Musik an sich


Reviews
ABSCHIEDSPARTY FÜR MOZART
Wolfgang Amadeus Mozart (1752-1791) et al: Mozart et les Bohemians

K617 DDD (AD 2002) / Best. Nr. 332 1170-2

Klassik / Kammermusik
Cover
Interpreten:
Trio di Bassetto (Jean Claude Veilhan, Éric Lorho, Jean-Louis Gauch und außerdem Philippe De Deyne) / Michèle Claude (Schlagzeug)

Interpretation: ++++
Klang: +++++
Edition: +++++ (üppiges, schön illustriertes Booklet, leider nur engl. / franz.)

BEKEHRUNGSERLEBNISSE ...

Manchmal kann eine tiefsitztende musikalische Abneigung offenbar in ihr Gegenteil umschlagen. Mir ist das so bei drei Dingen gegangen: 1. Kammermusik, 2. Klarinetten, 3. Mozart. Noch vor drei Jahren klang so der Feind. Inzwischen ... man wird älter. Duldsamer. Harmoniebedürftiger ... Quatsch: So funktioniert das nicht mit Mozart. Mozart ist aufregend, verstörend, erschreckend und tröstlich schön. Avantgarde. Besonders in seiner Kammermusik. Und da besonders bei den Werken für die Klarinette und ihrem komischen Kollegen, dem Bassetthorn. Er muss gerade dieses Instrument über alle Maßen geschätzt haben. Das sieht aus, als hätte ein Kind Sperrmüllteile aus einer Musikalienhandlung neu zusammengesetzt: unten Horn, in der Mitte Staubsauger, oben Spazierstock mit Mundstück.

Bassetthorn

ENTDECKUNGEN ...

Kürzlich habe ich ein Schnäppchen gemacht: Les plus grands chefs-d'oeuvre pour clarinette. Von Mozart. Auf Originalinstrumenten. Gut gemacht, wie ich fand. Und: 4 CDs zum Preis von einer. Also die totale Bläserei für das hassgeliebte Instrument. Natürlich mußte ich das gleich meinem Kollegen Sven - seit seinem achten Lebensjahr bekennender Mozartianer - vorführen. Angefangen habe ich mit den fünf Divertimenti für drei Bassetthörner. Sein Kommentar: "Klingt wie die Hupmonster aus der Muppetsshow."

ABSCHIEDSMUSIKEN ...

Auf jeden Fall bin ich so auf das Ensemble Trio di Bassetto aufmerksam geworden. Und die haben vor kurzem eine neue Aufnahme vorgelegt, auf der es nicht nur was von Mozart, sondern vor allem auch von seinen Zeitgenossen zu hören gibt. Interessant ist dabei, wie diese Musik inszeniert wird: Trio di Bassetto nimmt uns mit nach Prag, auf einen Abend Mitte September 1791. Mozarts letzter Abend in Prag, wo er in den Wochen zuvor seine beiden Opern Don Giovanni und La Clemenza di Tito aufgeführt hatte. Kaum vier Monate später, am 5. Dezember des gleichen Jahres, wird er sterben. Das weiß er natürlich nicht.
Man kann es sich gut vorstellen: Mozart und seine Freunde, darunter der Klarinettist Anton Stadler und eine Reihe böhmische Musiker, treffen sich, um einen drauf zu machen. Man zieht durch Prag und besucht prominente Lokalitäten. Es wird gefeiert, getrunken und gegessen und verabschiedet. Und natürlich musiziert. Unterhaltsame, meist volkstümlich-derbe und auch spaßige Musik, viele Tänze und einige Opern-Hits in Bearbeitung machen die Runde. Witzige Lieder werden angestimmt. Man spricht, scherzt und läßt es sich gutgehen. Die Instrumente sind sowieso immer dabei. Das Bassetthorn ist damals so populär wie heute das Saxophon.
So könnte es vielleicht gewesen sein.

So zumindest präsentiert uns das Trio di Bassetto eine Musik, die für sich genommen wenig spektakulär ist und über weite Strecken musikantenstadelig daherkommt. Aber garniert mit Zwischeneinlagen wie Tischklopfen, Jodeln, Flaschenblasen und Gläserschlagen, Zwischenrufen und gesungen Liedern, ist dieser böhmisch-wienerische Soundtrack recht unterhaltsam. Endlich mal gibts Mozarts Lamento einer vertrockneten Jungfer über die guten alten Zeit zu hören, in der bekanntlich noch Sitte und Ordnung herrschte: "Zu meiner Zeit, zu meiner Zeit, bestand noch Recht und Billigkeit." (KV 512) Ach! Schade, dass nicht noch einen von Mozarts versauten Kanons zu hören gibt. Versaut ist natürlich nur der Text ... z. B. Leck mir den Arsch fein recht schön sauber (KV 282d) ... und nicht die Musik. Na ja, vielleicht kommt da ja noch mal eine Fortsetzung.

Glasharmonika

Benjamin Franklin traktiert die von ihm entwickelte Glasharmonika ... beim Trio di Bassetto tuns auch die traditionellen Weingläser

Absolut unglaublich, geradezu verstörend ist aber das letzte Stück: ein Adagio für Glasharmonika. Dieses Instrument war damals groß in Mode, obwohl es Kritiker gab, die den Klang für gesundheitsschädlich hielten. Heute kennt man es bestenfalls als Partygag oder Jahrmarktsunterhaltung.
Aber hier ... ich habe noch nie etwas so Geisterhaftes, Unwirkliches gehört. Sphärenklänge? Im Inneren von Eiskristallen muss es so klingen. Eine Abschiedsmusik, ach was, ein Requiem auf 27 Weingläsern, wie es beklemmender nicht sein könnte. Dies ist Mozarts letzter Abend in Prag. Am 5. Dezember um 1.00 Uhr nachts wird er sterben.

Für Fans origineller Produktionen, bei denen die Musik nicht alles ist: 14 Punkte

Georg Henkel

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