Das Album seines Projektes "Wax Poetic" zählt zum Besten, was ich seit langem gehört habe (zumindest am "JazzHop" Sektor), deshalb habe ich Ilhan Ersahin, den türkischen Emigranten in
NYC, Mastermind und Saxophonist von Wax Poetic, für ein Interview für MAS zu gewinnen versucht. Das Ergebnis hier:
MAS:
Der Song "Selim II" erinnert mich unweigerlich an Miles Davis und "Live/Evil". Ist der Song eine Verneigung vor dem Sound dieses speziellen Stückes oder ein Tribut an Miles im Allgemeinen?
Ilhan:
Der Song versucht einfach, die Stimmung von Miles einzufangen.
MAS:
Noch etwas zu dem Track. Der Schluß, das kleine Solo erinnert mich sehr an Trane. Ich nehme an, er ist ebenfalls ein großer Einfluß. Wer noch?
Ilhan:
Joe [Henderson], Wayne [Shorter], Sonny [Rollins], Lester Young, Sam Rivers, Clifford Jordan... es gibt so viele und das sind alles Tenorsaxophonisten...es gibt so viele...
MAS:
Was mir besonders an "Wax Poetic" gefällt, ist, daß die Songs nicht sehr lang sind. Ich kenne eine Menge Alben mit 7 Tracks die 75 Minuten dauern und dahinter stecken ungefähr 5 Ideen. Der Rest ist sinn- und endloses Skalenimprovisieren.
Auf "Wax Poetic" finde ich eine Menge Ideen, obwohl ich finde, daß speziell die kurzen Tracks durchaus noch länger sein könnten. Wie lange warst du im Studio?
Ilhan:
Ich finde die kurzen Tracks auch cool aber wenn sie länger wären, hätte das ein völlig anderes Album ergeben. Ich habe ca. 3 Monate für Aufnahmen, editing, abmischen und mastern gebraucht...
MAS:
Der Rhythmus ist sehr wichtig. Was ist vorher da? Beat oder Melodie?
Ilhan:
Kommt darauf an. Heute eher der Beat, aber als ich das Album aufnahm hatte ich viele Basslines in meinem Kopf.
MAS:
Wenn "Bitches Brew" der Sound von NYC der späten 60er war, könnte man sagen, "Wax Poetic" ist der der frühen 2000er...
Ilhan:
Ja, das ist es. Ein wenig auf dem Album, aber live...
MAS:
Die Musik auf dem Album... ist es Musik die du in dir spürst und hörst, oder um dich herum?
Ilhan:
Definitiv beides. Gerade hier im East Village in Manhattan ist man immer inmitten der Geschehnisse... Umgebung und Politik und das alles beeinflußt mich deutlich. Was ich fühle ist um mich herum. Darum mache ich das alles...
MAS:
Das Album ist ein interessanter Mix aus Turntables, Rap, dem was die meisten Leute Jazz nennen würden und Popmelodien (v.a. die Sängerinnen), vermischt mit türkisch-orientalischen Melodien. Und dennoch ergibt es ein Ganzes. Vereint durch den Groove?
Ilhan:
Ja, der Groove und die Farben.
MAS:
Was hältst du von der derzeitigen Jazz-Szene? Sind die Langweiler der 80er Jahre endlich weg? (Die wie Mike Brecker. Ich kann mir den nicht anhören...)
Ilhan:
Ich auch nicht...
MAS:
Als Miles vor ca. 10 Jahren starb, verlor der Jazz irgendwie die Richtung. Andererseits habe ich keinen direkten Kontakt mit NYC und diesen Orten... gibt es einen neuen Trend? Eine neue Form?
Ilhan:
Der neue Trend ist sicher da und das immer... Heutzutage gibt es wirkliche "Fusion" und es klingt interessant. Aber, du hast recht, Jazz langweilt mich auch bisweilen zu Tode [But, yeah, Jazz bored and bores the hell out of me, too.]
Aber andererseits gibt es etwas tieferes im "richtigen" Jazz, dieser heute so seltenen Musik...
