Bach, J. S. (Egarr, R.)
Französische Suiten BWV 812-817
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Info |
Musikrichtung:
Barock Cembalo
VÖ: 13.05.2016
(Harmonia Mundi / Harmonia Mundi / 2 CD / DDD / 2015 / Best. Nr. HMU 907583.84)
Gesamtspielzeit: 105:33
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ORIGINELLER ORIGINALKLANG
J. S. Bachs "Claviermusik" auf dem Cembalo - das ist im Rahmen historischer Aufführungspraxis immer noch die erste Instrumenten-Wahl. Und wenn dieses dann noch wie im vorliegenden Fall einer Einspielung der sechs sogenannten Französischen Suiten von dem amerikanischen Cembalisten Richard Egarr mit einer derart ausgefeilten und stupenden Virtuosität traktiert wird, dann denkt man gar nicht mehr darüber nach, dass Bach seinerzeit zumindest für's private Musizieren nicht nur der zupfende "Kielflügel", sondern das empfindsame Clavichord zur Verfügung stand. Anders als beim Cembalo lassen sich auf diesem nämlich dynamische Unterschiede durch den Anschlag erzielen - etwas, das beim modernen Klavier ganz selbstverständlich ist.
Auf dem Cembalo muss man tricksen, um dem Ohr zumindest den Eindruck einer dynamischen Tiefe zu vermitteln. Viele "Manieren" der Cembalomusik wie die Verzierungen, die Vorschläge, Schleifer, Mordente, Triller, Nachschläge oder Doppelschläge dienen dazu, durch Umspielungen einzelne Töne hervorzuheben und durch Klang-Verdichtung ein dynamisches Relief zu erzeugen. Sie sind also nicht Dekoration, sondern Artikulationstechniken.
Um ein Cembalo zum "Singen" zu bringen, gibt es aber noch anderen Möglichkeiten: durch kleine Verzögerungen, sogenannte Rubati, wird eine melodische Linie unter Spannung gesetzt und klingt organischer, beweglicher, sanglicher - und das pseudobarocke Rattern wird vermieden. Akkorde werden nicht einfach unisono als Block gespielt, sondern mehr oder weniger leicht gebrochen. Und nicht zuletzt bieten verschiedene hohe und tiefe Register und ihre Kombinationsmöglichkeiten Gelegenheiten, unterschiedliche Volumen und Farben gegeneinanderzusetzen oder sich abwechseln zu lassen. Wesentlich für den Klangcharakter des Cembalos ist dabei der Kiel, mit dem die Saiten angezupft werden. Bei dem hier verwendeten Instrument handelt es sich um den Nachbau eines französischen Instruments aus dem 18. Jahrhundert und tatsächlich wurde es mit Kielen aus echten Vogelfedern bestückt (in der Regel benutzt man heute auch bei Nachbauten Kunststoffkiele). Der Klang ist ausgesprochen reich und schön, dabei frei von jeder Härte.
Richard Egarr macht von all diesen Möglichkeiten einen sinnigen Gebrauch und wer seine Einspielungen kennt, weiß, dass er sich vor allem bei den Verzierungen durchaus Freiheiten nimmt. Bach war dafür bekannt, dass er diese sehr genau ausgeschrieben hat und es nicht schätzte, wenn die Interpreten es mit eigenen Zutaten übertrieben. Die Verzierung ist bei Bach voll in den musikalischen Satz integriert.
Egarr weiß das natürlich, aber er blickt eben auch in die Barockepoche und die Quellen und da finden sich eben die erstaunlichsten Verzierungen, die ihren Weg denn auch in die Abschriften der Bachschen Originale fanden, was im Fall der Französischen Suiten einen regelrechten Irrgarten unterschiedlicher Versionen hervorgebracht hat und vom Interpret durch zwei Beispiele illustriert wird. Egarr bevorzugt übrigens meistens die älteren Fassungen, weil sie kantiger und ursprünglicher klingen und weniger "perfekt".
In allen Fällen gilt jedoch: Wiederholungen machen im Barock keinen Sinn, wenn sie nicht verziert werden. Und Egarr spielt alle Wiederholungen. Mit tiefer Bewunderung für Bachs Musik frönt er dabei mit Fingerspitzen- und Stilgefühl der barocken Auszierungskunst. Nicht weniger überzeugend ist sein "swingender" Zugriff, die Art, wie er die Linien atmen lässt und das vermeintlich Schlichte raffiniert und kostbar klingen lässt. Und auch ein prachtvoll orchestrales Klangbild steht ihm, wenn erforderlich, zu Gebote. Dadurch wertet er die Französischen Suiten auf, die sonst eher als Gelegenheitswerke zu Übungszwecken für die Bachsöhne gelten. Das sind sie - aber wenn der "Schüler" seine gereiften Fertigkeiten an ihnen erprobt, werden sie zu großer, zu reicher Musik, an der man sich nicht satthören mag.
Georg Henkel
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Besetzung |
Richard Egarr, Cembalo (nach Couchet)
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