Musik an sich


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Wolfgang Amadeus Mozart: Il sogno di Scipione
Astree
Oper
 
Malin Hartelius - Lia Larsson - Bruce Ford - Charles Workman - Choeur des Musiciens du Louvre - Freiburger Barockorchester - Gottfried von der Goltz

"Im übrigen ist die Frage angebracht, ob Genies überhaupt unbedeutende Werke hervorbringen", konstatiert Pierre Moulinier im Beiheft zu dieser recht unbekannten Mozart-Oper. (Dass es solche überhaupt noch gibt!) Offenbar versteht sich die vorliegende Neuaufnahme als eine eindeutige Antwort.
Nach wie vor führen Mozarts frühe Opera Serie eher ein Randdasein: Sie gelten als die Fingerübungen eines Wunderkindes, während der Erwachsene mit den reifen Meisterwerken die Maßstäbe auch für das eigene Schaffen neu definiert hat. Außerdem fügen sich die erhabenen, der Welt antiker Heroen und anderer Übermenschen entnommenen Stoffe der Seria nicht ganz in jenes (Zerr-)Bild eines Buffo-Mozarts, dessen Musik vermeintlich nie wirklich ernst, nie wirklich tragisch sein kann. Immerhin: Auch der späte Mozart ist noch einmal mit "La Clemenza di Tito" zur Seria zurückgekehrt - es waren wohl mehr die Umstände, daß er nicht doch mehr Werke in einem Genre komponiert hat, das ja noch Rossini beschäftigte.
Um so verdienter sind also die jüngsten Versuche, diese etwas vernachlässigte Seite von Mozarts Schaffen nicht nur wiederzubeleben, sondern die Erkenntnisse der historischen Aufführungspraxis dafür fruchtbar zu machen. Im Fall des "Scipio" handelt es sich um einen Konzertmitschnitt vom Festival de Musique de Montreux im September vergangenen Jahres. 1771 entstanden, aber wohl nie vollständig aufgeführt, beruht die Oper auf einem älteren, bereits zuvor vertonten Libretto des Wiener Hofpoeten Metastasio von 1735. Sie verhehlt zu keinem Augenblick, daß sie für ein höfisches Publikum und - in diesem Fall nach entsprechenden Umarbeitungen - als Huldigungsmusik für den Salzburger Erzbischof "Girolamo" Hieronimus Colloredo gedacht war. Scipio, römischer Feldherr und Eroberer Kathargos, erscheinen im Traum Fortuna und Constanza und fordern ihn auf, sich für eine von beiden zu entscheiden. Wahrlich eine schwierige Entscheidung! So schwierig, daß Scipio den Rest der Oper damit zubringt, darüber nachzusinnen, nachzufragen und diverse Antworten - es erscheinen längst verstorbene, mitteilsame Familienangehörige - gegeneinander abzuwägen, bis er, geprüft und geläutert, am Ende die richtige Wahl trifft ... Dieser theatralische Torso wird in der Hauptsache von 12 melodiösen, sorgfältig instrumentierten Arien getragen. Die immerhin sind von einer Qualität, daß es auch heute nicht schwer fällt, sich auf diese Rokoko-Festspiel einzulassen.
Man benötigte wohl drei Soprane vom Format einer "Königin der Nacht", um dieses Werk adäquat zu besetzen. Die männlichen Partien stehen dem an Anspruch und Schwierigkeit in nichts nach. Um es gleich vorweg zu sagen: Die Aufnahmetechnik rückt die Besetzung in diesem Fall leider nicht in das allerbeste Licht. Der Orchesterklang, obschon transparent aufgenommen, steht zudem sehr im Vordergrund. Dabei bietet das Freiburger Barockorchester filigranes, temperamentvolles Spiel. Dagegen haben es die Sängerinnen und Sänger nicht leicht. Bruce Ford als Scipio klingt so, als ob er gerade vom römischen Schlachtfeld kommt: angestrengt und ohne Spannung, in den Läufen seiner letzten Arie sogar unfreiwillig komisch. Ist es schließlich doch die Erschöpfung, die ihn sich für Constanza entscheiden läßt? Diese verbreitet mit dem etwas spröden Sopran Malin Hartelius nicht immer die notwendige Überzeugungskraft; insbesondere zu Beginn klingen ihre Koloraturen mehr buchstabiert. Ihre "Gegenspielerin", Lisa Larsson als Fortuna, steht am weitesten im Klangschatten des Orchesters, darüber fehlt es ihr aber manchmal offensichtlich ebenso an den nötigen Reserven wie ihrer Kollegin - trotz aller Kolloraturgewandheit. Doch mag auch dies ein weiteres Tribut an die Bedingungen einer Lifeaufnahme sein: Beide Sängerinnen gewinnen im weiteren Verlauf des Aufführung an Leichtigkeit, Farbe und Durchsetzungskraft. Lediglich der kühle Sopran Christine Brandes' (Licenza) ist den hohen Anforderungen in der Schlußkantate nicht nur technisch gewachsen. Unter den übrigen Sängern sticht vor allem der helle, dabei markante Tenor von Charles Workman als Publio hervor. Insgesamt enttäuschend sind die improvisierten Schlußkadenzen, die eher uninspiriert ausfallen, statt den Affekt der vorangegangenen Arie noch einmal auf die Spitze zu treiben.
Was bleibt: Eine selten gespielte, musikalisch unterhaltsame Oper in sicherlich engagierter, aber leider nicht wirklich befriedigender Einspielung. Nur ungeduldige Mozartfans werden um eine Anschaffung nicht herumkommen.
Georg Henkel

Repertoire: 5 Punkte
Klang: 2 Punkte
Edition: 4 Punkte
Interpretation: 3 Punkte

Insgesamt: 14 von 20 Punkte

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