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Musik an sich
 
Schostakowitsch: Jazz-Suiten u.a.
Bereits erschienen (Naxos)
Moderne
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(Russian State Symphony Orchestra, D. Yablonsky)

Zu Bekanntheit gelangte Schostakowitschs (rekonstruierte) Jazz-Suite Nr. 2 vor kurzem, als Stanley Kubrick den zweiten Walzer daraus zur Filmmusik für "Eyes wide shut" erkor.

Es bleibt zu hoffen, daß diese Verwendung einen größeren Kreis neugierig macht auf die Musik des Russen, der von 1906-1975 lebte.

Wer sich mit Neugier und einem Augenzwinkern der neuen Naxos-Produktion zuwendet, der wird jedenfalls mit einem musikalischen Spaß ganz eigener Art verwöhnt.

Ihn erwartet als erstes die Balletsuite "Der Bolzen". Ein historisches Zeitdokument aus den 30er Jahren, als Stücke noch kommunistische Titel trugen wie "Der Tanz der Leibeigenen in den Kolonien". Doch Schostakowitsch ließ sich nie zum willfährigen Propagandisten des Systems machen - sonst hätte solch ein Werk stets nur langweilige Staatsmusik werden können. Stattdessen begegnen dem Hörer raffinierte Charakterstudien in außergewöhnlich bildhafter Tonsprache, voll deftigen musikalischen Humors. Die Zeichnung des "Bürokraten" mit Hilfe eines einfallslosen Fagotthemas ist so ein Beispiel. Ironische Anspielungen auf die klassische Ballettmusik, wie sie sich bei Tschaikowsky findet, sind vergnüglich, nicht boshaft und die Verballhornung des Tangos (Ausdruck westlicher Dekadenz) macht nicht weniger Freude, als ein echter Tango.

Diese Kraft zur Integration vielfältigster musikalischer Einflüsse zeigt sich auch in den Jazz-Suiten. Elemente des Jazz, aus dem Blues abgelauschte Harmonien und Rhythmen werden in die E-Musik eingebunden und machen sie auch prompt zur U-Musik, um diese fragwürdige Differenzierung aufzugreifen.

So wird aus der Polka und dem Walzer auf einmal etwas, das zwar untanzbar sein dürfte, aber dafür um so mehr verblüfft aufhorchen läßt. Noch dazu häufig mit Ohrwurmqualität. Filmmusik, Musical und Dreigroschenoper lassen von Zeit zu Zeit grüßen.

Das russische Orchester präsentiert all dies dann auch eher im Stil eines Unterhaltungsorchesters. Technisch brillant, insbesondere was die Bläser angeht, klingt manches durch eine etwas zu starke Betonung der Percussion jedoch kirmesartiger als es müßte.

Andererseits, so mag sich der Dirigent Dmitry Yablonsky gedacht haben, sind diese Stücke wahrlich kein Ort für symphonischen Staatssound. Der Verzicht darauf macht aus der Einspielung jedenfalls eine unbedingt empfehlenswerte, mitreißende Crossover-Produktion im allerbesten Sinne.

Repertoire: 5 Punkte
Klang: 5 Punkte
Interpretation: 4 Punkte
Edition: 4 Punkte

Gesamt: 18 von 20 Punkte

Sven Kerkhoff

 

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