Musik an sich


Reviews
Händel, G. F. (Marcon)

Alcina (DVD)


Info
Musikrichtung: Barockoper

VÖ: 03.06.2016

(Erato / Warner Classics / 2 DVD / 2015, live / Best. Nr. 0190295974367)

Gesamtspielzeit: 187:00

Internet:

Patricia Petibon



MIT ALLEN MITTELN

„Alt werden ist nichts für Feiglinge“, bemerkte die Schauspielerin Mae West einst sehr treffend. Der Spruch könnte als Motto über Katie Mitchells Inszenierung von Händels Oper Alcina stehen. Mitchell lässt die gleichnamige Zauberin und ihre Schwester Morgana in je zwei Gestalten auftreten: In der Verkleidung als jugendlich-attraktive, männermordende Verführerinnen im bürgerlichen Salon und – in den „Hinterzimmern“ des Bühnenbildes in ihrer wahren Form als verzweifelte und einsame alte Frauen, die das Spiel des Lebens mit magischen Tricks zu steuern versuchen und es doch mehr und mehr an sich vorüberziehen sehen. Darüber helfen auch die ausgestopften Tiere in den Vitrinen des feinen Salons der Damen nicht hinweg, die auf diese Weise ihre abgelegten oder widerspenstigen Liebhaber entsorgt bzw. verewigt haben.

Die beim Festival in Aix-en-Provence im letzten Jahr gezeigte Inszenierung bezieht aus diesem Ansatz eindrucksvolle visuelle Kraft und macht aus Händels Oper ein überzeitlich gültiges menschliches Drama, weit entfernt von aller Zauberwaldromantik oder märchenhaftem Possenspiel. Das Mitleid, das der Zuschauer zwangsläufig entwickelt, gilt am Ende allen Figuren.

Herausragend ist die sängerische und darstellerische Leistung von Patricia Petibon, die in der Titelpartie ihre Paraderolle gefunden hat. Petibon hat in den vergangenen Jahren eine enorme künstlerische Entwicklung durchlaufen und zeichnet alle Gefühlsregungen der Alcina mit feinsten stimmlichen und mimischen Schattierungen in einer fast schon überwältigenden Intensität. Der Spagat vom verführerischen ersten Auftritt bis zur tiefsten Verzweiflung am Ende könnte nicht glaubwürdiger gelingen. Philippe Jaroussky gibt den von ihr angebeteten Liebhaber Ruggiero mit großer stimmlicher Präsenz, lässt seine Virtuosität aber erst im Laufe des zweiten und dritten Aktes so richtig aufblühen. Als Morgana mit BDSM-Potential agiert Anna Prohaska mit unverhohlenem Krafteinsatz. Bemerkenswert schließlich die Auftritte des Tölzer Sängerknaben Elias Mädler, der den auf der Suche nach seinem in Alcinas Zauberreich verschollenen Vater befindlichen Oberto nicht nur anrührend glaubhaft, sondern auch mit erstaunlicher stimmmlicher Sicherheit und Präsenz gibt – der durchaus mutige Verzicht auf eine Frauenstimme in dieser anspruchsvollen Rolle geht damit voll und ganz auf.

Dirigent Andrea Marcon führt das Freiburger Barockorchester elegant, über weite Strecken allerdings auch etwas zu routiniert und verschenkt daher den ein oder anderen farbigen Instrumentaleffekt. Angesichts der stimmigen Inszenierung und der luxuriösen Vokalbesetzung vermag dies den Wert der Produktion aber kaum zu schmälern.



Sven Kerkhoff



Besetzung

Patricia Petibon: Alcina
Philippe Jaroussky: Ruggiero
Anna Prohaska: Morgana
Katarina Bradic: Bradamante
Antony Gregory: Orornte
Krzysztof Baczyk: Melisso
Elias Mädler: Oberto

Freiburger Barockorchester
Andrea Marcon: Ltg.

Katie Mitchell: Regie


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