Interpretation: ++++
Klang: +++
Inszenierung:+++
Bildregie:+++
Edition: ++++
PAISIELLO - EIN VERGESSENER STAR
Zu Lebzeiten war Giovanni Paisiello dank seiner launigen Buffo-Opern ein in ganz Europa von Neapel, über Paris bis Moskau gefeierter Starkomponist. Auch andere Musiker, wie etwa Rossini oder auch Mozart schätzten seine Werke durchaus, nicht zuletzt wegen der raffinierten Ensemblekunst, die sie zum Vorbild nahmen. Dennoch ist der gebürtige Italiener heute kaum noch auf den Spielplänen zu finden. Zu Unrecht, wie gerade "Nina", eine seiner erfolgreichsten Opern zeigt. Das aus dem Jahre 1789 stammende Stück nimmt sich wohl erstmals in der Operngeschichte dem Thema des Wahsinns mit psychologisierendem Interesse an.
Die Geschichte, ein typischer Konfikt zwischen Pficht und Neigung, ist schnell erzählt: Nina liebt Lindoro. Lindoro liebt Linda. Ihr Vater, der Graf, hatte zunächst auch sein Einverständnis zur Hochzeit gegeben. Als sich plötzlich eine gesellschaftlich bessere Partie für seine Tochter fand, war jedoch Schluss damit. Beim Versuch, seiner geliebten Nina Lebewohl zu sagen, kam es zum Duell zwischen Lindoro und seinem Widersacher. Nina mußte mit ansehen, wie Lindoro niedergestochen wurde. Sie wähnt ihn nunmehr tot und ist aus Kummer über den Verlust dem Wahnsinn verfallen. In dörflicher Umgebung wird sie gepflegt. Und Tag um Tag erwartet sie traurig die Rückkehr ihres Lindoro. Ihr Vater bereut inzwischen seine Hartherzigkeit, doch erst als der beim Duell lediglich verletzte Lindoro in Verkleidung wieder auftaucht und sich Nina langsam zu erkennen gibt, kehrt diese wieder in die Wirklichkeit zurück. Dem Happy End steht nichts mehr im Wege.
HAPPY END ODER OFFENER AUSGANG?
In den Züricher Inszenierung aus dem Jahr 2002, die das Label "Arthaus" jetzt als DVD vorlegt, präsentiert sich das glückliche Ende hingegen keineswegs so ungetrübt, wie es scheint. Wenn im Schlußbild der Graf und Lindoro vereint zusammen stehen, aber die bleibenden Zweifel Ninas nicht bemerken, sie vielmehr allein am Rande liegen lassen, ist kein nachhaltiger Sieg der Liebe zu verzeichnen. Es wird überhaupt viel mit Doppelbödigkeiten und Andeutungen gespielt. Ob Ninas Wahnsinn überhaupt echt ist oder nur ein probates Mittel im Kampf gegen den scheinbar übermächtigen Vater und die von ihm repräsentierten Konventionen, bleibt durchaus offen. Eine interessante, nachdenkliche Inszenierung also, die insofern mit der Zwitterstellung dieser Oper korrespondiert, welche sowohl Elemente der "opera buffa", als auch solche der "opera seria" aufweist und damit die Grenzen beider Formen sprengt.
DIE BARTOLI ALS IDEALE "NINA"
Am spannensten ist dabei ohne Zweifel das Portrait, das Paisiello von der Protagonistin Nina zeichnet. Er hat die Partie mit einer Musik ausgestattet, die durch ständige Tonartenwechsel, Pausen, Verschiebungen u.ä. das Hin- und Hergeworfensein des Mädchens ausleuchtet - eine erstaunliche Vorwegnahme der später so beliebten "Wahsinnsszenen", etwa bei Donizetti und Bellini.
Cecilia Bartoli darf für diese Rolle mit Recht als Idealbesetzung bezeichnet werden. Die Vielfalt ihrer stimmlichen Möglichkeiten und ihr inzwischen perfektioniertes schauspielerisches Talent vereinen sich zu einer höchst differenzierten Charakterdarstellung. Die der Rolle innewohnende Spannung, die sich auch bis zum Schluß nie ganz auflöst, verkörpert die Bartoli eindringlich.
NICHT ALLE ÜBERZEUGEN RUNDUM
Naturgemäß haben es die anderen Mitwirkenden schwer, sich gegen einen solchen Star erfolgreich in Szene zu setzen. Erfolg beschieden ist insoweit Laszlo Polgar (Bass) als Graf: Auch er liefert nicht allein stimmlich, sondern auch in der Darstellung eine ausgezeichnete Leistung ab. Noch überzeugender wäre dies gewesen, wenn nicht die Personenregie manch kuriosen Einfall gehabt hätte: So singt der Graf von seiner Unruhe, die ihn umherirren läßt, bewegte Streicherfiguren deuten die Bewegung an, aber der Graf steht wie angewurzelt auf der Bühne herum.
Ebenfalls eine ausgezeichnete Figur macht Juliette Galstian als Ninas Gouvernante Susanna. Die anspruchsvolle Partie ist weit mehr als eine Nebenrolle und sie wird hier meisterhaft ausgefüllt.
Jonas Kaufmann verkörpert demgegenüber nicht nur den Lindoro, sondern auch das leidige Tenorproblem. Seine Stimme wirkt, sobald die Mittellage verlassen ist, oftmals recht kehlig. Allerdings steigert sich Kaufmann im Laufe der Oper, so dass seine Solo-Arie im zweiten Akt durchaus zu einer hörenswerten Darbietung wird.
Problematisch auch Angelo Veccia, der in der Rolle des Verwalters buffoneskes mit clowneskem Spiel (und teils ebensolchem Gesang) verwechselt. Da ist vieles einfach zu dick aufgetragen.
EIN KREUZBRAVER DIRIGENT UND EIN TROCKENER SOUND
Adam Fischer leitet Orchester und Ensemble souverän, aber manchmal hätte ein bißchen mehr Esprit und Spielwitz der Sache gut getan. Die vornehme Zurückhaltung des Orchesters gerinnt deshalb zeitweise zu einer allzu braven Begleitung. Die Klangqualität der Aufnahme erleidet keine Nachteile durch die Tatsache, dass es sich um einen Live-Mitschnitt handelt. Jedoch ist der Sound ziemlich trocken und, was das Orchester angeht, sogar deutlich gedeckelt. Insofern entspricht er dem Klangeindruck, der sich meist tatsächlich beim Besuch im Opernhaus einstellt, der sich aber deutlich vom ausgewogenen, runden Studioklang unterscheidet.
Alles in allem eine erfreuliche Repertoirebereicherung und dank Cecilia Bartoli eine - wenn auch mit Abstrichen - empfehlenswerte Aufnahme. Zusätzlich bekommt der Käufer noch eine dreiviertelstündige Dokumentation über Leben und Werk Paisiellos mitgeliefert. Eine wirklich üppige "Zugabe".
16 Punkte
Sven Kerkhoff
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