprengen lassen. In unseren Breitengraden war die Band zwar noch nie wirklich populär, aber hier in Italien scheint man sie nicht vergessen zu haben. Die Techno-Thrasher langten ordentlich hin und brachten die Bühne nicht nur zum Beben, sondern Teile davon sogar zum Einsturz. Mit den breaklastigen Songs wurde Headbangen fast zur Rechenaufgabe, so dass der Fünfer sicherlich so einige Synapsen zum durchbrennen brachte. Eine ziemlich beeindruckende Vorstellung die auf eine Fortsetzung hoffen lässt. Comeback gelungen!


Mit Amon Amarth folgte ein weiterer Festival-Dauerbrenner. Litten auch diese in den letzten Monaten stellenweise an einer Formschwäche, war davon an diesem Tag nichts mehr zu spüren. So gab es die volle Ladung Kampfeshymnen. War der Sound anfangs noch recht matschig, entfaltete er mit zunehmender Spielzeit seine volle Durchschlagskraft. Das Publikum nahm jeden Ton hungrig entgegen und schwang kräftig das Haupthaar. Ein tadelloser Auftritt der Wikinger – wie (fast) immer.

Etwas seltener zu sehen auf den Festivalbühnen der Welt sind dagegen die Portugiesen Moonspell. Mit ihrem Düstersound lieferten sie den optimalen Soundtrack während sich die glühende Sonne langsam hinter den Bergen verabschiedete. Passend dazu hatte man die Bühne in ein großes Sonnenuntergangsszenario verwandelt. Beste Voraussetzungen also. Moonspell zogen einen selbst Lied für Lied tiefer in ihren lyrischen Kosmos. Den Gifpel der Glückseligkeit wurde (erwartungsgemäß) mit den Hits „Opium“ und „Alma Mater“ erreicht. Mit „Vampiria“ lieferte man dann endgültig den Beweis ab, woher die Genre-Schublade Dark Metal stammt und beendete damit diesen unterhaltsamen Auftritt.

Dass Death Angel einen ziemlich hohen Stellenwert hier innehaben, merkt man schon an der hohen Billingposition. Da steppte auch vom ersten Akkord von „Third floor“ an der Bär. Statt Menschen sah man im Moshpit von der Größe des Ätna-Kraters nur noch eine riesige Staubwolke. Die Amerikaner waren davon mehr als angetan spielten sich in einen wahren Rausch. Durch die inzwischen fortgeschrittene Dunkelheit und der effektvollen Lightshow erreichte man fast die Intensität eines Klubkonzerts. Von der Setlist her ließ sich der Fünfter auch nicht lumpen und packte sämtliche Karrierehighlights von „Evil priest“ bis „Thicker than blood“ aus, so dass keine Wünsche offen blieben. Mit „Kill as one“ fand das Spektakel sein Ende und die Death Angel-Rufe hallten noch eine Zeit lang über das Gelände


Die allerdings spätestens beim Saxon-Intro verstummten. Wer die Briten bisher schon ein- oder mehrmals gesehen hatte, braucht jetzt allerdings nicht wirklich weiter zu lesen. Er war fast alles wie immer: die selben markigen, aber unterhaltsamen, Sprüche und das Zerreisen der Setlist von Sänger Biff, das Hubschrauber-Banging von Nibbs Carter, sowie die volle Hitpackung von „Lionheart“ bis „Princess of the dawn“. Doch hatte man noch eine besondere Überraschung mitgebracht: Extra für diesen Auftritt ließ man den Saxon-Adler über den Kanal fliegen und präsentierte ihn stilecht erstmals bei „The eagle has landed“. Kein Wunder, dass das begeisterungsfähige italienische (und für diese Band noch ziemlich junge) Publikum total ausklinkte, pausenlos Saxon-Chöre anstimmte und dabei noch jedes Gitarrensolo mitsang. Grandioser Abschluss eines tollen Konzerttages.

So ging auch dieses (noch) beschauliche aber mehr als feine Festival zu Ende. Ein Open Air mit großem Potenzial, welches man sich für die Zukunft merken sollte. Denn es ist durchaus eine Reise wert. Wo kann man sonst noch gemütlich seine Beine ins kühle Wasser strecken und dabei eine ordentliche Ladung Schwermetall genießen? Also nächstes Jahr nichts wie auf zum Gardesee!


Mario Karl



Zurück zur Artikelübersicht
 >>