Solisten, Chor und Orchester Les Arts Florissants / William Christie
Vom Konzertsaal gleich ins Aufnahmestudio: Nach ihrer Tournee Anfang des Jahres, die sie durch Paris, Lyon und Brüssel über London bis nach Leipzig führte, präsentierten William Christie und sein Ensemble Les Arts Florissants ihre neueste Einspielung mit französischer Barockmusik. Auf dem Programm steht ein Querschnitt durch das musikdramatische Werk Jean-Baptiste Lullys, dem Hofkomponisten Ludwigs XIV. Die musikalische sehr abwechslungsreiche Produktion läßt noch etwas von der Spontaneität der szenischen und choreographischen Realisierung ahnen: musiziert wird vital und zupackend - angefangen vom temperamentvollen und prächtigen Beginn des Programms, einem trompetenbegleiteten Chor aus der Oper ‚Psyché', bis hin zum lyrischen Finale, der gewaltigen Passacaille aus Lullys letzter großer Oper ‚Armide'.
Nach wie vor ist die Zahl der auf CD erhältlichen Opern Lullys überschaubar. Und die Qualität der Einspielungen ist nicht immer befriedigend. Gegenwärtig kann es sich wohl nur William Christie leisten, diese Musik mit einem angemessen groß und farbig besetzten Ensemble aufzuführen. Und nur er dürfte über ein so perfekt aufeinander eingespieltes Sängerteam verfügen. So werden die pastoral-ausgelassenen Eingangsstücke ebenso überzeugend realisiert wie die hochdramatische Wahnsinnsszene des Roland (aus der gleichnamigen Oper) oder die herbstliche Melancholie des Schlussdivertissements von "Armide".
Lohnend ist die vorliegende Produktion vor allem aufgrund der unbekannten oder selten gespielten Szenen, insbesondere aus der Oper ‚Isis'. Der Mythenmix des Librettos könnte durchaus die Vorlage für einen modernen Fantasyfilm abgeben: Verfolgt von Jupiters eifersüchtiger Gattin Juno, gerät die Heldin, die schöne Nymphe Io, von einer phantastischen Szenerie in die nächste. Sie wird in Ägypten als Göttin Isis verehrt, von Traumwesen heimgesucht, schließlich von Furien durch Eiswüsten bis in die Tiefen der Unterwelt gehetzt. Genug Gelegenheit für den Komponisten, originelle musikalische Tableaus zu entwerfen. Daß die Charaktere dabei blaß und die Story etwas abstrus bleibt, läßt sich da gut verschmerzen, zumal hier sowieso nur Ausschnitte geboten werden. Höhepunkt aber ist die besagte Wahnsinnszene des Roland, die durch die subtile Ausdruckskunst des Baritons Olivier Lallouette zum Erlebnis wird. Hier erweist sich auch der wegen seiner Karrieresucht und vermeintlichen Minderbegabung oft
gescholtene Komponist als großer, inspirierter Musikdramatiker.
Fazit: Eine gelungene Produktion; programmatisch und interpretatorisch zudem eine willkommene Ergänzung zu Reinhard Goebels Lully-Soundtrack ‚Der König tanzt'.
Reprtoire: 5 Punkte
Klang: 5 Punkte
Interpretation: 5 Punkte
Präsentation: 5 Punkte (wie immer sehr informatives, dreisprachiges Booklet)
Gesamt: 20 von 20 Punkte
Georg Henkel