Interpretation: +++++
Klang: +++++
Edition: ++++
AUCH DAS NOCH ...
Kammermusik. Für Violine und Cello. Unbekannte Komponisten. Auch moderne und sogar zeitgenössische Komponisten ...!
Es spielen: Renaud und Gautier Capuçon.
Macht knapp 70 Minuten elektrisierende Musik.
HÄNDEL GRÜSST VON FERNE
Wer's nicht glauben mag, höre sich nur die Passacaglia nach Händel des Norwegers Johan Halvorsen (1864-1935) an. Noch nie von dem gehört? Das macht nichts: Hier grüßt in einer freien, modernen Bearbeitung der barocke Meister persönlich. Dabei versagen sich die Brüder Capuçon den üblichen opulenten, vibratoseligen, aber im Grunde pauschalen und langweiligen Streichersound, mit dem ein derartiges Programm ansonsten nur allzu schnell in gepflegter Langeweile versinken würde. Statt dessen irrlichtern die angerauhten Klänge schon mal faszinierend in die Welt der Neuen Musik hinein, und wenn die beiden schließlich die virutosen Kaskaden der letzten Variationen ausspielen, katapultieren sie die zopfigen Traditionen geradezu ins 20. Jahrhundert.
KONGENIALE MODERNE
Dort sind sie dann ganz in ihrem Element: Komponisten wie Zoltan Kodály, Eric Tanguy und Erwin Schulhoff erfahren eine kongeniale Interpretation. Schier unglaublich ist das orchestrale Spektrum an Klangfarben, das die beiden Spieler ihren Instrumenten zu entlocken wissen: guturales Grummeln, totenbleiche Klänge an der Grenze zu Hörbarkeit, pointierte, scharfkantig-gezackte oder seidig-glänzende Töne, perkussive Effekte, aber auch strahlendes Leuchtfeuer in den hohen Registern und selbst Holzbläser-Anklänge gibt es zu hören (letztere im Adagio des Kodály-Duos). Und doch sind die Einspielungen stets mehr als nur die Summe von aneinandergereihten "inspirierten Momenten".
Niemals verlieren die beiden die großen musikalischen Zusammenhänge aus dem Blick. So kommt der Hörer in Genuss der mitunter beklemmenden atmophärischen Dichte des Kodály-Duos mit seinen geheimnisvollen Klanglandschaften (dort vor allem in den langsamen Sätzen), der nicht nachlassenden Spannung der bizarren Schulhoffschen Phantasien (die Zingaresca!) oder des rhythmischen Drives in den Ecksetzten der Tanguy-Sonate, die die barocke Affekten-Sprache überzeugend in die Gegenwart übersetzt.
Und zu guter Letzt erweisen die beiden Künstler noch den Royals mit den brillant zwischen Sentiment, Ironie und überschnappendem Witz changierenden Variationen über God Save the King von Joseph Ghys und Adrien François Servais die Reverenz. Klar, das auch hier nichts anstaubt!
Nach der maßstabsetzenden Einspielung mit Kammermusik von Maurice Ravel (ebenfalls Virgin Classics) kann man für diese nicht weniger inspirierte aktuelle Produktion nur eine ungedingte Empfehlung aussprechen! Und dafür, dass hier abseits der ausgetretenen Mainstream-Pfade durchweg hochkarätige, aber wenig oder kaum bekannte Musik zu Gehör gebracht wird, gibt es ein Extra-Lob. Das klingt nach Mehr ...
20 Punkte
Georg Henkel
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