Musik an sich


Artikel

Grafzahl und Kettcar
"Du und wieviel von deinen Freunden" - eine sonnige Nacht im Café Central

Mit einer Wegbeschreibung aus dem Internet bewappnet und frohen Mutes fuhr ich gestern abend nach Weinheim. "Das ist ganz einfach zu finden!", versprach mir ein Bekannter. Doch dem war leider nicht so, denn bereits an der zweiter Station geriet ich ins straucheln. Manman, wo bitte ist die Ausfahrt Stadtmitte? Seid also gewarnt! Die Wegbeschreibung von der cafe-central.de ist nicht für jedermann geeignet! Nunja, nachdem eine Oma mir auf meine Frage hin bitterböse in die augen sieht und eiligst das Weite sucht, bekomme ich Hilfe bei einem netten jungen Mann. Danke dafür! War grade zwei Strassen weiter. Luisenstraße, da wären wir also. Und auch der angepriesene Parkplatz. Als ich aussteige, sehe ich wieder den Grund warum ich hier bin. Lauter liebenswert erscheinende Menschen. Ein Mensch rechts vom Ausgang hat etwas angezündet. Es sieht irgendwie aus wie ein Radio, daher Euphorie meinerseits. Ja, hier bin ich richtig. Ich sehe mich also erstmal um. Ein gelber Mietbus steht breit auf dem Parkplatz, doch ich weiss nicht so recht, ob das nun ein Tourbus von Kettcar oder Grafzahl sein soll? Und irgendwie will man ja auch nicht wirklich fragen. Interessante T-shirts zu lesen auf dem weg nach oben. "ich habe eingesehen dass wir uns lächerlich machen" - ein mensch von der korn-und-sprite.de . Und der Saal an sich sehr hübsch, vor allem der an der Decke befestigte Stoff. Eine wunderbare athmosphäre, schon von Anfang an. Etwas verloren stehe ich aber noch da am Fenster, aber gleich lerne ich drei nette junge Damen kennen. Sie wissen nichts von Grafzahl, und eigentlich wollen sie das auch alles gar nicht hören. Sie warten auf Kettcar. Und das zu Recht - ich hatte keine Uhr dabei wie sie, um zu bemerken, dass es schon beinahe eine Stunde über Zeit ist, und sie immernoch nicht spielen. ""Home ist whre your heart is" und mein heart is daheim im bett", grummelt eines der Mädels.

Und dann kommt ein Bekannter vorbei, wie immer etwas durch den Wind und mit Einkaufsliste in der Hand und selbstgebasteltem (nicht ganze Tome-) schweissband, und diskutiert mit mir darüber, ob Radios nun brennen können, ohne zu explodieren oder nicht. Die junge Dame schüttelt den Kopf als er geht um sich mit Bier etwas zu beruhigen. "Er sollte mit den Drogen aufhören".

Und sie hat auch gleich noch eine wunderbare Idee. "Die warten bestimmt nur, bis wir in der ersten Reihe stehen!" Jawoll! Gesagt, getan, wir machen uns auf an die Front. Und tatsächlich - es dauert nicht lange, und drei sympatisch aussehende junge Männer ergreifen ihre Instrumente. Der Schlagzeuger sieht etwas aus wie Arne von Tocotronic in den Anfangsjahren, Gitarrist, typisch mit Seitenscheitel, und dem Sänger sind die wilden Jahre ...nicht unbedingt ins Gesicht... geschrieben. Aber das ist alles wunderbar so!

Sie legen los, und die Stimmung ist von Anfang an toll. Bei einer Vorband habe ich bisher nie jemanden wild in der Gegend rumhüpfen sehen. Danke für die blauen Flecken, thanks a lot. Ehrlich jetzt, andere Leute sammeln ja Eintrittskarten, ich blaue Flecken. "Hey, wo hast'n den her?" - "Ach, von so nem konzert..."

Aber weiter. Die jungs spielen was sie können, und Vorne wird es immer heisser. Das sind keine dreissig Grad mehr. Der Schweiss tropft nicht nur bei der Band. Da kommen Stücke wie "der Pate", wie der Sänger danach selbst bemerkt, etwas unpassend. Als das Publikum ein Schlagzeugsolo fordert, versucht der Sänger gekonnt, es zu verwirren. Er habe ein Café gesehen hier in Weinheim, "Tee Café" und wollte darüber Aufklärung haben, ob es da nun nur Tee gäbe? Darauf fand sich keine Antwort und man wollte doch eher ein Schlagzeugsolo hören. Und bekam es. Nicht einmal dreissig Sekunden lang, grob geschätzt. Naja! Ob das dann auch nicht der Drumcomputer war?

Die Menschen trotz Hitze gut gelaunt, bester Dinge, und als Kettcar auf der Bühne umbauen, fragt sie eines der Mädchen, ob sie nicht den Ventilator anmachen wollen. der Sänger von Grafzahl hat ja gemeint, das bringe nicht viel, und das war keine passable Antwort. ein Mensch beim aufbauen bestätigte aber, dass das tatsächlich nicht viel bringt, indem er sie darauf hinwies, dass er bereits angeschaltet ist. Oje. Fünfundreissig Grad? Vierzig? Ich kam mir jedenfalls vor wie in der Sauna.

Aber dann fangen sie schon an zu spielen : Kettcar. Wenn das alles ist, Okay. Hüpfende Menschen in den Reihen. Es reisst mich auch hinein, und das macht nichts, denn der Mensch mit den Nieten am Arm ist verschwunden. Man muss sagen, für Jemanden, der nicht selbst dabei ist, sieht das vielleicht aus wie Pogo. Aber es ist nicht das Gleiche. Neinein. Denn hier tut man niemandem weh. Weder absichtlich, noch unabsichtlich. Man hüpft ein wenig auf und ab, was auch wunderbar abkühlt, und sammelt dabei, was zugegegebenermassen ein wenig unhygienisch erscheint, den Schweiss seiner Mitmenschen ein. Fröhlich vergnügt also in den zweiten Reihe, "Money left to burn". Um mich herum nun vereinzelt zwischen Tomte und Tocotronic T-shirts ein paar Oberkörperfreie junge Männer. Erwähnenswert, da sehenswert. In der Hitze auch verständlich, weitere junge Männer tun es ihnen bald gleich. Und ich bereue erneut, kein Mann zu sein. Kettcar spielen "lauter welthits" und sogar noch neue Sachen. Ein wenig achtziger jahre mässig, so der Sänger, "Man muss ja kucken wo man bleibt". Also scheint ein schnelles aufs Klo gehen und abkühlen unmöglich. Manman. So ein Mist! Netterweise reichen die Jungs Wasser in den Reihen herum, sehr herrlich, Danke für das.

Die letzten zwei Lieder halte ich nicht ganz durch. Ich entschwinde in den kühleren Nebenraum und sehe von aussen zu. Haut es mit Edding an die Wände, solang die dicke Frau noch singt, ist die Oper nicht zu Ende. Wir danken der Academy.

Ein wunderbarer Abend. Und als mein Bekannter aus dem Saal kommt meint er, "das war mein schönstes Kettcar Konzert, allein von den Menschen her und so." Und er muss es wissen.

Als ich heimfahre und dabei "Ausgetrunken" höre, muss ich ihm zustimmen. Ich war zwar nicht die Letzte, die ging, und nicht die Erste die kam, aber ich komme wieder.

Helen Hofstetter