Interpretation: ++
Klang: +++
Edition: ++
EINE FESTMESSE - GANZ UNFESTLICH GESPIELT
Grund zur Freude besteht eigentlich immer, wenn bislang unbekannte Schätze der Musikgeschichte gehoben und dabei auch noch
Bindeglieder zwischen den Zeiten und Stilen wieder zu Ehren und zur
Aufführung kommen. Wie hier mit Joseph-Hector Fiocco. Fiocco war als Kirchenmusiker v.a. in Antwerpen und Brüssel tätig, hat jedoch neben den dort vorherrschenden Einflüssen des französischen Stils auch deutlich Elemente der italienischen Satztechnik jener Zeit rezipiert, nicht zuletzt wohl deshalb, weil sein Vater ein aus Venedig stammender Komponist war. Und so zeigt sich Fiocco dem galanten, "gemischten" Stil
zugetan, der die Vorzüge beider Schulen vereint, dabei aber zugleich mit polyphonen Anteilen, Fugen und Kontrapunktik die
Tradition nicht aus dem Auge verliert.
All dies ist auch und gerade in der Missa Solemnis exemplarisch zu verfolgen, die zudem
überraschenderweise an einigen Stellen harmonisch kühne, fast experimentelle Abschnitte enthält. Patrik Peire gebührt zweifellos
Lob für die Wiederentdeckung und auch Wiederherstellung, denn von der Messvertonung sind nur Einzelstimmen überliefert,
so dass zum Zwecke der Aufführung einiges ergänzt werden mußte.
Leider versteht der Belgier Peire es dann jedoch nicht, die Perle, die ihm sein Landsmann da hinterlassen hat, auf Hochglanz zu
polieren und richtig funkeln zu lassen. Die zum großen Teil namenhaften und allesamt geschickt agierenden Solisten geben ihr Bestes - vor allem Greta De Reyghere und Jan van der Crabben sind zu nennen -, kommen aber gegen das geballte Mittelmaß, welches Chor und Orchester präsentieren, einfach nicht an. Beide werden von Peire schlaff und einfallslos geführt, ohne Gespür für die Kontraste und Effekte in dieser Musik.
Folge ist ein "Einheitsbrei", in dem jeder Satz gleich klingt, alles zum Verwechseln ähnlich betont wird und bei dem man sich mit sinngebenden Phrasierungen erst gar nicht abzugeben versucht hat. Mag auch ein runder, korrekter Wohlklang herrschen, so wirkt die Präsentation doch
insgesamt bieder. In der Messe sind weder freudig-glutvolles Muiszieren beim "Laudamus te", noch empfindsames Flehen
im "Qui tollis peccata mundi" zu hören. Der einzige hell-dunkel, laut-leise Kontrast beruht auf der eindrucksvollen Abfolge,
die Fiocco mit dem düsteren "Crucifixus" (effektvoll besetzt mit 3 Bass-Solisten, 2 Celli und Fagott) und dem folgenden, hell
aufstrahlenden "Et resurrexit" geschaffen hat. Aber selbst hier verbreiten die Trompeten, denen in diesem Werk anspruchsvolle
Partien zugedacht sind, keinen wirklichen Glanz, zieht der Chor nicht engagiert genug mit.
Dass die Capella Brugensis auf modernen Instrumenten spielt, müßte für sich genommen kein Nachteil sein, verschlimmert aber
in diesem Fall das Problem noch, weil der schärfere Klang der historischen Instrumenten fehlt und so der
Langeweile zusätzlich Vorschub geleistet wird. Insgesamt stellt sich beim Hörer jenes Gefühl ein, welches einen auf der Autobahn beherrscht,
wenn mal wieder beide Spuren durch zwei mit 80 km/h nebeneinander her zuckelnde LKW blockiert werden - man hat das
dringende Bedürfnis, kräftig anzuschieben (um keine deftigere Formulierung zu gebrauchen...).
ES GEHT AUCH BESSER - LEIDER ERST IN DEN LETZTEN 10 MINUTEN
Ähnlich verunglückt, wie die Festmesse ist hinsichtlich der Instrumentalbegleitung die Motette "Ave Maria". Wiederum werden
Greta De Reygheres verdienstvolle Bemühungen als Solo-Sopran vom Orchester fast konterkariert.
Bis es endlich besser wird, sind 50 von 60 Minuten der Spielzeit vorbei. Denn in der abschließenden, der Verehrung des Altarsakraments
gewidmeten Motette "Homo quidam" scheinen Chor und Orchester aus dem Schlaf erwacht zu sein und verleihen dem gleichfalls
reizvollen, formal geschlossenen Werk ein beachtliches Maß an Lebendigkeit.
Warum - um alles in der Welt - denn nicht gleich so??!!
11 Punkte
Sven Kerkhoff
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