Musik an sich


Reviews
MEDITERRANE MELANCHOLIE
John Dowland (1563-1625): Semper Dowland Semper Dolens

Glossa 2 CD DDD (AD 2002) / Best. Nr. GCD 920109

Renaissance - Barock / Laute
Cover
Interpreten:
José Miguel Moreno - Renaissance Laute
Eligio Quinteiro - Theorbe / Gittern (Renaissance Gitarre)

Interpretation: ++++
Klang: ++++
Edition: +++++

KÜNSTLERLEBEN ...

Ein seltsamer Mann, dieser Dowland: unbequem, seinen Launen und Stimmungen unterworfen, als Künstler entweder hybrid und hochfahrend oder melancholisch und opferbereit. Und außerdem im protestantischen England Elisabeths I. wegen seines Katholizismus konfessionell verdächtig. Anerkennung und Erfolg stellten sich erst spät ein: über Umwege, die ihn durch Deutschland und Italien führten, gegen den Widerstand gesellschaftlicher Ächtung und musikalischer Konkurrenz. Eine typische Künstler-Biographie also: Originalität - und erst recht Genie - gehen nur selten mit geordneten bürgerlichen Verhältnissen, festen Posten und augeglichenem Charakter einher.
Vielleicht kommen bestimmte Begabungen auch nur in der Krise zum Durchbruch. Vielleicht aber sind die Krisen auch der Preis, der für solche Durchbrüche zu entrichten ist.

PASSIO ERGO SUM - DOWLANDS LAUTENMUSIK

Dowland den Melancholiker findet man vor allem in seiner Lautenmusik. Da ist das Stück Semper Dowland Semper Dolens (was durchaus als augenzwinkernd ironische Selbstvermarktung zu verstehen ist) gewissermaßen programmatisch: eine Pavane, die in ihrer intensiven, schmerzerfüllten Chromatik "seelisch" unter die Haut geht.
Zugleich ist das eine sehr abstrakte, objektive Form von "Schmerz". Traurige Musik kann auch sehr tröstlich sein. Dowland und seine Zeitgenossen waren von der affetktiven und therapeutischen Wirkung der Musik überzeugt. Musik bedeutete ihnen Katharsis. Auch negative Gefühle konnten da zum wohligen Erlebnis, ja zum ästhetischen Genuss und zum Organ der Selbsterkenntnis werden: Passio ergo sum - Ich leide, also bin ich.
Aber keine Sorge: "Melancholie" ist nicht gleich "Depression". Musikalisch swingt da auch noch eine ganze Menge, kommt lakonisch, unkompliziert oder gar heiter daher. Nicht zuletzt sorgt das gewählte Instrument mit seiner spröden Intimität für eine reizvolle Ambivalenz.

MEDITERRANE MELANCHOLIE

Dowlands Lautenstücke wurden nie authorisiert gedruckt. Sie überlebten, über ganz Europa verstreut, in zahllosen Abschriften und auch deutlich voneinander abweichenden Bearbeitungen. Offensichtlich inspirierte Dowlands nie versiegender Einfallsreichtum seine Interpreten und Kopisten, den musikalischen Faden aufzunehmen und weiterzuspinnen.

Die Interpreten der vorliegenden Aufnahme, José Miguel Moreno und Eligio Quinteiro, machen aus dieser historischen Kreativität eine moderne Tugend, wenn sie die Kompositionen Dowlands nicht einfach in der klassischen Besetzung für Renaissance-Laute spielen, sondern eine Begleitung für Theorbe - die große italienische Schwester der Laute - und Gittern (die englische Form der Renaissance-Gitarre) hinzuimprovisieren.
Auf diese Weise verhindern die Spieler nicht nur jene Monotonie, die sich bei 2 CDs und rund 100 Minuten Lautenmusik zwangsläufig einstellen müßte. Sie verleihen der Musik außerdem eine lichte, mediterrane Farbigkeit, die die Melancholie Dowlands, wenn nicht bricht, so doch auf feinsinnige Weise unterläuft - oder auch pointiert. Um im Bild zu bleiben: Da dringt schon mal der eine oder andere Sonnestrahl, wenn auch mehr herbstlich golden als sommerlich hell, durch Englands Regenwolken. Während die Theorbe mit ihren zahlreichen Chorseiten vor allem die Basslinie betont und dem Ton eine besondere Dichte und Gravität verleiht, lichtet die vierseitige Gittern das Geschehen hörbar auf und sorgt für eine lebendige, rustikale Note.
Moreno und Quinteiro spielen auf ihren Instrumenten nicht nur ausgesprochen virtuos, delikat und klangschön, sondern mit einer Gelassenheit und ruhigen Konzentration, die Dowlands Musik mitunter etwas betörend Schwereloses verleiht. Da werden Stimmungen beschworen, wie sie zu einem zeitlosen Spätsommerabend passen wollen - und die man am besten allein, in aller Ruhe und in nicht zu großen Dosen genießen sollte.

Was die Aufnahme darüber hinaus auszeichnet, ist das - wie eigentlich immer bei Glossa - gelungene Layout. Die CD-Hülle steckt in einem Pappschuber, und zum illustrierten viersprachigen Booklet mit einer ausgezeichneten Einführung in die Musik gibt es außerdem ein weiteres mit einem atmosphärischen Essay von Reduán Ortega: Die zwei Melancholien John Dowlands.

16 Punkte

Georg Henkel

Zurück zur Review-Übersicht