Musik an sich


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Musik an sich
 
Tommaso Traetta: ANTIGONA
(Universal - Decca)
Oper
 
Als Leiter des Ensembles "Les Talens Lyriques" hat der französische Cembalist Christophe Rousset in den letzten Jahren manch unbekannte Oper des 18. Jahrhunderts eingespielt. So findet sich auf dem Cover der aktuellen Produktion, Tommaso Traettas (1727-1779) "Antigona" (1772), nicht umsonst der werbewirksame Aufdruck "World premiere recording". Der an Wiederholungen wahrlich nicht arme Opern-Katalog könnte eine solche Frischzellenkur sicherlich noch öfter vertragen. Wieder einmal ist es dabei ein Stück sogenannte "Alte Musik", das sich als interessante Ausgrabung entpuppt.
"Antigona" steht noch zwischen spätbarocker und klassischer Oper. In das Grundgerüst aus Arien und Rezitativen fügen sich dramatisch geschickt zahlreiche Ensemble und Chöre zu größeren Szenenkomplexen. Traetta gelingt es, das Spektrum der Italienischen Opera Seria zu erweitern, ohne mit der Konvention zu brechen. Heute erscheint es uns kaum noch vorstellbar, daß Zeitgenossen einige Einfälle des Komponisten geradezu als extravagant empfanden. Die musikalische Vielfalt kommt der Geschichte, die die antike Vorlage zu einer zeittypischen Mischung aus politischem Intrigenspiel und Lovestory verarbeitet, sehr zugute: Die heroische Liebe Antigonas und Emones steht gegen die Brutalität des thebanischen Herrschers Creontes. Die Bereitschaft des Paares, gemeinsam in den Tod zu gehen, führt schließlich zum Gesinnungswandel...
Der Stoff bietet zwar manche Gelegenheit für die Entfaltung von Drama und Leidenschaft, doch herrscht insgesamt ein eher empfindsamer Grundton vor. Traetta vermeidet die große Attacke, selbst das Pathos der Chöre wirkt mehr elegisch und noch im Moment höchster Erregung wahren auch die Protagonisten stets den hohen Ton.
Roussets interpretatorischer Ansatz scheint wie geschaffen, die Vorzüge, aber auch die Grenzen dieser Musik offenzulegen. Die eröffnende Sinfonia wird vom Orchester mit federnden Rhythmen, differenzierter Artikulation und delikaten Klangfarben in geradezu tänzerischem Duktus dargeboten: Trotz der kleingliedrigen Motive und repetitiven Bässe kommt es nicht zum berüchtigten Nähmaschinenklang. Rousset widersteht auch sonst der Versuchung, diese elegante, manchmal gar verspielte Musik mit ihren schwebenden Melodien durch manierierte Effekte "aufzuwerten". Entsprechend prägnant und doch filigran ist die Begleitung der Arien - eine ideale Grundierung für die Chöre wie für das sehr homogene Gesangsensemble. Vorzüglich ist die Leistung des Kammerchores "Accentus", insbesondere was die Textverständlichkeit und Artikulation angeht. Bei den Solisten gibt weder deutliche Ausfälle, noch ragen einzelne Sänger/inner besonders hervor: Maria Bayo als Antigona hat einige wunderbare Arien. Ihr mädchenha fter, anrührender Sopran bewältigt die Koloraturen mit großer Leichtigkeit, wirkt jedoch manchmal hart und in der Höhe etwas strapaziert. Insgesamt runder und ausgewogener ist die schöne Stimme von Anna-Maria Panzarella in der Rolle der Schwester Ismene. Auch Laura Polverelli singt die (Kastraten)Partie des Emone sehr klangschön, dabei aber mit einer zurückhaltend-noblen Tongebung, die manchmal etwas monoton wirkt. Kraftvoll und doch beherrscht ist dagegen der jugendliche Creonte von Carlo Allemano.
Fazit: Wer wuchtige große Oper und breiten philharmonischen Klang schätzt, wird Traettas "Antigona" vielleicht etwas zu vegetarisch finden. Eben was für Spezialisten. Wer sich dagegen für Oper zwischen Händel und Mozart interessiert, dem sei dieses Werk in der vorliegenden Einspielung nachhaltig empfohlen - bei der derzeitigen Politik der Major-Label kann man nicht sicher sein, wie lange sich ein solche eher unbekannte Oper im Katalog halten wird.
Georg Henkel

Repertoire: 4
Klang: 4
Interpretation: 4
Edition: 4

Gesamt: 16 von 20 Punkte

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