"Hört Musik, kauft PHYSISCHE Tonträger, unterstützt lokale Künstler, geht auf Konzerte!" (Martin Seidel)
Mit seinem starken Solodebüt Comin' Home konnte Singer/Songwriter Martin Seidel auf sich aufmerksam machen. Für unabhängige Künstler ist es nicht immer einfach, wahrgenommen zu werden. Vielleicht kann dieses Interview beitragen, Martin Seidel ein wenig mehr in den Fokus der Öffentlichkeit zu bringen. Verdient hat er es allemal! Hallo Martin, könntest Du unseren Lesern etwas über Dich und Deine reichhaltige musikalische Laufbahn erzählen? Hallo zusammen, mein Name ist Martin Seidel, ich bin Singer/Songwriter und lebe im schönen Dresden. Meine musikalische Laufbahn begann schon im Kinderbett, denn meine Mutter hat viel mit mir gesungen und mir Schallplatten vorgespielt. Dazu kamen ab dem Grundschulalter Blockflötenunterricht und Musiktheorie, später dann Gesangs- und Klavierunterricht. Ab der neunten Klasse hab ich dann angefangen, in Bands zu singen und Texte zu schreiben. Später dann haben sich aus der Personal- Konkursmasse einer Band die The Barley Brothers gegründet, anfangs noch unter anderem Namen und als Duo, später dann mit weiteren, immer wieder wechselnden Musikern. Damit war aber vor drei Jahren Schluss, deswegen nehme ich seitdem die Gelegenheit wahr, mein Soloprojekt voranzutreiben. (Man kann das auch alles noch mal detailliert auf meiner Website nachlesen: http://martinseidelmusic.de/#Vita. Wie sind die bisherigen Reaktionen auf Dein Solodebüt? Bist Du mit den Reaktionen zufrieden? Die Reaktionen sind bisher durchweg positiv - von euch habe ich auch meine erste richtige Plattenkritik bekommen (vielen Dank dafür). Welche Musiker und Bands oder welche Art von Musik beeinflusst Dich hauptsächlich? Das ist vielfältig. Die ersten Platten, die ich zu hören bekam, enthielten Klassik oder Vokalmusik und nach dem "Traumzauberbaum", EAV, Mike Krüger und den Prinzen ging es dann auch schon mit Metal los. Und dabei bin ich auch geblieben, im Laufe der Jahre kamen dann noch andere Musikrichtungen hinzu. Heutzutage höre ich gern alten Soul, Bluegrass, Rock N'Roll und Folk, aber auch viel Black Metal. In der Playlist sind momentan Nick Waterhouse, Igorrr, Moddi, Behexen, Steve N'Seagulls, Alice Russel, und Steam Powered Giraffe. Ich bin da ziemlich schizophren. Wenn es mir gefällt, dann höre ich es auch, Genregrenzen interessieren mich nicht. Wie würdet Du selbst Deine Musik beschreiben? Singer/Songwriter, Folk, Pop? In meinem Pressetext heißt es "zwischen Folk, Alternative, Pop und Country", das trifft es ganz gut. In Zukunft werd ich aber die Bezeichnungen "Alternative Folk" oder "Indie Folk" benutzen. Welches findest Du besser? [Indie Folk - Anmerkung des Interviewers] Spielst Du auch weiterhin in Deinen bisherigen Bands wie Notorius oder Fear The Existence oder wirst Du Dich auf eine Solokarriere konzentrieren? Fear The Existence liegt seit ein paar Jahren auf Eis, schwer zu sagen, ob es da irgendwann weitergeht. Wir haben uns aber nie offiziell aufgelöst und wenn wir uns mal über den Weg laufen, besteht meist Einigkeit darüber, dass es sofort wieder losgeht, sobald sich nur die Gelegenheit dazu bietet. Notorius probt weiterhin und spielt live, wir schreiben gerade neue Songs und wollen demnächst eine neue EP rausbringen. Zudem wird es bald noch eine Black-Metal-Band