Klatsch und Tratsch in bewegten Zeiten. Die Korrespondenz der Frau Richard Wagners mit seiner Halbschwester Als historisch Interessierter war ich auf dieses Buch sehr gespannt. Eine Korrespondenz im Umfeld Richard Wagners versprach Tiefgründiges – und das in einer spannenden Zeit. Das Buch enthält Briefe aus der Zeit zwischen 1842 und 1866, einer Zeit, in der Deutschland sich selbst erfand. Nach der Befreiung von der napoleonischen Besatzung versuchten Nationalisten, damals eine fortschrittliche Bewegung, die Macht der Territorialfürsten zu brechen. 1848 versammelte sich in der Frankfurter Paulskirche das erste deutsche Parlament. Seine Autorität war noch gering. Der preußische König ignorierte es weitestgehend. Es kam zum Krieg. 1866 entschied Preußen die Schlacht von Königgrätz für sich und war damit die Nummer 1 in Deutschland. Vier Jahre später steuerte Bismarck Preußen/Deutschland ganz bewusst in den Krieg mit Frankreich. Am Ende wurde aus dem König von Preußen der erste deutsche Kaiser. Damit war der Nationalstaat, aus dem nach mehreren Verpuppungen letztlich die heutige Bundesrepublik hervorging, etabliert. Natürlich erwartet man in einer jahrzehntelangen Korrespondenz von zwei Vertreterinnen des Bildungsbürgertums Einblicke und Reflektionen über das, was damals passierte und sich entwickelte; zumal Richard Wagner selber ja teilweise in die politischen Wirren verstrickt war. Aber Pustekuchen! Ein einziges Mal wird in einem Brief vom Dezember 1863 (S.138) kurz erwähnt, dass ein Krieg bevorstehen könnte. (Gemeint ist der deutsch-dänische Krieg, der dann 1864 tatsächlich ausbrach.) Allerdings ging es auch hier nicht um Politik, sondern darum, dass sich in dieser Situation ein Bekannter nach Schleswig begeben musste. Um Privates und Allzu-Privates geht es denn auch generell in den Briefen. Klatsch und Tratsch über gemeinsame Bekannte ist ein Schwerpunkt der Korrespondenz, die eigene Befindlichkeit ein anderer, Krankheiten, wirtschaftliche Probleme und Reisepläne. Und immer wieder beschwören die beiden ihre gegenseitige Freundschaft. Die Frage der wirtschaftlichen Situation hat bei Minna Wagner auch viel mit der Unzuverlässigkeit Wagners bei den Geldzusendungen an seine Frau zu tun. Die beiden haben sich schon lange auseinander gelebt und es kommt in der Zeit der Korrespondenz, die ja mehr als zwanzig Jahre umfasst, zu so gut wie keiner Begegnung der beiden. Oft weiß Minna Wagner nicht einmal, wo ihr Mann gerade lebt. So wird zwischen den beiden (Brief)Freundinnen immer wieder über Wagner geredet und das dabei entstehende Bild ist alles andere als schmeichelhaft. Der Komponist erscheint als selbstsüchtiger Egoist, dem es nur um sein eigenes Wohlleben geht. Während er zeitweise als Protegé des bayerischen Königs in München in mehr als luxuriösen Verhältnissen lebt, muss Minna Zimmer ihrer Wohnung vermieten, um über die Runden zu kommen. Das mag bei den Wagner-Interessierten durchaus auf Interesse stoßen, aber letztlich bewegt sich die Korrespondenz des Wagner-Anhangs in Niederungen, für die sich heute eher RTL oder Pro7 interessieren würden als ernsthaft journalistisch arbeitende Medien. Norbert von Fransecky |
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