Musik an sich


Reviews
Partch, H. (Ensemble Partch)

Bitter Music (The Music of Harry Partch Vol. 1)


Info
Musikrichtung: Neue Musik / Lesung

VÖ: 18.05.2012

(Bridge Records / Codaex / 3 CD / DDD / 2010/ Best. Nr. BRIDGE 9349A/C)

Gesamtspielzeit: 196:30



SPEZIELL

Bevor der amerikanische Komponist und Instrumentenbauer Harry Partch (1901-1974) als eigenwilliger Entwickler eines auf der reinen Stimmung beruhenden mikrotonalen harmonischen Systems bekannt wurde – die Oktave umfasst bei ihm 43 Stufen! – lebte er über Jahre hinweg in äußert prekären Verhältnissen. Die Große Depression in den 1930er Jahren zwang ihn, das Leben eines Hobo zu führen und sich wie viele andere als Wanderarbeiter und blinder Passagier auf den Eisenbahnzügen durch Amerika zu schlagen. Diese harte Zeit, die viel zu Partchs lebenslanger Distanz zum konventionellen westlichen Musik- und Kulturbetrieb beitrug, fand ihren Ausdruck nicht nur in zwei musikalischen Zyklen („Barstow“ und „U.S. Highball“), sondern auch in literarischer Form ihren Niederschlag. Partch verfasste in den Jahren 1935-36 über acht Monate hinweg ein Journal über seine Hobo-Existenz, in der er u. a. Begegnungen mit anderen Hobos festhielt, seine Erlebnisse mit Tuschezeichnungen illustrierte und zum Teil auch musikalisierte. Zwar vernichtete Partch dann später die zur Publikation bestimmten Textteile des Journals und behielt nur die Illustrationen. Da ein Freund jedoch einen Mikrofilm des Buches angelegt hatte, konnten die Texte dennoch viele Jahre danach, nämlich 1991 unter dem Titel Bitter Music erscheinen.

Diese Artikel und die darin eingestreuten Kompositionen eröffnen nun in einer musikalischen Lesung die Partch-Edition des Labels Bridge Records. Das Projekt ist sehr zu begrüßen. Zwar existieren viele Werke Partch‘ in originalen Einspielungen auf den von Partch eigens gebauten Instrumenten, aber vieles davon ist klanglich in die Jahre gekommen.
Bitter Music freilich ist ein spezieller Fall, denn Musik macht nur einen sehr kleinen Teil des Werks aus, oft handelt es sich nur um kurze Phrasen, die in typisch Partcher Manier nahe an der Sprachmelodie vertont wurden, eine Art Sprechgesang also. Der aber bekommt durch die Begleitung mit Klavier und einigen von Partch‘ Spezialinstrumenten wie der für reines Spiel geeigneten „Adapted Viola“, der „Adaptet Guitar“, des mikrotonalen Harmoniums „Chromelodeon I“ und der mannsgroßen „Kithara 1“ eine ganz eigene Note. (Wer Partch fantastisch klingende Instrumente einmal virtuell kennenlernen und sogar spielen möchte, wird auf dieser Seite fündig: http://musicmavericks.publicradio.org/features/feature_partch.html). Diese Passagen, die sich manchmal zu kurzen Songs entfalten, durchziehen das Journal wie musikalische Vignetten und ergänzen sich schön mit Partch eleganten Tuschezeichnungen, die im Booklet reproduziert wurden. Ein echtes Multimedia-Projekt also.

Das Ensemble Partch hat die Aufführungsversion von Bitter Music eingerichtet und für Partch-Fans – allerdings nur solchen, die der englischen Sprache wirklich mächtig sind, allen anderen sei abgeraten! – dürfte die profunde musikalische Lesung hochwillkommen sein.

Georg Henkel



Besetzung

John Schneider: Stimme, Adapted Viola & Adapted Guitar
Garry Eister: Stimme & Klavier
Richard Valitutto: Klavier
Paul West: Kithara


 << 
Zurück zur Review-Übersicht
 >>