geben, bisschen künstlerischer und nicht ganz so punkig wie bei Notorius. Da freue ich mich schon sehr drauf. Des Weiteren wird es nächstes Jahr eine weitere Veröffentlichung geben: Zusammen mit meinem Produzenten Ludwig Schmutzler und einem gemeinsamen Freund haben wir uns vor ein paar Monaten mal getroffen, um ein paar Songs gemeinsam zu spielen. In der Besetzung sind wir auch schon zweimal aufgetreten. Da spielen wir alte Country- und schlimme Pop-Songs. Und neulich bei einem Bier wurde beschlossen, nächstes Jahr mal für ein paar Tage in ein Landhaus zu fahren, um Songs zu schreiben und auch gleich aufzunehmen. Wir wissen noch nicht, was passiert und was da rauskommt, aber wir haben Bock drauf, also machen wir es einfach. Kannst Du von der Musik leben oder hast Du noch einen anderen Job? Die Musik ist für mich eine allumfassende und vollständig ausfüllende Freizeitbeschäftigung. Ich habe einen Bürojob mit gut planbaren Arbeitszeiten und mache das mit der Musik "nur nebenbei". Wenn mich aber jemand fragt, was ich beruflich mache, sage ich: "Ich bin Musiker." Das hört sich in jedem Fall besser an und unterstreicht auch den Fakt ganz gut, dass ich das alles nicht nur zum Spaß mache. Deswegen gehe ich ab Herbst auch nur noch halbtags arbeiten und kann der Musik so ein wenig mehr Raum geben. Vielleicht fängt sie ja sogar irgendwann an, ein bisschen was zum Einkommen beizutragen und nicht nur Kosten zu verursachen, mal sehen. Wie komponierst und arrangierst Du die Musik? Ist da erst die Musik oder hast Du manchmal auch fertige Texte, die nach einer Musik verlangen? Meist schreibe ich Musik und Text parallel. Das ist langwierig und kräftezehrend, ich habe mich da nicht gut im Griff und bin schnell unzufrieden oder gelangweilt und werde faul. Am besten geht es, wenn der Text schon da ist, da schreibt sich der Song fast von selbst. Oft ist es aber so, dass ich den Text dann zum fertigen Song schreibe und dazu brauche ich immer ewig. Wie sieht es mit den Texten aus? Wie wichtig sind diese für Dich? Hattest Du schon einmal den Wunsch, in Deutsch zu singen? Die Texte sind mir schon wichtig, aber ich lege eher Wert auf Wortwahl und Reim als auf den Inhalt. Ich werde oft gefragt, warum ich nicht mal was auf Deutsch mache. Meine musikalische Sozialisation stammt aber aus einer Zeit, wo außer Pur und Karel Gott keiner auf Deutsch gesungen hat - es also vollkommen uncool war. Das hängt mir heutzutage noch ein bisschen nach, ich kann mit deutschen Texten meist nicht viel anfangen. Ich habe auch schon immer auf Englisch geschrieben und behalte das auch so bei - schließlich singen heute genug Leute auf Deutsch, da muss ich das nicht auch noch machen. Ich taste mich aber langsam ran und hab mir angewöhnt, einen von fünf Texten für Notorius auf Deutsch zu schreiben. Du spielst ja mehrere Instrumente und hast vieles auf der CD auch selbst eingespielt. Hast Du - neben dem Gesang - ein Hauptinstrument? Mein Hauptinstrument ist die Gitarre. Ich hab mir zu Oasis‘ Album "(What's The Story) Morning Glory?" das Gitarrespielen selbst beigebracht. Ich bin schon besser geworden, aber ich bin immer noch ein ziemlich lausiger Gitarrist. Und ein noch lausigerer Klavierspieler. Auf dem Album hab ich gemacht, was ich so konnte, den Rest hab ich von Leuten machen lassen, die besser spielen als ich. Wie hast Du "Comin' Home" aufgenommen? Hast Du zuerst alle Grundlagen aufgenommen und die anderen Musiker kamen als 'Farbtupfer' dazu oder wart Ihr auch gemeinsam als Band im Studio? Vorbereitend hab ich in Homerecording eine Vorproduktion gemacht und so alles skizziert, was so da war. Bei den meistens Songs hatte ich eine ganz klar Vorstellung davon, wie es letzten Endes werden soll, bei anderen noch nicht. Nachdem ich dann im Studio die Akustikgitarren fertig hatte, haben wir angefangen, den Rest darauf aufzubauen. Dabei sind uns dann noch viele zusätzliche Ideen gekommen, die wir auch prompt umgesetzt haben. Eine Band in dem Sinne gab es nicht und gibt es auch nicht. Inwieweit konnten sich die Gastmusiker zum Beispiel bei den Arrangements im Studio mit einbringen? Wie viel gibst Du ihnen vor? Den Gastmusikern hab ich ihre Parts skizziert und aufgeschrieben, die letztliche Umsetzung aber vollständig ihnen überlassen. Dadurch ist alles wesentlich besser geworden. Was verbirgt sich hinter dem Rock-N'Roll-Probenraumstudio? Ist das einfach der Probenraum einer Deiner Bands? Wie ist es ausgestattet? Das Rock-N'Roll-Probenraumstudio ist ein Probenraum, der aus zwei separaten Räumen besteht. Ludwig hat die "Musizierstube" so ausgestattet, dass sie nach kurzem Räumen auch als Aufnahmeraum verwendet werden kann. Er hat dazu die entsprechende Ausstattung an Geräten, die man zum Aufnehmen braucht und einen Koffer sehr guter Mikrofone. Zudem steht auch ein Schlagzeug da, falls mal eins gebraucht wird und ein E-Piano. Wenn nicht aufgenommen wird, probt in dem Raum eine befreundete Band von uns. Streng genommen ist es sogar deren Probenraum, den wir mit benutzen dürfen, wenn er frei ist. Wie habt ihr die akustische Gitarre aufgenommen? Einfach mit einem Mikrofon oder auch über Verstärker und Effekte? Die Akustikgitarre haben wir einfach nur mikrofoniert. Effekte haben wir dann nur ganz sparsam im Mix hinzugefügt. E-Gitarren, Lapsteel und E-Piano (Orgelsounds) haben wir durch einen Röhrenamp geschickt und aufgenommen. Hast Du zuerst die Musik aufgenommen und dann den Gesang darüber gesetzt oder hast Du teilweise manche Songs auch quasi live eingespielt? Als erstes hab ich die Akustikgitarren eingespielt, dazu kam eine Gesangsspur zur Orientierung. Dazu haben dann die Gastmusiker gespielt und wir haben es noch mal mit Orgeln und E-Gitarren aufgefüllt. Live eingespielt haben wir nichts, alles Spur für Spur im Overdub-Verfahren. Der Gesang kam dann ganz zum Schluss, als alle Instrumente vollständig eingespielt waren. Wie wichtig war der Mix und das Mastering von Ludwig Schmutzler für den Klang, den ich sehr gut finde? Comin' Home steht und fällt mit der Produktion von Ludwig Schmutzler. Er ergänzt meine musikalische Vorarbeit durch technisches Know-how, überprüft alles auf Machbarkeit und bringt sich auch kreativ ein. Beim Abhören gerade aufgenommener Spuren sagt er z. B. oft: "Warte mal...", greift dann zur Gitarre oder zur Orgel, klimpert ein bisschen, macht "Aaah!" und drückt auf "Aufnahme". Meistens findet er so die eine Stimme, die noch gefehlt hat. Ich bin wirklich sehr froh, mit diesem tollen Produzenten zusammenarbeiten zu dürfen. Welche Gitarrenmarke/n und welches Equipment verwendest Du? Ich spiele eine Cort, das war so ein Impulskauf. Sie stand so da und wollte unbedingt gespielt werden. Und sie