Lully, J.-B. (Rousset)
Roland. Tragédie en musique
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Info |
Musikrichtung:
Barockoper
VÖ: 15.05.2004
Ambroisie / Note 1 3 CD DDD (AD 2004) / Best. Nr. AMB 9949
Gesamtspielzeit: 160:23
Internet:
Les Talens Lyrique
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WAHNSINNS-SZENEN
Wer bereits Opern von Jean-Baptiste Lully kennt, weiß, worauf man sich bei einem Werk wie dem Roland(1685) einzustellen hat: Im Prolog wird zuerst eine kleine musikalische Pralinenschachtel geöffnet (das Königslob verpflichtete zur Festlichkeit und Glanz in Form von programmatischen Tänzen, Airs und Chören), bevor es dann im ersten Akt dramatisch-deklamatorisch eher steil aufwärts geht. Derweil zeichnet sich die tragische Ausgangssituation ab: Meist geht es ja um Konflikte zwischen Liebe, Ehre, Heldentum oder Eifersucht, die, befeuert von geheimnisvollen Mächten, Götterwesen und allerlei Intrigen, von echten Heroinnen und Heroen bis zum Happy End ausgestanden werden müssen. Im Fall des Roland ist der Plot eher übersichtlich und weniger übernatürlich: Ritter Roland, edelmutig und stark, ist zu Angélique, der schönen Königin von Catai, in glühender Liebe entbrannt. Die Angebetete aber liebt Médor, einen Habenichts, den sie (!) aus Lebensgefahr gerettet hat. Was Roland in diverse Gefühlsextreme treibt: Verzweiflung, Wut, Eifersucht – und schließlich Wahnsinn. Aber zum Glück gibt es ja noch die gute Fee Logistille, die weiß, daß die wahre Berufung unsers Helden der Ruhm auf dem Schlachtfeld ist … Was nach barockem Groschenroman klingt, ist in Wirklichkeit eine konzentrierte Bearbeitung von Ariosts Renaissance-Ritter-Epos „Orlando Furioso“. Die Lösung des dramatischen Knotens kann dann in den folgenden Akten mehr und mehr mit rein musikalischen Mitteln erfolgen. Gerade in seinen späten Opern hat Lully den umfangreichen streng deklamierenden Abschnitten mit immer ausgreifenderen Divertissements aus Tänzen und Chören ein deutliches Gegengewicht geschaffen. Roland bot ihm durch seine differenzierte Szenerie reichlich Gelegenheit, einen großen Reichtum unterschiedlichster Musik auszubreiten.
IDYLLE UND RASEREI
Für diese Anreicherung, die den Gang der Handlung praktisch zum Erliegen bringt, sind im Roland das Divertissement der Liebenden im 2. Akt oder die gewaltige 12-minütige Chaconne am Ende des 3. gute Beispiele. Wie hier mit überraschend wenig Material große Szenenblöcke gestaltet und zu klingenden Architekturen aufgetürmt werden, ist ebenso eindrucksvoll wie der schiere musikalische Reiz, den der Komponist hier entfaltet. Die endlosen Variationen über das Chaconne-Thema erzeugen einen geradezu hypnotischen Sog – das ist einer liturgischen Litanei nicht unähnlich. Nur, daß hier nicht das himmlische Paradies, sondern sehr irdische Freuden besungen wird: Liebe, Leidenschaft, Eros. Berückend (und entrückend) erklingen auch die Liebesschwüre von Protagonisten und Chor im Finale des 2. Aktes. Diesem zarten Klangzauber, bei dem der Chor wie aus himmlischer Ferne antwortet, kann man sich kaum entziehen. Zum dramatischen Motor werden derartige Elemente dagegen im 5. Akt, der fast vollkommen durchkomponiert ist. Hier ist es der phantastische Auftritt der Fee Logistille, der in duftigste musikalische Farben gekleidet wird, bevor die markigen „Gloire“-Rufe des Chors den Helden ins Schlachtfeld zurückbegleiten. Im 4. Akt aber, dem dramatischen Höhepunk der ganzen Oper, werden in der Musik menschliche Leidenschaften entfesselt, die auch einer italienischen Oper dieser Zeit gut angestanden hätten: Hier nämlich darf der Held seinen Gefühlen bis zur Raserei freien Lauf lassen (Bühnenanweisung: reißt Bäume aus und schleudert Felsbrocken!), zunächst begleitete von einem wunderbar pathetischen Satz der Violinen und Holzbläser, die schließlich Prestissimo in das Toben des Helden einstimmen. Zum Kontrast hat Lully eine pastorale Idylle eingeschaltet: bukolische Anmut und berserkerhafter Wahnsinn – eine sehr barocke Mischung, die in dieser Einspielung wunderbar aufgeht.
INSPIRIERT VON DER SPANNUNG EINER LIVE-AUFFÜHRUNG
Am Pult (bzw. am Cembalo) leitete nämlich Christophe Rousset sein Ensemble Les Talents Lyrique. Die Aufnahme entstand Anfang des Jahres 2004 im Opernhaus von Lausanne unter Studiobedingungen in den Pausentagen zwischen den Bühnenaufführungen. Musiziert wird elegant und konturenscharf, mit Verve und rhythmischer Präzision. Die Spannung, die in den ersten Takten der Ouvertüre aufgebaut wird, trägt über die ganzen zweieinhalb Stunden - anders als beim Persée, der 2001 beim Label Astrée erschienen ist. Abgesehen von dem etwas distanzierten Klangbild waren es hier vor allem der zu lyrisch agierende Chor, der dem Werk zwischenzeitlich den dramatischen Atem ausgehen ließ. Auch standen die Solisten nicht alle auf der gleichen Höhe. Beim Roland kostet Rousset die Kontraste der Lullyschen Mosaike wesentlich trennschärfer aus (nur den Verzicht auf das fakultative Schlagzeug bei den Tänzen mag man bedauern). Der Chor des Opernhauses von Lausanne klingt in jeder Situation fabelhaft. Und bei den Solisten gibt es keinen Ausfall: Anna-Maria Panzarella brilliert als Angélique mit feinziselierter Deklamation und einer nuancierten, farbigen Tongebung. Daß die Königin von Catai dem zärtlichen Médor (Olivier Dumait mit lyrischem hohen Tenor) mehr zugeneigt ist, als dem vor Leidenschaft rasenden Roland (Nicolas Testé mit kernigem, vollen (und manchmal etwas gepreßt klingenden) Baß), wird durch die Besetzung sinnfällig. Die unverzichtbaren Gefährten und Zaubermächte sind mit Monique Zanetti, Robert Getchell und Salomé Haller ebenfalls gut besetzt. Das aufnahmeortbedingt etwas unruhige Klangbild ist präsent und natürlich. Eine vorbildliche Ausstattung mit ausführlichen Begleittexten und deutschsprachigem Libretto rundet die Produktion ab.
Fazit: Für Neugierige eine lohnende, für Lullysten eine unverzichtbare Produktion!
Georg Henkel
Trackliste |
CD 1 Prolog und I. Akt 47:45 CD 2 II. und III. Akt 60:25 CD 3 IV. und V. Akt 52:13 |
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Besetzung |
Nicolas Testé (Roland) Anna-Maria Panzarella (Angélique) Olivier Dumait (Médor) Monique Zanetti (Témire, Bélise) Robert Getchell (Astolfe) Salomé Haller (La fée principale, Logistille) u. a.
Chor des Oper von Lausanne
Les Talens Lyrique Christophe Rousset, Ltg. und Cembalo
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