Interpretation: ++++
Klang: ++++
Edition: ++++
Zwei Werke, die man nicht so häufig im Katalog findet: Sibelius 3. Sinfonie und Hindemiths Vier Temperamente. Und wenn sich dann noch ein junges Ensemble wie das vor zwei Jahren gegründete Helsinki Festival Orchester unter dem ebenfalls jungen Komponisten-Pianisten Olli Mustonen (geb. 1967) dieser Musik annimmt, darf man schon gespannt sein.
Doch Vorsicht! "Junge Wilde", wie sie von manchen Labeln in letzter Zeit nur zu allzu gerne zur Wiederbelebung der totgesagten Klassik aufgeboten werden, sind diese Interpreten beileibe nicht! Hier wird mit einer erstaunlichen, souveränen Gelassenheit, geradezu abgeklärt musiziert.
Finnische Temperamente also? Wer die wortkargen Filme eines Kaurismääki kennt, den wird die unaufgeregte Ruhe der Musiker wohl nicht überraschen. Wobei Ruhe eben nicht "Langeweile" meint, sondern Dichte und Konzentration.
Die Sinfonie des Finnen Sibelius, in unkomplizierten C-Dur geschrieben und geradezu klassisch disponiert (sie stammt immerhin aus dem Jahre 1907, gehört zeitlich also zur späten Spätromantik), entfaltet sich, Klischee hin, Klischee her, in der Interpretation von Mustonen und den Helsinkiern wie eine nordische Landschaft: weit schwingen die Bögen, weich klingt das Instrumentarium, die Details der Partitur bleiben, obschon präsent, stets aufs Ganze des Werks bezogen. Selbst die virutosen Wirbel des Finales schwirren nicht durch die Luft, sondern verbleiben gleichsam wie das schäumende Wellengekräusel auf einem mächtig dahinströmenden Fluss. Unterstützt wird dieser Eindruck noch durch das samtige, im Tutti etwas verhangene Klangbild.
Nicht anders bei Hindemith. Statt des vollbesetzten Sibelius-Orchesters bietet dieser bei seinen Vier Temperamenten allerdings nur Streicher und ein Klavier auf. Doch was das Spiel mit Klangfarben angeht, steht das Werk der Sinfonie nicht nach. Hindemith, einst als Bürgerschreck verschrieen und von den Nazis als "entartet" gebrandmarkt, ist sicherlich der modernere Komponist. Aber auch diese Modernität mutet heute geradezu "klassisch" an. Sein Thema mit Variationen über die vier "Affekttypen" des Menschen behandelt er so subtil und vielschichtig, dass jede comicartige Übertreibung ausgeschlossen ist. Der unsichere Melancholiker, der fröhliche Sanguiniker, der gemütliche Phlegmatiker und der erregte Choleriker bleiben stets als die Facetten ein und desselben Menschen erkennbar; musikalisch sind sie durch das gemeinsame Thema und "Anleihen" bei den jeweils anderen Charekteren untereinander verbunden.
Mit dieser Vielschichtigkeit korrespondiert das auf den Punkt gebrachte, alles andere als vordergründige Spiel des Orchesters und des Pianisten Olli Mustonen. Dessen Spiel, das mal blues-selig, mal quecksilbrig daherkommt, verleiht jedem der "Charakterbilder" eine genaue Kontur.
Eine eigenwillige, aber durchaus lohnende Aufnahme.
15 Punkte
Georg Henkel
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