spielte sich fantastisch. Zudem war der Preis ein absolutes Schnäppchen, also hab ich gleich noch eine Tasche und ein Kabel dazu gekauft. Seitdem ich die unsäglichen Phosphor-Bronze-Saiten durch einfache Bronze ersetzt und insgesamt einen ganzen Ton tiefer gestimmt habe, klingt sie auch ganz gut, finde ich. Spielst Du Live und im Studio dieselben Instrumente? Welches Equipment benutzt Du im Live-Einsatz? Live spiele ich die Gitarre einfach über eine DI-Box in die PA, ohne Effektgeräte. Wenn mal keine PA da ist, spiele und singe ich über einen Bugera AC60. Da kommt nur leicht Hall drauf. Ich bin sehr zufrieden mit diesem Gerät. Ich habe im Studio die gleiche Gitarre verwendet, die ich auch live spiele und für eine vollere Klangfarbe bei einigen Liedern zusätzlich noch ein hochwertiges Instrument aus Ludwigs Fundus. Wirst Du auch auf größere Tour gehen, um die CD zu promoten oder eher nur Einzelkonzerte geben? Eine größere Tour wäre schon toll, aber da ich alles alleine mache, kriege ich es nicht hin, das vernünftig zu buchen. Der Tag hat leider nur 24 Stunden, zudem habe ich ja praktisch erst angefangen und bin noch nicht so gut vernetzt wie die „alten Hasen“. Deswegen beschränke ich mich auf Einzelkonzerte, versuche aber trotzdem, so viel wie möglich live zu spielen. Manchmal lässt sich sogar ein Anschluss-Gig finden. Ich versuche immer, es so zu organisieren, dass man zumindest zwei, drei Tage unterwegs ist – ab und zu gelingt das auch. Wirst Du die Konzerte eher alleine gestalten oder auch in einer Bandbesetzung auftreten? Konzerte in Bandbesetzung sind nicht geplant. Momentan genieße ich es, mich ganz allein vor das Publikum zu stellen und Songs zu spielen, ganz pur, nur Gesang und Gitarre. In den meisten Fällen kommt das auch ganz gut an. Zudem verstehe ich mein Album Comin‘ Home als ein Zusatzangebot, eine „Erweiterung“ zum Konzert: Eine Platte kann halt mehr als ein Konzert, man kann mehr reinpacken und mit tollen Arrangements die Songs aufwerten. Live zeige ich aber, dass die Nummern auch reduziert funktionieren. Live-Erlebnis und Album ergänzen sich quasi. Musst Du Dich um das Booking selbst kümmern? Wenn ja, wie aufwändig ist das momentan? Ja und es ist Scheiße aufwändig. Es ist wie hausieren, nur dass man dabei am Schreibtisch sitzt und E-Mails schreibt. Und gut die Hälfte macht der Verwaltungsaufwand aus, ich muss Ordnung halten, damit ich zwei Wochen später auch noch weiß, was ich wann mit wem besprochen habe. Aber wenn man sich einmal eingearbeitet hat, einigermaßen dran bleibt und sich an gewisse Regeln hält, dann kommt man auch zu seinen Gigs. Zudem werde ich ab und zu auch mal weiterempfohlen, so dass auch Anfragen kommen. Gibt es noch etwas, das Du unseren Lesern mitteilen möchtest? Hört Musik, kauft PHYSISCHE Tonträger, unterstützt lokale Künstler, geht auf Konzerte und wenn es heißt „Eintritt frei – um Spenden wird gebeten (Kollekte)“, dann gestaltet Eure freiwilligen Kulturbeiträge bitte so, dass sie eher rascheln, statt zu klimpern. Und geht bitte nicht an Straßenmusikern vorbei, ohne ihnen was in den Hut zu werfen, das bringt Unglück. Wir bedanken uns! Ich danke Dir für Deine Fragen und wünsche weiterhin eine gute Zeit! P.S. Hört in mein neues Album Comin' Home auf Bandcamp rein! Ingo Andruschkewitsch |
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