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Reviews
Stravinsky, I. (Craft)

Die griechischen Ballette


Info
Musikrichtung: Ballett

VÖ: 19.04.2005

Naxos / Naxos
CD DDD (AD 1992 / 1995) / Best. Nr. 8.557502


Gesamtspielzeit: 77:45



MEISTER DER MASKIERUNG

Die Fähigkeit, sich die unterschiedlichsten musikalischen Formen und Sprachen vom Mittelalter bis zur Gegenwart verfügbar zu machen und doch eine unverkennbar eigene Musik damit zu komponieren, macht Stravinsky zu einem der abwechslungsreichsten und wohl auch unberechenbarsten Komponisten des 20. Jahrhunderts.
Die drei zwischen 1928 und 1957 entstandenen Griechischen Ballette illustrieren diese Fähigkeit, den ureigenen Ton in immer neuer stilistischer Maskierung zum Klingen zu bringen, aufs Schönste: Apollon musagete ist in seiner klassizistischen Klarheit und Eleganz eine Salonmusik, der jede Erdenschwere abgeht. Der 1948 komponierte Orpheus dagegen inszeniert den antiken Mythos um den göttlichen Sänger stärker mit klangmalerischen Mitteln und schlägt außerdem deutlich dunklere Töne an – ein Nachklingen jener impressionistischen Klangwelten, mit der der Komponist einst für Aufsehen gesorgt hatte. Allgegenwärtig ist jene rhythmische Energie, die Stravinskys Musik ihren unverkennbar körperlichen Charakter verleiht. Diese Energie entlädt sich vor allem im Pas d’action, wenn die Bacchantinnen Orpheus zerreißen. Doch kommt es nirgendwo mehr zu jenen schon beinahe überanstrengten Ausbrüchen, die Stravinskys Sacre 1913 zum skandalträchtigen Paukenschlag werden ließen.

Von ganz anderer Natur als diese perfekt ausbalancierten und mitunter etwas unterkühlten Meisterstücke ist dagegen das jüngste und mit knapp 20 Minuten kürzeste Werk, das 1957 vollendete „abstrakte“ Ballett Agon, dem keine Handlung, sondern eher die Vorstellung eines Wettstreits der Tänzer zugrunde liegt. In seiner spröden Klanglichkeit ist dies das interessanteste, modernste Stück auf dieser Platte. Die mit immer wieder neuen und überraschenden Instrumentalkombinationen aufwartende Musik ist von kammermusikalischer Durchsichtigkeit. Anspielungen auf die Musik des Mittelalters und des Barock verbinden sich mit Anklängen an Anton Webern und die Nachkriegsavantgarde. Diese Eindrücke verdanken sich nicht nur den eigenwilligen Klangfarben, sondern auch der Reihung rasch aufeinander folgender kleiner Motivzellen und der komplexen Rhythmik (die gleichwohl immer „tanzbar“ bleibt). Abstrakte Zwölftönigkeit gibt es dagegen nicht. Hier zeigt ein Altmeister, wie man zeitgenössische Musik mit wachem Verstand und offenen Ohren schreibt!
Stravinsky-Spezialist Robert Craft betont bei Agon die Webernsche Dimension: sehr strukturbewusst, trocken im Ansatz, bei deutlich herausgestellten musikalischen Einzelereignissen, wie man es aus der seriellen Musik kennt. Auch bei Apollo und Orpheus untersagt der Dirigent seinen Musikern einen blühenden Ton; zwar entfaltet sich die Musik hier mit geschmeidigerer Phrasierung und Gespür für die luftigen (Apollo) oder malerischen (Orpheus) Texturen, die Poesie der Musik kommt bei dieser eher strengen, „modernistischen“ Auffassung jedoch nicht so Recht zur Wirkung.



Georg Henkel



Trackliste
01-10 Apollo musagete 28:18
11-26 Agon 20:56
26-39 Orpheus 28:31
Besetzung

London Symphony Orchestra
Orchstra of St. Luke’s

Ltg. Robert Craft


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