Interpretation: ++++
Klang: +++++
Edition: +++++
THE ENSEMBLES: TIGER LILLIES AND KRONOS QUARTETT
Angesichts dieser originellen Produktion merkt man, wie wenig mit Ettikettierungen wie "Crossover" anzufangen ist, wenn es mal darauf ankommt. "Skurrile-britische-Kabarett-Punk-Band-musiziert-mit-renommiertem-und-Experimenten-nicht-abgeneigten-Streichquartett-bizarr-poetische-nonsense-Balladen-von-unbekanntem-aber-schon-toten-Dichter-CD" kommt da der Sache schon etwas näher, dürfte aber wohl kaum den Eingang in das Schatzkästlein der deutschen Sprache finden. Wie das wohl den Leuten von der Gruppe The Tiger Lillies und dem Kronos Quartett gefällt!?
Während die avantgardistische Kabarett Band The Tiger Lillies durch eine höchst eigenwillige Performance des Struwwelpeters (Shockheaded Peter) auch über die Grenzen Englands hinaus bekannt geworden ist, hat das Kronos Quartett seit seiner Gründung nicht nur ferne musikalische Welten abseits des klassischen Standard-Repertoires erkundet, sondern immer wieder überraschende Fusionen von E- und U-Musik, von Alter und Neuer Musik präsentiert.
THE LYRICS: BASED ON POEMS BY EDWARD GOREY
Bei der aktuellen Kooperation der beiden Ensembles ist aber noch ein Dritter im Spiel: der inzwischen verstorbene Dichter und Zeichner Edward Gorey, der dem Album auch den Namen gegeben hat: Gorey End. Gorey nämlich schickte einst dem Komponisten und Sänger der Tiger Lillies, Martyn Jaques, einen Karton mit unveröffentlichten Zeichnungen und Gedichten. Der war von dem Witz der Texte sehr angetan und machte aus ihnen, zur großen Freude Goreys, nach und nach kleine Lieder. Die gibts hier nun zu hören. Und das schön gemachte Booklet ist mit Goreys Zeichnungen garniert.
Es treten auf: ein Panoptikum merkwürdiger Figuren, verwickelt in hochdramatische, gruselige, herzergreifende oder rabenschwarze Begebenheiten voller unerwarteter Wendungen. Jahrmarktsgeschichten und Nonsense-Lyrik, wie sie ein Bänkelsänger nicht besser ersinnen können und die Goreys Verwandte im Geiste, Lewis Carroll und Monty Phython, nicht verleugnen. In der verrückten Welt von Gorey End wird viel und auf höchst ungewöhnliche Weise gestorben: Kehle-durch, ritueller Selbstmord, Verbluten, Erschlagen, In-die-Grube-fallen, Ersticken - was davon aber geschah wirklich mit der guten Hertha Strubb, sie wär heut 23 ... (Track 8). Schwarz und böse geht es auch zu, wenn uns die Mitglieder der Hipdeep Familiy im Monatsrhythmus verlassen (Track 13).
Beim Titel der CD handelt es sich wohl um das passende Wortspiel: "gory" = "blutig. "Gorey End": das blutige Ende. Aber auch: das Ende von Edward Gorey ...
THE VOICE: MARTYN JAQUES
Das alles ist mit viel Liebe zum witzigen musikalischen Detail in balladeske Töne und kaum weniger lustvoll in die vokale Szene gesetzt. Mit Orgel, Klavier, Akkordeon und Ukulele, Schlagzeug, Bass und singender Säge geht es hier und in anderen Stücken mit Jazz-, Chanson- und Tango-Anklängen phantasievoll zur Sache. Umwerfend der schräge Gesang von Martyn Jaques, der im Fallsett einen unbeschreiblichen Ton hinbekommt: zwitterhaft zwischen nicht ganz koscherem Märchenonkel und wahnsinniger Jungfrau, dabei von ausgesprochen schwarzhumorigem britischen Charme. In angemessenen Dosen genossen, macht diese Geisterbahn großen Spaß!
Angesichts des eher diskreten Einsatz' des Kronos Quartetts (es begnügt sich manchmal damit, einfach nur den Klang anzueichern), könnte man auf den Gedanken kommen, dass man das renommierte Ensemble lediglich als zugkräftigen Namen vor die Produktion gespannt hat. Wogegen ja nichts zu sagen wäre. Für Kronos-Fans ists aber wohl doch zu wenig. Das hätte jedes Musikschul-Streichquartett hinbekommen. Vielleicht ist die Zurückhaltung aber auch dem Understatement der Kronos-Leute geschuldet, die es einfach nicht nötig haben, sich in den Vordergrund zu spielen. Wie auch immer: Bühne frei für Edward Gorey.
16 Punkte
Georg Henkel
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