Interpretation: +++++
Klang: +++
Edition: +++++
DONIZETTI MEETS VERDI
Das kleine Label Opera Rara macht sich immer wieder darum verdient, versunkene Schätze aus der Welt der Oper des 19. Jahrhunderts ans Licht zu holen. Den Bühnen fehlt doch leider meist der Mut , dieses unbekannte Repertoire ins Programm zu nehmen. Denn: Stehen Verdi oder Donizetti an, strömen vermeintlich die Massen wie von selbst ins Opernhaus. Aber bei Mercadante...?!?
Nun, auch bei ihm hätten die Opernfans allen Grund dazu und seine "Zaira" zeigt exemplarisch, warum. Mercadante schrieb ein Werk voll melodischen Reichtums, ein Stück mit viel dramatischem Verve und emotionalem Feuer, teils mit ungewöhnlich vielfältiger Orchesterbegleitung und v.a. mit raffinierten, berückend schönen Ensemblestücken. Kein Wunder also, dass seine "Zaira" seinerzeit sofort ein Erfolg wurde (anders übrigens als Bellinis Vertonung, der sich kurz zuvor auch an dem Libretto versucht hatte).
Die Musik verleugnet die zeitliche Nähe zu eben jenem Bellini, vor allem jedoch zu Donizetti nicht, nimmt aber stellenweise auch schon musikalsiche Mittel vorweg, die der junge Verdi in seinen frühen Opern erprobte.
LIEBE, FREIHEIT, GLAUBE, TOD - UND WAS EIN OPERNSUJET SONST NOCH SO BRAUCHT
Das aus der Feder Felice Romanis stammende Textbuch ist, wie häufig in der Oper des 19. Jahrhunderts, an und für sich nicht viel mehr als ein Tableau, um die Palette der menschlichen Gefühle auszubreiten und musikalisch auszuweiden. Die Story um die in muslimische Gefangenschaft geratene, von allen begehrte Sklavin Zaira samt den Mißverständnissen, Verwechslungen und Irrungen bedarf daher an dieser Stelle keiner weiteren Erläuterung.
Erwähnt sei allerdings, dass Romani und mit ihm Mercadante sich für einen tragischen Schluß entschieden. Die Frage, ob eine Oper so enden dürfe, war damals gerade hoch aktuell und heftig umstritten. Später neigte sich die Waagschale der Meinungen wegen des Vorteils der dramtischen Zuspitzung ohnehin in Richtung des Nicht-Happy-Ends, wie eine Vielzahl der Verdi-Opern zeigt.
Ein hörenswertes Stück Musikgeschichte mithin, dem sich Opera Rara in besonderer Weise widmet: Wie stets in der neuen Serie "Essential" wird - in aufwendiger, liebevoller Aufmachung - das präsentiert, was man früher den "Querschnitt" nannte, also die vermeintlich wichtigsten und schönsten Passagen der Oper. Doch wurde auch Wert darauf gelegt, neben den musikalisch aufregenden oder sängerisch besonders beeindruckenden Stellen ein Bild des Werkcharakters insgesamt zu vermitteln. So ist weit mehr entstanden, als ein Melodien-Potpurri und Koloratur-Sammelsurium, nämlich ein echtes, lebendiges Opern-Portrait, das den Wunsch weckt, das Stück einmal ganz auf der Bühne erleben zu dürfen.
Ob nicht dennoch bei so einer auf Anhieb eher für das Raritäten-Sammler-Publikum interessanten Oper doch die Gesamteinspielung vorzuziehen wäre, mag als Geschmacksfrage dahingestellt sein.
MAJELLA CULLAGH UND CO. RÜHREN DIE WERBETROMMEL FÜR MERCADANTE
Die Einspielung unter David Parry ist energie- und affektgeladen, ganz wie das Werk es verlangt. Die Orchesterfarben leuchten, alle Effekte werden ausgereizt, aber nie überreizt. Das Solistenensemble zeigt sich gleichfalls in guter Verfassung, allen voran Majella Cullagh als Zaira. Ob Kantilene oder Koloratur: Ein ums andere Mal gelingt ihr jede Gefühlszeichnung ausgezeichnet und in technischer Hinsicht mit Bravour. Ihre Stimme ist von großer Strahlkraft und trägt, wo es notwendig ist, auch mühelos über Chor und Orchester hinweg. Dabei bewegt sich ihre Darstellung des öfteren an der Grenze der Hysterie, was völlig adäquat für die zwischen den Gefühlsextremen, Verpflichtungen und Personen andauernd hin- und hergerissene Sklavin Zaira ist.
Der renommierte Alastair Miles gibt den Sultan Orosmane engagiert und stolz. Auch Bruce Ford vermag als Neresteno zu überzeugen. Bei der Besetzung der kleineren Rollen ragt besonders Garry Magees Darstellung des christlichen Ex-Königs von Jerusalem, Lusignano, heraus. Sonderlich alterrschwach erscheint der jedenfalls stimmlich nicht...
EDITION MIT SAMMLERWERT
Auf die sorgfältige Ausstattung war bereits hingewiesen worde. Sie zeigt sich vor allem beim Booklet, das eine ausführliche Werkbeschreibung in Englisch beinhaltet, eine deutsche Synopse und das vollständige Opernlibretto in Italienisch und Englisch, wobei die eingespielten Teile farblich von den übrigen Passagen abgesetzt sind.
Nicht ganz so große Sorgfalt ist bedauerlicherweise auf die Tontechnik verwandt worden. Die Aufnahme in der akustisch an sich hervorragend geeigneten Henry Wood Hall in London läßt dann doch ein wenig die Brillanz in den Höhen vermissen und hätte ein Mehr an Transparenz gut vertragen.
Nichtsdestotrotz ein Leckerbissen für die Freunde der italienischen Oper, die abseits der ausgetretenen Pfade auch einmal neue Wege erkunden möchten.
16 Punkte
Sven Kerkhoff
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