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REQUIEM GOES DISNEY!
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John Rutter (* 1945): Requiem / Anthems u.a.
Naxos DDD (AD 2002) / Best. Nr. 8.557130
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Neue Musik
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Interpreten:
Choir of Clare College, Cambridge, Members of the City of London Sinfonia
Nicholas Rimmer und Nicholas Collon (Orgel)
Timothy Brown
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Interpretation: ++++
Klang: +++
Edition: ++
DER ZUCKERWATTIGE TOD
Ich gestehe eine Sammelleidenschaft ein, deretwegen mancher mich der Psychatrie bedrohlich nahe wähnen mag: Ich sammele
Vertonungen von Totenmessen, Trauermusiken u.ä. Ich finde es spannend, zu verfolgen, wie sich verschiedene Epochen und Personen
mit dem Thema Leben und Tod auseinandergesetzt haben, wie sie die daran anknüpfenden existenziellen Fragen und den
je eigenen Antworten musikalische Gestalt verliehen haben.
Um so erschreckender, dass unsere Zeit hierzu scheinbar häufig nichts mehr zu sagen weiß. John Rutters Requiem, entstanden 1985, zeugt
von dieser Sprach- und Hilflosigkeit, wenn auch in typisch amerikanischer Manier und nicht einmal ohne Publikumserfolg.
Hier ein paar archaisierende Harmonien, dort ein Waah-aaah-aaah-Sopranchor im Hintergund, ein bißchen Orgelsoße darüber und fertig
ist die Disney-Trauerfeier. Dabei kann man von Glück sagen, dass hier, übrigens produziert vom Komponisten höchstselbst, die Fassung
für Kammerorchester eingespielt wurde - ein buttercremiger Sinfonieorchestersound würde das ganze wohl unerträglich machen.
GOTT ALS KUCHENESSENDER ONKEL
Wenn in Rutters Werk um Erbarmen gefleht wird (Kyrie eleison), dann tritt einem dabei kein allmächtiger Gott vor das geistige Auge, ein Herr
über Leben und Tod, sondern ein freundlicher älterer Onkel, der alle 14 Tage zum Kaffetrinken vorbeikommt und den Käsekuchen gleich selbst mitbringt.
Alles ist irgendwie nett bis banal, der Schrecken stets nur mild und kurz, Überraschungen gibt es ohnehin nicht und der Chor
trällert unverhohlen eine Art neues geistliches Liedgut mit "Piep, piep, piep, wir haben uns alle lieb"-Wohlfühl-Kuschel-Mysterien-Grundklang.
Die kühne Behauptung, Rutter habe sich zu seinem Requiem durch die Vertonung Faurés anregen lassen, legt einen Vergleich nahe,
dem die These entspräche, Rosamunde Pilchers Bücher seien vom Vorbild der Romane Thomas Manns inspiriert. Denn: Fauré vermochte
sehr wohl, sich nahe und dennoch vorsichtig an die Grenze zwischen "gefühlvoll" und "kitschig" heranzutasten, während Rutter sie des öfteren recht
schamlos überschreitet. Wenn überhaupt eine neuere Totenmesse dieser insoweit ähnlich ist, dann die Komposition
Andrew Lloyd-Webbers.
DIE INTERPRETEN KÖNNEN MAL WIEDER NICHTS DAFÜR
Der gemischte Chor des Clare College gibt sein bestes, um den indifferenten Stücken den Anschein von Charakter zu geben. Teilweise
wird sogar mit Emphase und Begeisterung gesungen. Auch die Instrumentalbegleitung erfolgt kundig und einfühlsam.
Kaum der Rede wert sind die weiteren Stücke, die die CD komplettieren: Läppische Anthems, sowie zwei Orgelstücke, allesamt
bucklige Verwandte des Requiems und um nichts aufregender als dieses.
Kurzum eine reine Geschmacksfrage: Meiner Überzeugung nach gibt es weit spannenderer, einfallsreichere Neue Musik zu entdecken.
Wer aber dennoch von Rutter nicht lassen kann, ist mit dieser Einspielung zumindest gut bedient.
6 Punkte
Sven Kerkhoff
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