Jazz ist wie Politik. Amerikanischer Jazz wurde arrogant, konservativ und nervtötend und der europäische "electro/loungy jazzystuff" ist auch wie deren Politik: glatt und nüchtern. Ich denke wir bräuchten dringend eine Revolution um wieder auf einen grünen Zweig zu kommen...Trane, Jimi, Bob usw.
Es stimmt, mit Miles ist viel gestorben... es gab auch eine Bar hier in der Stadt, Bradleys, die vor 6 oder 7 Jahren zugesperrt hat. Damit ist Jazz hier gestorben. Aber es öffnen neue Lokale und das Leben geht weiter und ich merke wie neues, heißes Zeug entsteht...
MAS:
Meine langen, schrecklichen Fragen zur Seite: Was sind deine Zukunftspläne? Wax Poetic II?
Ilhan:
Ich hab was ganz neues am laufen... eine Art Mission für mich: Ich habe gerade ein cooles Lokal, Nublu, in NYC aufgemacht. Es ist so eine Art Café/Bar mit Auftrittsmöglichkeiten und gleichzeitig ein Label. Daher werde ich bald einige neue Platten herausbringen. Ich weiß noch nicht, ob Independent oder mit Vertrieb. Das ganze ist im "Wax Poetic"-family Stil. Ich plane 6 CDs für den Herbst und die neue "Wax Poetic" für Jänner...
MAS:
Spielst du noch immer Standards von Zeit zu Zeit?
Ilhan:
Schon einige Zeit nicht mehr. Ich hatte eine lange Phase in der ich absichtlich all das übliche, Skalen, Harmonien etc. "verlernen" wollte. Ich fühlte mich eingeschränkt und wollte anders spielen. Ich spiele schon ein paar Jahre mit Butch Morris. Er ist sehr gut. Er könnte "the one" sein.
MAS:
Was ist - eine einsame-Insel-Frage - DAS Album für dich?
Ilhan:
Derzeit "Filles de Kilimanjaro"...Miles...
MAS:
Hast du in einer Schule spielen gelernt oder "off the record"?
Ilhan:
Hauptsächlich "off the record" aber ein wenig in der Schule. Eigentlich eher mit den Freunden aus der Schule als IN der Schule...
MAS:
Wenn du dich mit 5 Adjektiven beschreiben solltest...dumme Frage, ich weiß...
Ilhan:
Keine Ahnung, da müßtest du mit jemand anderem reden. ("who digs my stuff, preferably")
MAS:
Dein Album ist "all den jungen Menschen in der Türkei" gewidmet, "die versuchen, etwas zu verändern"... bist du ein politischer Mensch?
Ilhan:
Eigentlich schon. Aber es ist alles frustrierend, weil man heutzutage nicht viel machen kann. Ich bewundere all jene, die für etwas einstehen und die etwas sagen... All jene, die etwa zu Anti-Globalisierungs-Demonstrationen gehen und etwas verändern wollen. Ich glaube, ich trage durch meine Musik etwas bei...
MAS:
Ein Song ist auch von dir geschrieben worden (Text, Anm.) : Angels... der Text lautet: "Angels falling/ through my head/I wanna meet them/ Tomorrow".
Soll das heißen du willst heute tun als ob nichts passiert wäre, oder daß du morgen mit den gefallenen Engeln spaß haben willst...
Ilhan:
Weiß nicht. Es fühlte sich richtig an. Spirituelle Führung und so. Manchmal glaube ich das. Eben Engel, die durch meinen Kopf fallen. Verbunden sein.
MAS:
Zurück zur Musik: sind die Songs live eingespielt oder ist alles programmiert?
Ilhan:
Alles wurde nach und nach live aufgenommen, dann editiert und geloopt.
MAS:
Und ein persönliches Problem von mir: Warum ein Intro? Jedes Intro, das ich jemals gehört habe ist entweder sinnlos oder fürchterlich schlecht. (Bei dir ersteres...) Ich meine: es ist deine Entscheidung aber diese paar Akkorde sind nicht wirklich relevant...
Ilhan:
OK. Das ist cool. Ich denke das Intro war da, um Zeit zu sparen, bevor der Song anfängt. Um eine Chance zu haben, sich niederzusetzen und sich eine anzuzünden, oder was immer man machen will...
MAS:
Danke für das Interview.
Ilhan:
Peace und danke auch...
Daniel Syrovy